KONTEXT:Wochenzeitung
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Kritik ist Lüge

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Sebastian Gorka, Trump-Berater und ehemaliger Autor der rechtsradikalen "Breitbart News", darf bei einer Veranstaltung mit Innenminister Thomas Strobl unkommentiert Propaganda verbreiten. Der Knaller: Die Bühne dafür bieten die "Stuttgarter Nachrichten" – und vermarkten das als Erfolg.

So stolz wird man ja wohl noch sein dürfen: Es war das "erste Gespräch eines Vertreters der Trump-Administration mit einem deutschen Medium", heißt es in der jüngsten Freitagsausgabe (10.2.2017) der "Stuttgarter Nachrichten" (StN), prominent platziert auf der Titelseite. Am vergangenen Donnerstag hat die Zeitung Sebastian Gorka ein Podium geboten, beim traditionsreichen "Treffpunkt Foyer" im Mozartsaal der Liederhalle. Gorka ist allerdings nicht persönlich zugegen, sondern nur per Liveübertragung auf eine Leinwand projiziert. Etwas kleinlaut kommentieren die Veranstalter, Herr Gorka sei nunmal sehr beschäftigt und habe seinen Aufenthalt in Deutschland kurzfristig absagen müssen.

Gorka ist nämlich gerade erst vor gut drei Wochen ins Weiße Haus berufen worden, dort berät er Präsident Trump und sein Kabinett in Sachen Terrorismus und asymmetrische Kriegsführung. StN-Chefredakteur Christoph Reisinger stellt ihn am vergangenen Donnerstag seinen gut 600 Gästen auch als genau solchen vor: als feste Größe auf diesen Forschungsgebieten.

Es ist nicht das erste Mal, dass das Stuttgarter Blatt aus dem Pressehaus Gorkas "Expertise" bemüht. Immer wieder hievt StN-Rechtsaußen-Autor Franz Feyder (Kontext berichtete mehrfach) den Amerikaner ins Stuttgarter Blatt. Im September 2016 beispielsweise führte Feyder ein Interview mit ihm. Erste Frage: "Herr Gorka, wovor haben Sie mehr Angst: vor Ihrer Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton oder vor dem Islamischen Staat?" Antwort: "Ganz ehrlich? Hillary Clinton beunruhigt mich deutlich mehr." Oder: "Ein Land, das seine Verpflichtungen gegenüber der Nato nicht erfüllt, ist Deutschland. Was erwarten Sie von Deutschland, um im Kampf gegen den Terror erfolgreich sein zu können?" Gorkas Antwort: "Dass es darauf verzichtet, immer politisch korrekt agieren zu wollen. Vor allem dann nicht, wenn Härte notwendig ist."

Terrorexperte mit Fake News-Qualitäten

Neben dem Terrorismus hat Sebastian Gorka noch weitere – nennen wir sie: Spezialgebiete. Unter anderem publizierte er regelmäßig auf dem rechtsradikalen "Breitbart News Network". Bereits im Vorfeld der Veranstaltung wurde von verschiedenen Medien kritisiert, dass die StN dieses Detail in ihren Ankündigungsartikeln unerwähnt ließen. Auf <link http: uebermedien.de terror-erklaerer-zeitung-redet-um-heissen-breitbart-herum external-link-new-window>Anfrage von "Übermedien" rechtfertigte Chefredakteur Reisinger das damit, dass Gorka im gleichen Zeitraum auch für andere – seriöse – Medien wie "CNN", die "BBC", "Al Jazeera", die "Washington Post", "Bloomberg" und "Reuters" Beiträge verfasst habe. Mit dem kleinen Unterschied allerdings, dass Gorka nur bei "Breitbart" drei Jahre lang festangestellter Redakteur war, bevor er zum Trump-Berater wurde.

