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Thomas Strobl

"Ein politischer Hasardeur"

Thomas Strobl: "Ein politischer Hasardeur"
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Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) sieht sich erneut mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Auslöser sind Aussagen enger Mitarbeiter:innen, die in krassem Widerspruch zu dem stehen, was ihr Chef im Untersuchungsausschuss zum Polizeiskandal behauptet hat.

Bereits 18 öffentliche Sitzungen haben jene Abgeordneten hinter sich, die dem Verdacht des Machtmissbrauchs bei der baden-württembergischen Polizei nachgehen. Schon beim Start des Untersuchungsausschusses im Juni 2022 hatte Landesinnenminister Thomas Strobl im Mittelpunkt gestanden. Es ging darum, dass er ein Schreiben des Anwalts des suspendierten Spitzenpolizisten Andreas Renner an den Journalisten Franz Feyder von den "Stuttgarter Nachrichten" weitergegeben hatte. Renner kämpfte damals um seinen Ruf, da gegen ihn wegen des Verdachts der sexuellen Nötigung ermittelt wurde. Sein Anwalt hatte Strobl schriftlich vorgeschlagen, dass man sich doch auch ohne Verfahren einigen könnte. Strobl gab das Schreiben an Feyder weiter, der verwertete es in einer Veröffentlichung und löste damit weitere Ermittlungen der Staatsanwaltschaft aus.

Jetzt wurde das Thema noch einmal aufgerufen und die stellvertretende Regierungssprecherin Nadja El Almi gehört, ebenso ihr Vorgänger als Leiter der Pressestelle Andreas Mair am Tinkhof sowie ein weiterer Mitarbeiter. Die Ergebnisse sind eindeutig und bisherige Darstellungen des Innenministers rund um die Weitergabe an den StN-Journalisten Feyder nicht haltbar.

Vor allem aus einem Grund: Im Alltagsgespräch ist es eher eine Nebensächlichkeit, wer welches Thema aufbringt, im Austausch zwischen Medien und Politik kann dieses Detail von großer Bedeutung sein. Für Strobl könnte es sogar im schlechtesten Fall über seinen Verbleib im Amt entscheiden, wenn Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) Ernst macht mit seiner Ankündigung, den ganzen Komplex anhand der Ergebnisse des Untersuchungsausschusses zu bewerten. Hätte Feyder am Ende seines Interviews mit Strobl am Tag vor Weihnachten 2020 von sich aus nach dem Anwaltsbrief gefragt, wären der Innenminister und sein Presseteam möglicherweise nach dem Informationsfreiheitsgesetz sogar verpflichtet gewesen, die drei Seiten herauszugeben.

Die Mitarbeiter:innen erinnern sich anders

Nach den Aussagen am vergangenen Donnerstag konnte aber von konkreter Anfrage gar keine Rede sein. Vielmehr war Strobl nach den Aussagen seiner Mitarbeiter:innen selbst auf das Schreiben des Anwalts zu sprechen gekommen. Als Feyder sich interessiert zeigte, bekam der Leiter der Pressestelle offenbar den Auftrag, es an ihn weiterzuleiten. "Die Aufforderung des Ministers ist so klar ausgesprochen worden", erklärt Mair am Tinkhof, der inzwischen im Ministerium für Grundsatzfragen zuständig ist, "dass es überhaupt keinen Ermessensspielraum gegeben hat." Auch einer der stellvertretenden Pressesprecher, Carsten Dehner, berichtete, dass für alle Beteiligten klar gewesen sei, der Journalist werde den Brief verwerten. Ein ausdrückliches Verlangen oder gar ein "presserechtliches Anspruchsersuchen" habe es nicht gegeben.

Eine Formulierung von Tragweite, weil Strobl eine ganz andere Variante nicht nur verbreitet, sondern sogar zur Grundlage eines Gutachtens gemacht hat. Privat beauftragte er seinerzeit den Berliner Medienanwalt Christian Schertz, der ihm bescheinigte, sich tadellos verhalten zu haben, weil die Übergabe des Briefs nicht nur richtig, sondern geboten gewesen sei. Dabei hatte Schertz sich allerdings die Version des Ministers vom Hergang des Gesprächs zu eigen gemacht, wonach der Journalist von sich aus danach gefragt haben soll.

