KONTEXT:Wochenzeitung
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Hasko Weber

"Leute, äußert euch"

Hasko Weber: "Leute, äußert euch"
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Immer mehr Menschen haben immer weniger Probleme damit, eine rechtsextreme Partei zu wählen. Das wird bedrohlich für die Demokratie, also brauchen wir ein Netzwerk gegen rechts, befindet Kontext-Kolumnist Joe Bauer. Zum Auftakt auf dem Stuttgarter Schlossplatz kommt auch der Generalintendant des Weimarer Nationaltheaters Hasko Weber, einst auch in Stuttgart Intendant.

Herr Weber, Sie reisen am kommenden Samstag nach Stuttgart, um auf der Veranstaltung "Gemeinsam gegen rechts. Für eine bessere Demokratie" zu sprechen. Haben Sie in Weimar nicht genug mit Rechten zu tun?

Zusammenschließen!

"Gemeinsam gegen rechts. Für eine bessere Demokratie" ist der Auftakt überschrieben, der am kommenden Samstag, 14. Oktober, 14 Uhr auf dem Stuttgarter Schlossplatz beginnt. Initiator ist Joe Bauer mit weiteren Stuttgarter:innen, die ein breites Netzwerk für die Demokratie knüpfen wollen. Geplant sind Veranstaltungen zur Information und Aufklärung, die eingefahrene politische Lager überwinden. "Die Geschichte hat uns gelehrt, dass nur die Einheit der demokratischen Kräfte die faschistischen Angriffe stoppen kann", heißt es im Aufruf zu der Initiative. Am Samstag sprechen zudem die Politikwissenschaftlerin Luzia Sievi, Mercedes-Vertrauensmann José-Miguel Revilla, Sadiq Zartila vom Flüchtlingsrat BW und die Lehrerin Corinna Blume. Die Aktion ist als Auftakt und Forum der Begegnung gedacht. Um konkret mit dem Netzwerken voranzukommen, gibt es ab 16 Uhr ein offenes Treffen im Württembergischen Kunstverein.  (lee)

Joe Bauer hat mich gefragt, ob ich Interesse hätte, dabei zu sein und da habe ich gern zugesagt. Aus zwei Gründen: Zum einen fühle ich mich Stuttgart sehr verbunden, zum anderen ist es das Thema, das für uns alle wichtig ist. Da würde ich zwischen Weimar und Stuttgart keinen Unterschied machen.

Sie kommen aus Ostdeutschland, waren von 2002 bis 2013 am Stuttgarter Staatsschauspiel, seit 2013 sind Sie Generalintendant in Weimar. Sehen Sie Unterschiede in Ost und West, was den gesellschaftlichen Umgang mit Rechtsradikalismus angeht?

Rechter Populismus und rechter Radikalismus haben in Ost und West eine gefährliche Ausbreitung erreicht. Ich halte das nicht für ein ostdeutschen Problem. Einen Grund für den hohen Anteil an Rechtsorientierung im Osten sehe ich in der deutlich disparateren Aufstellung der demokratischen Parteien. Aber auch in Baden-Württemberg ist die AfD 2016 mit 15 Prozent in den Landtag eingezogen. Damit hatte ich in keiner Weise gerechnet. In einer Stadt, in der es innerhalb einer basisdemokratischen Bewegung um die Zukunft des Hauptbahnhofs ging, ist das für viele eine düstere Überraschung gewesen.

Mittlerweile hat sich die AfD bundesweit etabliert, im Osten ist sie besonders stark, aber erreicht eben im Westen deutlich zweistellige Ergebnisse. Dennoch haben wir hier im Westen oft den Fokus auf den Osten. Ist der Osten da im negativen Sinne der Vorreiter?

