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Polizeiskandal Baden-Württemberg

Fremdscham für die Führungsebene

Polizeiskandal Baden-Württemberg: Fremdscham für die Führungsebene
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Der ehemalige Spitzenpolizist Andreas Renner hat unserer Zeitung per Gerichtsbeschluss bestimmte Äußerungen über seinen Fall verbieten lassen. Eine gute Gelegenheit, dem Skandal um seine Person und den Zuständen in Baden-Württembergs Polizei zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen.

Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz hat zu einem Gläschen nicht nein gesagt, als Sekt floss im Landespolizeipräsidium (LPP) und das professionelle Personalgespräch überging in einen feuchtfröhlichen Feierabend unter Vorgesetzten und Untergebenen. Später wird die Chefin der baden-württembergischen Polizei in einem Untersuchungsausschuss des Landtags zu Protokoll geben, sie habe "diesen Abend und das, was da passiert ist", vor dem Hintergrund der "wirklich weitreichenden Folgen (…) sehr oft hinterfragt". Denn die Vorgänge von jenem 12. November 2021 bilden den Auftakt eines Skandals, der ungeheuerliche Zustände in der Sicherheitsbehörde offenbart und sich zunehmend ausweitet.

Im Zentrum der Affäre stehen Andreas Renner, sein beispielloser Aufstieg an die Spitze der Landespolizei, sein Gebaren im Dienst und die Netzwerke, die ihrem Günstling auf dem Weg nach oben behilflich waren. Als im November 2020 die ranghöchste Position in Baden-Württembergs Polizei neu besetzt wurde, bescheinigte Innenminister Thomas Strobl (CDU) dem frisch ernannten Inspekteur der Polizei (IdP): "Andreas Renner hat genau das richtige Format für dieses Amt", zudem sei er "mit seinen 47 Jahren der jüngste Inspekteur in der Geschichte der Polizei Baden-Württemberg und für diese herausragende Stellung bestens geeignet". Ein Jahr später wird der hochgelobte Spitzenbeamte suspendiert – und muss sich vor Gericht verantworten.

Ausgabe 642, 19.07.2023

Hierarchie spielt keine Rolle

Von Gesa von Leesen

Nach dem Vorwurf der sexuellen Nötigung macht der Freispruch für den Inspekteur der Polizei Andreas Renner sprachlos. Vor allem die Begründung. Kein Wort verlor der Richter am Stuttgarter Landgericht über Machtverhältnisse innerhalb der Polizei. Und so zeigt das Urteil: Das System funktioniert.

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Nach dem Personalgespräch am 12. November 2021 endet der Abend für Renner und eine jüngere Kollegin in einer Kneipe. Der genaue Ablauf ist vor Gericht umstritten. Im Juli 2023 folgt vor dem Stuttgarter Landgericht ein Freispruch vom Vorwurf der sexuellen Nötigung: Aussage stand gegen Aussage, die Staatsanwaltschaft geht aktuell in Revision.

Die öffentliche Verhandlung in erster Instanz war eine Schlammschlacht. Die "Bild" schöpfte aus den Vollen und breitete genüsslich die schmutzigen Details über Renners angebliches XXX-Verhalten aus. Für den Beamten prägte das Boulevard-Blatt dabei einen Begriff, der eine Berufsbezeichnung mit einem Geschlechtsteil verknüpft, und den verschiedene Medien aufgegriffen haben. So auch Kontext in einer Kolumne von Elena Wolf.

Teuer wurde die Berichterstattung zum Fall bislang allerdings nicht für die "Bild", sondern für Kontext. Es folgte eine Abmahnung und ein Beschluss des Hamburger Landgerichts im Sinne der Renners. Neben dem "Bild"-Begriff, der uns (und bislang nur uns) verboten wurde, dürfen wir bestimmte Aussagen nicht mehr verbreiten. Daher an dieser Stelle keine Silbe mehr über Schlüpfriges, versprochen! Stattdessen wollen wir den Blick auf den strukturellen Machtmissbrauch lenken, der überhaupt erst ermöglicht, dass ein Renner zum IdP wird.

