Kurz nach 22 Uhr schaltet sich zwei Tage vor Heilig Abend im baden-württembergischen Innenministerium ein Faxgerät ein. Die Maschine spuckt drei Seiten Papier aus, datiert vom 1. Dezember 2021. Absender ist die Kanzlei des suspendierten Inspekteurs der Polizei, Andreas Renner. Der soll eine Kommissarin sexuell belästigt haben. Sein Anwalt bietet ein "persönliches Gespräch" mit Thomas Strobl, dem Chef des Hauses, an. Das Papier ist heiß.
So beginnt die Geschichte in den "Stuttgarter Nachrichten" (StN) vom 27. Dezember 2021. Autor ist Franz Feyder, früher Elitesoldat, heute Kriegsreporter und Leiter der Investigationsabteilung des Blatts, solange es sie noch gibt. Die Geschichte trägt den Titel "Sexskandal: Suspendierter Polizeiinspekteur lässt vor Schlammschlacht warnen", und legt den Grundstein für die sogenannte Strobl-Affäre, die seit Wochen das Parlament heftig bewegt, und, wesentlich weniger, die Menschen draußen.
In aller Kürze: Der Minister hat das Fax an Feyder durchgesteckt (oder durchstecken lassen), die Staatsanwaltschaft hat das mitgekriegt und ermittelt nun gegen Strobl und seinen Botschafter wegen des Verdachts, verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen unter die Leute gebracht zu haben. Geregelt ist das im § 353 d des Strafgesetzbuches, der das Zitieren aus "amtlichen Dokumenten" verbietet, bevor sie im Prozess behandelt werden. Der Paragraph ist umstritten, weil er die Berichterstattung über Gerichtsverfahren erschwert.
Nun sagt der Minister, er habe das wegen der "maximalen Transparenz" gemacht und um dem Eindruck zu wehren, er sei für Mauscheleien zu haben. Der Journalist sagt nichts, weil ihm die Strafverfolger im Genick sitzen, die er nicht so gut in Schach halten kann wie ihr Dienstherr. Kontext hätte "sicherlich Verständnis" dafür, schreibt Feyder auf unseren Gesprächswunsch hin, dass er sich mit Blick auf das laufende Ermittlungsverfahren nicht äußere. Wenn eine Reaktion der Redaktion benötigt werde, möge man sich an Rainer Feuerstein wenden, der im Moment die Dienstgeschäfte führe. Chefredakteur Christoph Reisinger befindet sich in Kur.
"Stuttgarter Nachrichten" lieben das Battlefield
Die Zurückhaltung ist einerseits verständlich, andererseits schade, weil er auf so manche Frage schlüssige Antworten haben könnte. Etwa darauf, warum Strobl gerade ihn als Adressaten ausgesucht hat? Da muss wohl ein Grundvertrauen vorhanden sein, gewachsen auf Veranstaltungen wie dem StN-"Treffpunkt Foyer" im Februar 2017: Strobl zusammen mit Sebastian Gorka, einem rechtspopulistischen Trump-Berater, moderiert von Chefredakteur und Oberstleutnant der Reserve Christoph Reisinger, vorbereitet mit einem Feyder-Interview ein halbes Jahr zuvor. Frage Feyder: "Herr Gorka, vor wem haben Sie mehr Angst – vor Hillary Clinton oder dem Islamischen Staat?" Antwort Gorka: "Hillary Clinton beunruhigt mich wesentlich mehr" (Kontext berichtete).
2 Kommentare verfügbar
Peter Hermann
am 02.06.2022Vielleicht sollte man an dieser Stelle darauf hinweisen, daß das lateinische Wort qualitas, qualitatis einfach nur "Beschaffenheit" bedeutet. Mit dem Terminus Qualität kann also sowohl gute als auch schlechte gemeint sein.
Was die…