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Leni Breymaier

"Ich will keine Heldin sein"

Leni Breymaier: "Ich will keine Heldin sein"
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Sie war DGB-Vizechefin, Verdi-Vorsitzende, SPD-Landesvorsitzende – und immer laut. Mit ihrem Kampf gegen Prostitution hat sich Leni Breymaier bundesweit einen Namen gemacht. Und in die Nesseln gesetzt. Ein Treffen mit einer Frau, die keine Ruhe geben kann.

Eigentlich will sich Leni Breymaier nicht mehr aufregen. Das hat sie lange genug gehabt. Zuletzt als Abgeordnete im Bundestag. Und eine Besserwisserin ohne Mandat will sie auch nicht sein. Im Abklingbecken Gemeinderat, dem sie seit einem Jahr angehört, kann es die frischgebackene Eislinger Kommunalpolitikerin langsam angehen lassen. "Aber bei dieser Hexenjagd kann ich die Luft nemme anhalten", schnaubt die 65-Jährige. Die Empörung über den Umgang mit der Richterin Frauke Brosius-Gersdorf muss raus. Gejagt im Netz, diffamiert von CDU-Politikern, die sich falsche Anschuldigungen leichtfertig zu eigen machen, die juristische Kompetenz anzweifeln. Sie ist empört "über Männer, die sich das nur bei einer Frau trauen".

Der Skandal um die Causa Frauke Brosius-Gersdorf ist nicht nur der erste schwarz-rote Koalitionsclash, sondern das Paradebeispiel eines misogynen Backlash. "Wo Demokratien geschliffen werden, werden zuallererst Frauenrechte geschliffen", postete Breymaier gegen den Shitstorm. "Ich hab‘ dazu kluge Dinge im Netz gesagt", kokettiert sie jetzt, holt Luft und grinst: Selbst von diesem harten Foul an Frauen lässt sich die einstige familienpolitische Sprecherin der Berliner SPD-Fraktion den Humor nicht zersägen. Selbstironie hilft in schwierigen Zeiten. Unbescheidenheit auch.

Rollback bei der Gleichberechtigung ärgert sie

Eine Art Lebensresümee sollte es werden, das Abschiedsgespräch mit der Frau, die zwei Legislaturperioden für die SPD im Bundestag saß. Mit einem Abstand von vier Monaten, wenn das neue Leben schon ein bisschen Alltag geworden ist. Ein Besuch in Eislingen, Nachdenken über Erfolge und Misserfolge, über Déformation professionelle und darüber, welche Spuren so ein Leben als Gewerkschafterin, als Politikerin, als Kämpferin für Frauenrechte und gegen Prostitution hinterlässt. Und wie steckt frau den Wechsel von übervollen Terminkalendern zu gähnender Leere weg?

Doch manchmal sticht Gegenwart die Vergangenheit, schiebt sie in die zweite Reihe. Zumindest wenn der Rollback in Sachen Gleichbehandlung auf Leni Breymaier trifft. Und überhaupt: Wer sich mit ihr treffen und austauschen will, muss sich auf lebendiges Hüpfen zwischen Berlin, Stuttgart und Eislingen einstellen.

Die Politrentnerin sitzt in ihrem hellen Wohnzimmer mit Blick auf Eislingen, draußen klettern die üppigen Pflanzen über den hausumspannenden Balkon, dafür ist ihr Mann Uli zuständig, Chef der örtlichen Genossen. Genug Dampf abgelassen? Lachen. "Das muss manchmal sein."

Der Kampf für Frauen und Gleichberechtigung zieht sich durch ihr Leben, ein Leben, in dem Solidarität mehr ist als ein Wort. Als Verdi-Landesvorsitzende setzt sie sich für die Schleckerfrauen ein, die sich nach der Pleite des einstigen Drogeriekönigs zu Tausenden auf der Straße wiederfanden. Als SPD-Landesvorsitzende mischt sie mit ihrer Generalsekretärin Luisa Boos die Führungsriege der baden-württembergischen Sozialdemokraten auf. Im Bundestag ist sie als familienpolitische Sprecherin auch Anwältin der Frauen. Dass sie den Paragrafen 218 nicht abschaffen konnte, weil die FDP am Ende der Ampel alles blockte, schmerzt sie bis heute. "Danke blöde FDP."