Ich würde dieser immer wiederkehrenden Zuweisung gern widersprechen, weil sie das Bild der ostdeutschen Länder verzerrt und Klischees bestätigt. Ganz Europa verzeichnet einen Rechtsruck und wir teilen ein internationales Problem. Die Demokratie ist ein fragiles System, das nur in der Balance zu halten ist, wenn sich die progressiven Kräfte alliieren. Im Übrigen sind die Mitgliederzahlen der AfD im Westen deutlich höher als im Osten.

In absoluten Zahlen ja, im Verhältnis zur Bevölkerung nicht. Da liegen Sachsen-Anhalt und Thüringen vorn.

Ja, das hat vor allem mit sozialen Fragen und den jeweiligen Bevölkerungsstrukturen zu tun. Es ist zu verzeichnen, dass eine Entwicklung von mehr als 30 Jahren nicht ausgereicht hat, Perspektivängste zu überwinden. Es ist zu wenig politisches Vertrauen entstanden und Vorbehalte bereiten den Boden für rechte oder rechtsextreme Positionen. Vielleicht ist das auf der Schwäbischen Alb anders, ich weiß nicht, wie hoch da der Wähleranteil ist.

Um die zwölf Prozent bei der vorigen Landtagswahl.

Man muss das sozial differenziert betrachten – klar, aber Fakt ist, dass wir in der gesamten Republik ein Problem mit rechts haben.

Weil Sie die vergangenen 30 Jahre in Ostdeutschland ansprechen: Ich habe gesehen, im Spielplan haben Sie in Weimar relativ viel zur DDR-Geschichte: "Ich liebe dir", "Zwischen Liebe und Zorn", "Treuhandkriegspanorama". Wird das gut angenommen und warum ist das so wichtig?

Es wird mit großem Interesse angenommen, weil erst nach und nach eine Austauschfähigkeit entsteht, eine Sprechfähigkeit. Die Wende ist aus westlicher Perspektive leichter beschreibbar gewesen, weil es eine Distanz gab. Diese Distanz war über viele Jahre schwer herzustellen, weil es für die Mehrheit der Menschen um ganz elementare Fragen ging, um Lebensfragen, um familiäre Fragen, die eine große Bedeutung hatten. Das Thema ist aktuell, sonst würde Dirk Oschmann mit seinem Buch keine so große Reaktion auslösen.

Hasko Weber, geboren 1963, lernte zunächst Maschinen- und Anlagenmonteur, studierte anschließend Schauspiel an der Theaterhochschule Leipzig sowie am Studio der Städtischen Bühnen Karl-Marx-Stadt, wo er 1989 die Demonstrationen und den Mauerfall erlebte. Er arbeitete als Schauspieler und Regisseur. 2002 kam er ans Schauspiel Stuttgart und trat 2005/06 die Nachfolge von Friedrich Schirmer als Intendant an. Seit August 2013 ist Weber Generalintendant am Deutschen Nationaltheater und der Staatskapelle Weimar.  (lee)

Seine Streitschrift "Der Osten: Eine westdeutsche Erfindung", die seit dem Frühjahr zu kontroversen Debatten führt.

Wenn es kein Zündstoff wäre, würde ja niemand drüber sprechen. Ich glaube, das hat damit zu tun, dass man austauschfähig wird. Ich schließe mich da ein. Ich bin 63 geboren, ich habe meine gesamte Jugend, meine Ausbildung in der DDR erfahren und stelle auch heute immer noch fest, dass man gleiche Dinge mit anderen Augen sieht, anderen Begriffen beschreibt, anders bewertet. Die Herkunft Ost ist nicht unbedingt ein Bonus, sondern schließt eine Zuordnung ein. Medial ist das ein Riesenproblem, das würde ich ganz deutlich so sehen. Die Bequemlichkeit, den Osten als Problemzone am Köcheln zu halten, ist verhängnisvoll in der Wirkung.

Konflikte sind ja sehr beliebt in den Medien.