Immerhin kann sich Journalist Reisinger beim "Treffpunkt Foyer" schließlich dazu durchringen, bei Gorkas Vorstellung zu erwähnen, dass dieser "als stramm Konservativer durchaus nicht unumstritten" sei. Und in der hauseigenen Nachbesprechung der StN-Veranstaltung findet sich der Vermerk, veröffentlicht habe Gorka seine Texte "auch auf der umstrittenen, rechtspopulistischen Plattform Breitbart".

"Umstritten" und "rechtspopulistisch" ist angesichts dessen, was sich "Breitbart" seit Gründung im Jahr 2007 geleistet hat, noch eine sehr vorsichtige Formulierung, um nicht zu sagen: verharmlosend. Als Obama im Frühjahr 2013 den republikanischen Senator Chuck Hagel als Verteidigungsminister nominierte, wurde auf "Breitbart" verbreitet, dieser werde durch eine Gruppe namens "Freunde der Hamas" finanziert. Selbstverständlich existiert eine solche Gruppe nicht, wie seriöse Medien wenig später berichteten – dennoch wurde der Fake anschließend weiter verbreitet und Breitbart blieb bei der Darstellung.

Als Chef des Propagandaportals verantwortlich für die Inhalte war damals Steve Bannon, der etwa zeitgleich verkündete, es gebe "keinen Zweifel daran, dass die USA in fünf bis zehn Jahren einen Krieg mit China führen" würden, wie auch mit dem nahen Osten. Dieser Bannon sagte 2010, wie ihn das Magazin "Daily Beast" zitiert: "Ich will alles zum Einsturz bringen und das komplette heutige Establishment zerstören" – nachdem er zuvor als Banker bei Goldmann Sachs Millionen scheffelte. Heute ist er Trumps Chefstratege und das Hirn hinter vielen besonders radikalen Ideen und Konzepten des neuen Kabinetts.

Der Kölner Dom brennt, berichtet Breitbart News

Im Februar 2015 veröffentlichte Gorka einen Artikel auf Breitbart, in dem er behauptet, die Obama-Administration gleiche sich immer mehr dem totalitären "Ministry of Truth" (Ministerium für Wahrheit) aus George Orwells "1984" an, das Mithilfe von Neusprech, also gezielt irreführenden Begrifflichkeiten, Falschinformationen als Wahrheit verkaufe und die Realität in Lügen verdrehe.

Nun ist es seine Regierungs-Kollegin, die Trump-Beraterin Kellyanne Conway, die glasklare Lügen als "alternative Fakten" präsentiert und im Kanon mit Regierungssprecher Sean Spicer etwas von einem islamistischen Terroranschlag in Atlanta fabuliert, den es nie gegeben hat. Der Spruch "Ich überlebte das Massaker von Bowling Green" wurde zum viralen Hit. Auch aus Deutschland berichtet Breitbart ab und zu. So soll in der Silvesternacht 2016 ein Mob von 1000 Muslimen "allahu-akbar"-rufend den Kölner Dom in Brand gesetzt und Polizisten angezündet haben. Stimmt nicht? Egal. Auf "Breitbart" wird es trotzdem veröffentlicht.

Zurück zum Stargast der StN: Erst in der vergangene Woche hat "1984"-Fan Sebastian Gorka gegenüber dem US-TV-Sender CNN verkündet, die Trump-Administration werde Medien solange weiter als "fake news" bezeichnen, bis diese ihr "fundamentales Bedürfnis", den Präsidenten zu kritisieren, als "falsch und ungesund" erkennen. Kritik ist Lüge, bad news is fake news. Und von diesem "Experten" erhoffen sich – man lasse sich das auf der Zunge zergehen – Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl und die "Stuttgarter Nachrichten", eine der auflagenstärksten Zeitungen im Land, Tipps gegen Terrorismus.