Den "Würgereflex gegen Merz" hat sie unterdrückt

Leni Breymaier ist keine, die ihre Worte sorgfältig ziseliert. Sie sagt, was sie denkt, laut, deftig, gerne schwäbisch, oft unbescheiden. Dass das teuer werden kann, weiß sie spätestens, seit sie dem Stuttgarter Puffbesitzer John Heer in einer SWR-Sendung Zwangsprostitution vorgeworden hat. Davon ist sie zwar überzeugt, "aber es war dumm, das zu sagen". Sie weiß ja, dass der Bordellbesitzer ein klagefreudiger Kerl ist, der besonders gerne Frauen aufs Korn nimmt. Sie zuckt mit den Schultern, im Hintergrund schlägt eine alte Holzuhr die Stunde, die im modernen Wohnzimmer auffällt wie ein bunter Hund. Fehler passieren. Politik ist kein Ponyhof.

Vor allem, wenn man wie Breymaier eine streitbare Sozialdemokratin ist, die sich zur parlamentarischen Linken bekennt. Am heftigsten gehadert mit ihrer Partei hat sie 2005 bei den Hartz IV-Gesetzen und mit dem Gedanken gespielt, bei der neugegründeten WSG mitzumachen. Sie ist geblieben, hat in der Folge den "Würgereflex gegen Merz" unterdrückt, hat zähneknirschend dem Sondervermögen und weiteren Rüstungsausgaben zugestimmt und fast nie gegen die Koalitionsdisziplin rebelliert. "Ich bin eine Parteisoldatin", sagt sie. Im Grunde macht sie Politik wie Tarifverhandlungen: Man streitet, setzt sich zusammen, verhandelt hartnäckig, bis man ein Ergebnis hat. "Und dann hält man sich daran. Punkt." Außerdem verhält man sich – das ist ihr wichtig – solidarisch den Mitstreiter:innen gegenüber.

Das ist in der Politik alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Auch nicht bei den Sozis. 2016 sollte sie die SPD in Baden-Württemberg retten, die abgerutscht war auf 12,7 Prozent – und musste sich nach zwei Jahren selbst retten. Darüber redet sie nicht so gerne. Über die männlichen Heckenschützen auch nicht. Das blitzt nur auf, wenn sie heute die langjährige SPD-Chefin Saskia Esken gegen den Landesgeneralsekretär Sascha Binder in Schutz nimmt, der Esken öffentlich die Befähigung zum Ministeramt absprach. "Dieses Landesherzele wollte der Parteichefin die Welt erklären." Das hat sie geärgert. Ein Haudrauf ist sie nicht, aber sie schafft es, Gemeinheiten nett zu verpacken. "Sich auf dem Rücken von jemanden zu profilieren, das tut man nicht. Das ist unsolidarisch. Punkt." Und da spielt viel eigene Geschichte mit rein.

"Ja, ich bin nachtragend"

Gescheitert zu sein im Landesverband, das tut immer noch weh. Schließlich waren mit dem Antritt der Gewerkschafterin zur SPD-Chefin in Baden-Württemberg große Hoffnungen verbunden. Die Zeiten sollten vorbei sein, da über die SPD im Land als Urlaubsvertretung der CDU gespöttelt wurde. Nun sollte wieder das Soziale nach vorne rücken, Gerechtigkeit und Solidarität. Und wer war da geeigneter als die Verdi-Landeschefin? Eine Frau, die es von der Einzelhandelskauffrau bis an die Spitze der Gewerkschaft geschafft hatte, deren Mutter Krankenschwester, deren Vater Koch und Kellner war?

Das bezweifelten in der Landes-SPD manche Männer, die schon bald die Messer wetzten. "Ja, ich bin nachtragend, ich bin Aszendent Stier", sagt sie mit einem schmalen Lächeln. Es ist kein Zufall, dass sie jüngst zur Verdi-Landesversammlung ging und nicht zur Kür des SPD- Spitzenkandidaten für die Landtagswahl. Den steinigen Weg dahin wird Andreas Stoch ohne die Ex-Vorsitzende gehen müssen.

Breymaier ist eine Anpackerin. Und das geht so: Die Autorin Natascha Sagorski kommt mit ihrem Anliegen in ihr Berliner Büro. Sie hatte eine Fehlgeburt. "Und Leni war die erste Politikerin, die mit mir geredet hat", sagt Sagorski überall, wo sie heute auftritt. Nach der Fehlgeburt war sie von ihrer Ärztin nicht einen Tag krank geschrieben worden. Warum gibt es keinen Schutz für diese Frauen, fragte sie sich und suchte Verbündete in der Politik für einen gestaffelten Mutterschutz. Breymaier haben die Hartnäckigkeit und das Engagement der 40-Jährigen gefallen, sie hörte ihr nicht nur zu, sondern machte sich auch erfolgreich für ein Gesetz stark. Seit Juni 2025 haben Frauen, die eine Fehlgeburt erleiden, das Recht auf Regeneration. Darauf ist Breymaier ein bisschen stolz.