Strobl sei "ein politischer Hasardeur", urteilte Boris Weirauch (SPD), der stellvertretende Ausschussvorsitzende. Die Oppositionsfraktionen von SPD, FDP und AfD erneuerten ihre Rücktrittsforderung. Außerdem kann sich Strobl auf eine weitere Zeugenladung einstellen, unter anderem weil es auch Ungereimtheiten um die vereinbarte Vertraulichkeit zwischen ihm und Feyder gibt.

Der Minister ließ die Behörden ins Leere ermitteln

Bisher hat der Innenminister rund um die Übergabe des Schreibens immerhin eingeräumt, dass es auch andere Möglichkeiten gegeben hätte, um die von ihm angestrebte "maximale Transparenz" herzustellen. Sein Motiv sei das Bemühen gewesen, jeden Eindruck der Mauschelei mit dem suspendierten Renner zu vermeiden. "Wenn mittags der Innenausschuss im Landtag getagt hätte", so Strobl während seiner vielen Stunden langen ersten Vernehmung, "wäre ich gekommen und hätte die wichtigen Informationen weitergegeben."

Hat er aber nicht. Stattdessen hat Strobl – als Volljurist genau wissend, was er tut – eine Verschleierungstaktik verfolgt und die Staatsanwaltschaft gut vier Monate ins Leere laufen lassen bei ihrer Suche nach der Quelle für Feyders nach Weihnachten erschienenen Artikel. Der stellvertretende Ministerpräsident, der von sich selbst als Verfassungsästhet spricht, sah ungerührt zu, wie gegen Unbekannt ermittelt wurde. Im eigenen Ressort ging ein Aufruf an Beschäftigte um, freiwillig ihre Mobiltelefone zur Durchsuchung abzugeben, um als verantwortlich für die Briefübergabe auszuscheiden. Nie wird geklärt werden, ob sich Strobl überhaupt geoutet hätte, wäre er nicht Anfang Mai durch eine Veröffentlichung in der "Stuttgarter Zeitung" dazu veranlasst worden. "Ich kann das nur unmoralisch nennen", so FDP-Obfrau Julia Goll. Es sei getrickst, getarnt und getäuscht worden. Die frühere Staatsanwältin nennt die 18. Sitzung eine besondere, weil offenbar geworden sei, "dass maximale Transparenz nur ein maximal leeres Wort" sei und die Hausspitze im Innenministerium in einem "desolaten Zustand".

Die schärfste Kritik an Strobl kommt allerdings aus einer ganz anderen, aber nicht mehr überraschenden Ecke. Der Stuttgarter CDU-Landtagsabgeordnete Reinhard Löffler, selbst Rechtsanwalt, verwirft Strobls Bewertung des Anwaltsbriefs als "unmoralisches Angebot". In Wirklichkeit handle es sich dabei um einen "ganz gewöhnlichen Vorgang": "Das mache ich auch." Und Löffler wird im Lauf der Vernehmung der Ministeriumsbeschäftigten noch deutlicher: So etwas wie die Behinderung der ermittelnden Staatsanwaltschaft durch das Ministerium "kenne ich nur aus totalitären Staaten".

In der nächsten Sitzung Mitte Oktober wird es wieder um die Besetzungs- und Beförderungspraxis im Hause Strobl gehen. Gehört werden unter anderem sein Vorgänger Reinhold Gall (SPD) und LKA-Präsident Andreas Stenger. Terminiert sind schon jetzt Sitzungen bis in den Juli 2024, weil auf dem Arbeitsprogramm immer noch mehr als drei Dutzend Zeugen stehen, vor allem zur Besetzungs- und Beförderungspraxis, zu den Zweifeln an der im Grundgesetz verlangten Bestenauslese, die öffentliche Ämter nach Eignung vergeben wissen will und vorerst wieder in den Fokus rücken soll.


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2 Kommentare verfügbar

  • Peter Nowak
    am 16.10.2023
    Antworten
    Bitte nicht noch mal fast die Hälfte der Printausgabe des Kontext mit diesen Geschichten um den Renner-Strobl-Komplex. Ich verstehe , dass Kontext aus eigener Betroffenheit wegen der Zensurversuche Renners besonders involviert ist. Aber dann verstehe ich nicht, warum hier kritisiert wird,…
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