Strobl hat sich vor persönlichen Konsequenzen gedrückt und einen Wertebeauftragten ernannt. Jörg Krauss legte vor der Sommerpause 15 Seiten und neun Handlungsempfehlungen vor. Um die ist es ruhig geworden. "Papier ist geduldig", weiß der davon nur mäßig beeindruckte Zeuge Berger. Dann schlägt er den Bogen zur eigenen Familie: Hätte er zehn Regeln an den Kühlschrank geheftet, wären seine inzwischen erwachsenen Kinder vor allem daran interessiert gewesen, ob die Eltern die selbst befolgen. Weitere Auswirkungen aufs Zusammenleben hätte er nicht erwartet. Denn sich an Regeln zu halten, sei "eine Kulturfrage, eine Frage des Menschenbildes". Und: "Vorgesetzte müssen diese Werte leben."
Von Belästigungen Betroffene im polizeilichen Kosmos muss das aber noch lange nicht dazu bringen, sich ihren Vorgesetzten anzuvertrauen. Korpsgeist steht dagegen. Von einer Gefahrengemeinschaft, die die Einsatzkräfte bilden und bilden müssen, spricht der zweite Zeuge, der frühere Stuttgarter Präsident Franz Lutz. In einer solchen könnten derlei Meldungen als Anschwärzen missverstanden werden ("das ist natürlich falsch") und unterblieben deshalb. Ausgerechnet bei sexuellen Übergriffen liegt die Schwelle besonders hoch, weil nach dem Legalitätsprinzip sofort Ermittlungen eingeleitet werden müssten. Ein Polizist sei eben ein schlechter Kummerkasten für Kollegen, erläutert Berger, "denn wenn sich Frauen an uns wenden, muss ein Strafverfahren eingeleitet werden". Da bleibe keine Wahl.
Die Frage nach der Landespolizeipräsidentin und warum sie nicht sofort Ermittlungen gegen Renner angestoßen hat, als ihr entsprechende Vorwürfe bekannt wurden, ist übrigens schnell beantwortet: Stefanie Hinz ist keine Polizistin, sondern Juristin.
Im Ministerium wird fleißig telefoniert
Wie bei so vielen vorangegangenen Sitzungen kommen auch in der 31. merkwürdige Details zur Sprache. So erhielten Berger und Lutz vor vier Jahren zur eigenen Überraschung einen Anruf aus dem Innenministerium mit der Frage, ob sie selber IdP werden wollten. Sie wollten nicht, haben ihre Vorgesetzten auf diese Weise erfahren. Wie aus anderen Zeugenaussagen bereits bekannt ist, wurde so Renners Konkurrenz verringert. Den letzten verbliebenen Interessenten wurde, wie der Untersuchungsausschuss ebenfalls bereits herausgearbeitet hat, per Telefon regelrecht abgesagt – mit dem Hinweis auf ihre Chancenlosigkeit und dass Strobl Renner wolle. Alle außer dem Favorisierten zogen zurück.
Ein Thema für Spezialist:innen, gerade für die pensionierten Beamt:innen auf der Besuchertribüne, ist die Beurteilungspraxis bei der Polizei und wie die an ihre Grenzen stößt. Berger empfiehlt, sich immer vor Augen zu führen, dass ja immer Menschen Menschen beurteilen. Selbstverständlich habe er sich schon Fehler eingestehen müssen. "Alle bewegen sich in einem immensen Spannungsfeld", antwortet er auf die Frage der CDU-Obfrau Christiane Staab, ob es ein systemisches Versagen gebe. Laut Berger versuchten alle, "den Grundsätzen der Bestenauslese so weit wie möglich gerecht zu werden". Die stoßen aber längst an ihre Grenzen, weil bestimmte Bewerber:innen protegiert werden. Zudem ist eine Auswahl nach Befähigung gar nicht immer möglich. Der Chef des Präsidiums Technik, Logistik, Service liefert ein Beispiel aus dem eigenen Arbeitsalltag: Gesucht und gefunden wurde ein äußerst befähigter IT-Spezialist, der den Posten auch bekommt. Hätte sich aber ein Beamter mit den notwendigen Laufbahnvoraussetzungen und einer besseren Beurteilung, ganz abseits der IT, beworben, wäre dieser vorgezogen worden.
Obwohl der Ausschuss bis weit ins kommende Jahr Sitzungstermine vereinbart hat, ist absehbar, dass gerade die Beurteilungspraxis die Abgeordneten umtreiben wird, wenn sie ihre Abschlussberichte und Empfehlungen erarbeiten. "Ich bin im Zweifel, ob das bisherige System ausreicht", bekennt die CDU-Obfrau, "gerade wenn es um Spitzenpositionen und um Spezialisierung geht." Reformiert werden muss es ohnehin, denn bisher fiel dem IdP – Renner und allen seinen Vorgängern – die Rolle des Letztentscheiders zu. Strobl hat die Position aber inzwischen abgeschafft. Julia Goll, die Obfrau der FDP, kann sich vorstellen, dass künftig grundsätzlich aus Anlass eines nächsten Karriereschritts noch einmal "ganz genau hingeschaut" wird.
Grünen-Obmann Oliver Hildenbrand geht noch weiter: Die Polizei könne von einschlägigen Erfahrungen in der Wirtschaft lernen, beispielsweise beim sogenannten 360-Grad-Feedback durch verschiedene Gruppen, Kolleg:innen oder Kund:innen etwa, also nicht mehr allein durch Vorgesetzte. Sascha Binder, SPD-Fraktionsvize, beschäftigt noch ein ganz anderes Thema: das Agieren der Führungsetage im Innenministerium insgesamt. Binder hegt Zweifel, ob Minister und Landespolizeipräsidentin überhaupt bereit sind zur Veränderung von Strukturen und vor allem von Denkweisen: "Sie müssen beweisen, dass sie das können." Und wenn nicht? Strobl und Hinz dürften noch einmal geladen werden und müssten sich dann auch zu dem von Thomas Berger entwickelten Verständnis von Verantwortung verhalten.
1 Kommentar verfügbar
Martin Deeg
vor 1 WocheEin völlig anderer Charakter als die verschlagenen karriereorientierten Typen mit CDU-Parteibuch, die die Führungsebenen der Landespolizei schon damals dominierten, das Arbeitsklima vergifteten, ungeniert…