Gorkas zentrale Botschaft in der Liederhalle: die Bedrohung lauert überall. Das sei ganz anders als im Ersten und Zweiten Weltkrieg, wo es noch klare Frontlinien gab. "Heute beginnt die Frontlinie, sobald sie morgens die Haustür verlassen." Der Westen befinde sich mitten in einem Guerillakrieg mit der globalen Dschihad-Bewegung. Zum Glück fühle sich Präsident Trump "verpflichtet, den IS komplett auszurotten." Wenn man den radikalen Islam nun aber aggressiver bekämpfe, meint Gorka, rücke man sich selbst ins Fadenkreuz. Der Einreisestopp, den Donald Trump per Dekret anordnete, sei daher eine tolle Idee als vorbeugende Maßnahme.

Gegen Gorka wirkt selbst Strobl liberal

Ob man einen solchen Bann in Deutschland nicht auch brauche, will Chefredakteur Christoph Reisinger daraufhin von Strobl wissen. Doch selbst ein stramm konservativer Hardliner wie der Innenminister wirkt gegen einen Gorka regelrecht weltoffen: "Sorry, Mister Gorka", sagt der: "Aber ein ganzes Land unter Generalverdacht zu stellen, das ist nicht in Ordnung." Gorka lächelt da nur milde von seiner Leinwand herunter.

Was Strobl allerdings in Ordnung fände, wäre eine Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung, für die er plädiert. Außerdem, findet er, sollten Behörden persönliche Kommunikationsdaten schon dann auswerten dürfen, wenn nur der Verdacht auf eine schwerwiegende Straftat vorliegt. Noch ein Strobl-Plan: die Rüstungsausgaben stark steigern, und zwar um ganze 50 Prozent, denn "wenn es irgendwo kracht, können wir uns nicht darauf verlassen, dass die Amerikaner das schon richten werden." Ebenso betont er aber: Die Nato dürfe nicht angezweifelt werden. In alledem sind sie sich dann wieder einig, der Amerikaner und der Schwabe, transatlantische Zustimmung sozusagen.

Auch in den "Stuttgarter Nachrichten": In einem Video zur Veranstaltung rechtfertigt Chefredakteur Reisinger Gorkas Auftritt damit, dass man immer beide Seiten anhören und seinen Lesern einen Überblick über das Spektrum der Positionen verschaffen müsse. Denn: "Zur journalistischen Glaubwürdigkeit gehört ganz wesentlich: Wir verkürzen nicht die Wahrheit." Gorka jedenfalls haben die StN seit Herbst ein umfangreiches Interview und ein ausführliches Porträt ("Der Terror-Erklärer") gewidmet, sowie ein doppelseitiges Special zum "Treffpunkt Foyer", von dem sich eine Seite ausschließlich mit "Fakten zum Terrorismus" befasst. Nirgends jedoch werden hier die tatsächlichen Zahlen von Opfern islamistischer Anschläge in Deutschland aufgeführt (es sind 15 Tote und 77 Verletzte in den vergangenen zehn Jahren, Anm.d.Red.). Dafür versteigen sich die StN in Angstmache: Laut Umfragen seien knapp zwei Drittel der Deutschen – das entspräche etwa 54 Millionen Menschen – verängstigt, selbst zum Opfer von Terrorismus zu werden.

Diese Furcht, die kommt nicht aus dem Nichts. Ihren Nachbericht zur Veranstaltung beginnen die "Stuttgarter Nachrichten" mit: "Ansbach, Würzburg, Berlin – kein Zweifel, islamische Terroristen können heute in jeder beliebigen deutschen Stadt zuschlagen." Und Autor Franz Feyder beendet sein Porträt über Gorka mit den Sätzen: "Dem Terrorismus-Versteher sind Lobhudeleien peinlich. Verlegen säbelt er an seinem Schweinebraten herum. Dann schaut er auf: 'Und wo schlägt der IS das nächste Mal zu?'" Traurig. Aber kein Fake. 


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9 Kommentare verfügbar

  • Klaus
    am 21.02.2017
    Antworten
    Frank Passau.

    Das stimmt so nicht, denn Hr. ST. schreibt niemandem etwas vor.

    Er bewertet Publikationen. Nach eigenen Kriterien.

    Das ist seine Sache.

    Was Sie lesen ist Ihre Sache.
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