Das würde ich bestätigen. Man kann es in vielen Bereichen sehen. Da hat Dirk Oschmann recht. Wie viele Ostdeutsche sind in leitenden Verantwortlichkeiten unterwegs, besonders in öffentlichen Einrichtungen? Carsten Schneider, der Ostbeauftragte, hat in einem Interview gesagt, in Bayern ist die Gerichtsbarkeit zu 80 Prozent mit Anwälten mit bayerischen Wurzeln besetzt. In Sachsen-Anhalt aber eben auch. Jetzt stellen Sie sich mal vor, in Bayern würden sächsische Richter die Prozessführung haben. Dazu meinte Carsten Schneider, das würde einen Aufstand geben. Diese Verhältnisse sind Alltag. Das hat sich so entwickelt und ist nicht in Ordnung. Es muss weiter Ziel bleiben, dass es eine bessere Durchmischung gibt.

Es ist also nicht nur ein Gefühl, als Ostdeutsche nicht anerkannt, nicht beachtet zu sein, sondern nachweisbarer Fakt. Kommt auch daher die hohe AfD-Popularität im Osten?

Wissen Sie, wenn ich das so einfach beantworten könnte, würde ich wahrscheinlich in Fernsehshows sitzen. Ich denke, es geht um die tatsächliche Verbindung zu den Lebensrealitäten größerer Bevölkerungsgruppen, die in Mecklenburg-Vorpommern andere sind als im bayerischen Wald, die in Schleswig-Holstein andere sind als auf der Schwäbischen Alb. Diese Verbindung ist abhandengekommen. Und das gilt für alle Parteien des demokratischen Spektrums. Und diese Unterlassung ist wie ein offenes Scheunentor und hat den Zugang, hat die Verbindung, hat die Identifikation mit – man muss es ja so sagen – grundsätzlich völkischen, rassistischen und antidemokratischen Positionen ermöglicht.

Wie gehen Sie im Theater damit um, dass diese völkischen, antidemokratischen Positionen auch in Thüringen auf breite Zustimmung stoßen. Laut Umfragen liegt die AfD auf Platz eins mit knapp über 30 Prozent. Suchen sie das Gespräch auch mit AfD-Wählern?

Unsere Überzeugung ist, dass wir für unser Publikum in seiner gesamten Bandbreite arbeiten. Ich kann und werde keine ideologischen Mutmaßungen anstellen. Wir haben ein Programm und versuchen alle in unserem Zuschauerraum mit 900 Plätzen zu versammeln und ein möglichst gemeinschaftsstiftendes Erlebnis anzubieten. Das ist etwas, was wir auch weiterhin mit großer Anstrengung tun müssen, weil es Fronten abbaut, weil es Leute wieder ins Gespräch bringt über die Kunst, über das, was unser Leben ausmacht. Wenn wir in Umfragen bei über 30 Prozent Zustimmung für die AfD liegen, dann ist das vielleicht auch der Prozentsatz, den wir im Publikum annehmen müssen. Das ist nicht schön, aber eine Realität, mit der man sich zugewandt beschäftigen muss. Wir brauchen Verbindung in der Gesellschaft. Die konfrontative Strategie hat über 30 Jahre, oder seit es die AfD gibt, zu nichts anderem geführt, als dass die extremen Kräfte stärker geworden sind.

Und wie kommen Sie in den tatsächlichen Austausch?

In Nachgesprächen oder Einführungen zu den Aufführungen, auf der Straße. Wichtig ist, dass sich unser Theater in seiner Haltung unmissverständlich wahrnehmen lässt. Wir stellen uns gegen Rechtsextremismus und gegen Extremismus jeglicher Art. Das wissen die Weimarerinnen und Weimarer. Als sich der Vorsitzende des Landtagsfraktion der AfD zu einer wöchentlichen Kundgebung als Redner angemeldet hat, gab es eine große Gegendemonstration, die wir mit unseren Mitteln unterstützt haben. Sehr klar und deutlich.

Aus der Sicht des Kulturschaffenden: Worin besteht die konkrete Gefahr, wenn die AfD mehr Mitsprache in der Landesregierung in Thüringen bekommt?