Der Wunsch nach Harmonie

Überzeugte Schwäbin

Leni Breymaier, geboren 1960 in Ulm, lernte Einzelhandelskauffrau und Substitutin. Sie wird Jugendvertreterin, dann Betriebsrätin, Mitglied im Gesamtbetriebsrat bei Horten und tritt in die SPD ein. Es folgen Stationen als Gewerkschaftssekretärin bei DAG und ÖTV, sie wird Vizechefin des DGB Baden-Württemberg (2002 bis 2007), Verdi Landesvorsitzende (2007 bis 2016) und SPD Landeschefin (2016 bis 2018). Für die SPD sitzt sie von 2017 bis 2025 im Bundestag und seit 2024 im Eislinger Gemeinderat, wo sie mit ihrem Mann lebt, der Ortsvereinsvorsitzender der örtlichen SPD ist.

Breymaier hat sich vorgenommen, ein Sexkaufverbot nach dem Nordischen Modell (Bestrafung der Freier) noch in diesem Leben durchzukriegen. Sie ist Vorstandsmitglied im Verein Sisters – für den Ausstieg aus der Prostitution sowie Gründungsmitglied der Eislinger Frauen Aktion efa.  (sus)

Frauenthemen sind ihre Leidenschaft. Wenn sie konkret die Situation von Menschen verbessern kann, ist sie dabei. "Aber ich leiste mir den Luxus, mich zu manchen Themen nicht zu äußern", sagt sie. Stuttgart 21 gehört dazu. Als die Proteste gegen den Tiefbahnhof losgingen, war sie Verdi-Chefin, damals hatte sie mit Werner Sauerborn, der bis heute einer der Sprecher gegen S 21 ist, einen vehementen Gegner als Gewerkschaftssekretär. Warum hat sie sich nicht eindeutig positioniert? "Das hätte mir den Laden zerrissen." Und das Friedensmanifest der SPD-Linken, das im Juni für Furore sorgte, hat die Parteilinke noch nicht mal gelesen, geschweige denn unterschrieben.

Der Luxus kann auch als Drückebergerei gelesen werden. Sie zuckt mit den Schultern. Sie achtet auf sich. Weiß, wo ihre Stärken liegen. Früher konnte Breymaier die Zerstörungskraft einer Cruise Missile im Verhältnis zu einer Pershing II runterbeten. Heute fühlt sie sich nicht so sattelfest, um damit auch in einer Talkshow bestehen zu können. Zur Wahrheit gehört wohl auch, dass sich hinter ihrer lauten Streitlust der Wunsch nach Harmonie versteckt.

Wer es von der Einzelhandelsfrau zur Bundestagsabgeordneten geschafft hat, kann zumindest nicht klagen, nichts erreicht zu haben. Sie freut sich über ihre Erfolge und nutzt den inzwischen leeren Terminkalender, um Freundinnen und Freunde zu besuchen, etwa den alten Verdi-Gewerkschafter Gerhard Manthey, der unter ihr das Journalistenvolk betreut hat. Dass sie manche heißen Eisen nicht anfassen will, mit der Landes-SPD hadert, verzeiht sie sich selbst. "Mut zur Lücke" könnte auf ihrem Grabstein stehen, überlegt sie kurz. Oder doch nicht? Nein, viel besser: "Sie mochte Menschen", schiebt sie nach.

Eislingen, Stadthalle. Vor 30 Jahren hat Breymaier die Eislinger Frauen Aktion (efa) mitgegründet. An diesem Sonntag Mitte Juli wird Jubiläum gefeiert. Mit dem OB als Festredner, einem Videofilm und der Laudatorin Natascha Sagorski, die die Festgäste mitreißt mit ihrer Erfolgsgeschichte zum gestaffelten Mutterschutz – und ihre Leni als Heldin preist. Den Jubiläumskuchen zieren die Porträts der efa-Gründerinnen. Klar, dass auch Breymaiers Bild ganz oben auf der Jubeltorte klebt. Und während sie noch neben der Jubiläumsrednerin Sargoski sitzt und nebenbei die Fragen der Journalistin beantwortet, wird ihr ein Kuchenstück mit ihrem Konterfei hingeschoben. Sie lacht. "Ja, ich habe viel erreicht", sagt sie, "und: Nein, ich will keine Heldin sein."

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1 Kommentar verfügbar

  • Andrea
    vor 14 Stunden
    Antworten
    Als Verdi-Chefin hat die hier Gehuldigte in der Causa Schlecker weiß Gott keine gute Figur abgegeben. Erst hat sie das Unternehmen dazu gedrängt mehr zu bezahlen als Konkurrent DM , danach , als das Unternehmen das nicht mehr Schultern konnte, hat sie Krokodilstränen vergossen. Selbstkritisches habe…
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