Man kennt sich, man hilft sich

Der Aufstieg in Windeseile bis ins oberste Amt von Baden-Württembergs Polizei lag nämlich nicht allein an herausragenden Qualifikationen. Vielmehr wurde er entscheidend begünstigt durch ein Netzwerk von Sympathisant:innen in den Schaltzentren der politischen Macht: Renner war der Wunschkandidat einflussreicher CDU-Funktionäre. Eigentlich sollen Beamt:innenposten an den oder die Bestgeeignete vergeben werden, strikt nach Eignung. Im Fall Renners gab es keine Konkurrenz um das Amt – weil alle potenziellen Mitbewerber:innen im Vorfeld über die Aussichtslosigkeit ihrer Kandidatur informiert worden waren, unter anderem von Polizeipräsidentin Hinz persönlich.

Geredet wird schon lange darüber, dass die Postenvergabe bei der Polizei trotz formaler Gewaltenteilung auch mal politisch gefärbt erfolgt. Aber meist hinter verschlossener Tür. Der Fall Renner sowie das merkwürdige Verhalten von dessen oberstem Dienstherrn, Innenminister Thomas Strobl, CDU, erzürnte die Opposition im Landtag dann doch so sehr, dass derzeit die Beförderungspraxis bei der Landespolizei insgesamt auf dem Prüfstand steht. Wohl noch mindestens bis 2024 prüft ein Untersuchungsausschuss in stundenlangen Vernehmungen, wer warum und wie Karriere gemacht hat. In Renners Fall ging es insbesondere ab 2017, unter Minister Thomas Strobl, steil bergauf. Erst wurde er als stellvertretender Landeskriminaldirektor ans Innenministerium berufen. Schon zwei Jahre später, also 2019, folgte der Aufstieg zum stellvertretenden Präsidenten des Landeskriminalamts (LKA). Und schließlich, nur wenige Monate danach, die Beförderung zum IdP.

Abgesehen von angeblichem Verhalten schien dabei zumindest Renners fachliche Eignung lange Zeit unumstritten – bis Ex-LKA-Präsident Ralf Michelfelder als Zeuge im Untersuchungsausschuss auftrat. Der betonte, er sei damals strikt dagegen gewesen, dass Renner zu seinem Stellvertreter wird. "Jeden wichtigen Vorgang, der über seinen Tisch ging, musste ich nochmals überprüfen und korrigieren", schilderte Michelfelder die Zusammenarbeit. Die Entscheidung für Renner sei in seinen Augen ein "Sicherheitsrisiko" gewesen. Dass Renner schließlich mit der Bestnote bewertet wurde und kurz darauf zum Inspekteur der Polizei befördert wurde, könne er nicht nachvollziehen. Er sei bei dieser Beurteilung jedenfalls nicht einbezogen worden.

Der Bock bleibt Gärtner

Vergeben hat die Bestnote Detlef Werner, Renners Vorgänger als IdP. Über den Auswahlprozess sagte Werner im Ausschuss: "Es wurde kein Gespräch mit mir geführt, wer es werden soll." Stattdessen habe ihm Präsidentin Hinz die Entscheidung verkündet und eine Beurteilung bestellt. "Es war aus meiner Sicht geplant: Er wird es", so der Zeuge Werner, der sich nach eigenen Angaben fremdschämt für seinen Nachfolger und sich von dessen Führungsstil entschieden distanziert.

Ausgabe 642, 19.07.2023

Ein Münchhausen

Von Johanna Henkel-Waidhofer

Was hat Thomas Strobl nicht alles überstanden: Wahlerfolge seiner Südwest-CDU wie 2006 oder 2013, viel öfter aber Niederlagen, Ausrutscher, Demütigungen durch die eigene Partei oder den Schwiegervater Wolfgang Schäuble, jetzt auch noch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss.

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Bevor LKA-Präsident Michelfelder im Ausschuss sein vernichtendes Zeugnis über die Qualität von Renners Arbeit ablegen konnte, wurden diverse Gerüchte über ihn an ausgewählte Vertreter der Presse mitgeteilt. Das diente offenbar dem Zweck, seine Glaubwürdigkeit als Zeuge zu untergraben, spekulierte Michelfelder. Er gehe davon aus, dass dies aus der CDU-Landtagsfraktion geschehen sei und nannte auch einen Namen als mögliche Quelle: Christian Gehring, selbst Polizist und Mitglied der Union in jenem Gremium, das gegenwärtig fragwürdige Personalangelegenheiten überprüft.