Die thüringische Landesverfassung schreibt einer Fraktion, die über 33 Prozent Stärke hat, ein Vetorecht zu. Und das ist das erklärte Wahlkampfziel der AfD, wenn sie 30 Prozent plus vorgibt. Und da merkt man, wie infam die Sichtwiese auf demokratische Instrumentarien ist, wenn dies zum Ziel erklärt wird. Kultur ist ein umstrittener Kernbereich unserer Gesellschaft und insofern wird es spannend sein, wie die Parteien des demokratischen Spektrums diesen Bereich genauso wie die Bildung und den Sport – also da, wo viele Menschen unterwegs sind – in ihren Wahlprogrammen aufnehmen werden. Damit man sich als Wähler dort wiederfindet. Die AfD wird das tun.

Das hieße ja, dass die etablierten Parteien mit Fleiß der AfD die Türen öffnen. Sind sie tatsächlich so blind oder sind sie hilflos?

Nein, die sind nicht hilflos. In den Programmen der Parteien zur letzten Landtagswahl in Thüringen kann man das nachlesen. Da ist die Kultur oft gar nicht vorgekommen. Schlichtweg. Diese Unterlassung ist fatal. Deshalb gilt es, die demokratischen Parteien zu bestärken und zu animieren, sich für die gesellschaftlichen Themen in jeder Form argumentativ stark zu machen. Das heißt nicht, dass man überall immer gleich Millionen parat haben muss, um die Probleme zu lösen. Aber dass man die Dinge benennt, dass man Ziele benennt und man sich der Sachen annimmt. Dies ist unabdingbar, sogar zwingend. Wenn diese politische Unterstützung fehlt, haben es auch alle Ehrenamtlichen, alle Bürgerinnen und Bürger, die sich irgendwie gegen Rechtsradikalismus einsetzen, schwer. Damit meine ich keine Statements oder Reden zu Anlässen. Ich meine Ziele, Programme, Koalitionen, Allianzen, die in der Landespolitik und auch auf der kommunalen Ebene vorleben, was Verbindungen der guten Kräfte positiv freisetzen können.

Verraten Sie, was Sie am Samstag den Stuttgarterinnen und Stuttgartern mitgeben wollen?

Dann brauch' ich ja nicht mehr kommen.

Stimmt auch wieder.

Ich finde, dass wir die Aufmerksamkeit auf das Thema Rechtsradikalismus überregional durch gute Verbundenheit hochhalten müssen. Wir sollten aktiv die demokratischen Parteien animieren, ansprechen. Die kulturpolitischen Sprecher, die Fraktionsvorsitzenden. Aber auch auf kommunaler Ebene. In Thüringen sind nächstes Jahr Kommunalwahlen.

In Baden-Württemberg auch.

Einfach sagen: Leute, äußert euch. Sagt, was ihr euch in Zukunft vorstellt. Welche Visionen gibt es in einer Stadt, welche Visionen auf der Landesebene? Wir haben bestimmte Probleme vor uns, die versuchen wir gemeinsam zu lösen, weil es wichtig ist. Da würde ich Bildung und Kultur auf eine Stufe stellen. Ich glaube, Bildung ist sogar dringlicher. Wenn wir in zehn Jahren eine Generation haben, die nicht mehr komplex ausgebildet ist, dann brauchen wir bestimmte Kultureinrichtungen nicht mehr.


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6 Kommentare verfügbar

  • Gerald Wissler
    am 15.10.2023
    Antworten
    "Die thüringische Landesverfassung schreibt einer Fraktion, die über 33 Prozent Stärke hat, ein Vetorecht zu. Und das ist das erklärte Wahlkampfziel der AfD, wenn sie 30 Prozent plus vorgibt. Und da merkt man, wie infam die Sichtwiese auf demokratische Instrumentarien ist, wenn dies zum Ziel erklärt…
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