Die Rechtslage scheint eigentlich eindeutig: Wer "an den zu untersuchenden Sachverhalten persönlich und unmittelbar beteiligt ist, darf dem Untersuchungsausschuss nicht angehören", heißt es im Gesetz. Die CDU reagierte darauf eigenwillig: Einen Tag, nachdem die Vorwürfe gegen Gerhing bekannt geworden waren, wählte sie ihn zum Vorsitzenden des Arbeitskreises Inneres in der Landtagsfraktion, der sich unter anderem mit dem Thema Polizei befasst, und will ihn im Ausschuss halten.

Ganz schön viel harter Tobak, der in dieser Angelegenheit zusammenkommt. Dabei hatte Innenminister Strobl den Untersuchungsausschuss noch im Februar dieses Jahres verhöhnt: "Wissen Sie, was ein Soufflé ist? Da ist viel Luft drin – und nach einer gewissen Zeit macht's Pffft", so Strobl über die parlamentarische Aufarbeitung. Das klang damals selbstbewusst, heute ist der Minister mehr als angeschlagen.

Rätselhaft bleibt Strobls Verhalten in der sogenannten Briefaffäre. Im Dezember 2021 berichteten die "Stuttgarter Nachrichten" über ein drei Seiten langes Schreiben, das Renners Anwalt an den Innenminister geschickt habe. Darin betonte der Jurist, sein Mandant stehe für ein persönliches Gespräch mit Strobl bereit, "was vorliegend der Sache eher dienlich sein dürfte und im allgemeinen Interesse zielführender zu sein versprechen vermag, als eine unvermittelte Rechtswegbeschreitung". Im Klartext: Man muss ja nicht alles gleich vor Gericht klären – zu diesem Zeitraum liefen bereits die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen mutmaßlicher sexueller Nötigung.

Für Strobl ist das Eis dünn

Dass diese Informationen an die Öffentlichkeit durchdrangen, sorgte für weitere Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, diesmal wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses. Wer könnte den Brief durchgestochen haben? Dann fliegt auf: Innenminister Strobl selbst hatte das Schreiben weitergegeben, und zwar um "maximale Transparenz" zu schaffen, wie er sagt, nachdem er ein halbes Jahr lang zugesehen hatte, wie die Behörden ins Leere ermittelten. Strobl einigte sich schließlich mit der Staatsanwaltschaft, 15.000 Euro als Geldauflage zu zahlen, damit das Ermittlungsverfahren wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses eingestellt wird.

Doch abgeschlossen ist der Fall damit noch nicht für den Innenminister. Strobl selbst wurde im Untersuchungsausschuss bereits in einer 15 Stunden langen Sitzung als Zeuge befragt und wird wohl ein weiteres Mal antanzen müssen. Denn kürzlich wurden dort Mitarbeitende seiner Pressestelle angehört, deren Angaben sich nicht durchgängig mit den Behauptungen ihres Vorgesetzten deckten.

Nach den bisher bekannt gewordenen Informationen über die Postenvergabe bei der Polizei, politische Seilschaften und der Blamage durch Andreas Renner als IdP sind immer wieder Rücktrittsforderungen aus der Opposition gegen Strobl laut geworden. "Die Maßstäbe sind einfach verrutscht", klagte Sascha Binder, Vize in der SPD-Landtagsfraktion und Obmann im Ausschuss, schon im vergangenen März. Baden-Württemberg habe einen Innenminister, der sich "praktisch alles leisten kann". Nach den Kriterien früherer Jahre hätte er "längst zurücktreten oder der Ministerpräsident hätte ihn entlassen müssen". In der Zwischenzeit sprach sogar Oliver Hildenbrand, Abgeordneter der mitregierenden Grünen und Innenexperte, von einem "strukturellen Machtmissbrauch" im Innenministerium.

Ähnlich klare Worte fehlen bislang von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Der hält die schützende Hand über seinen Stellvertreter Strobl und will die Arbeit des Ausschusses abwarten, um eines Tages den Gesamtkomplex zu bewerten. Bis dahin wird Kontext für alle Interessierten die Zwischenergebnisse vorstellen.


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2 Kommentare verfügbar

  • Fremdschämer
    am 11.10.2023
    Antworten
    Alles richtig. Nur eins am Anfang stimmt nicht. Der Sekt floss nicht im LKA, sondern im LPP (Landespolizeipräsidium im Innenministerium).
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