Selbst erfahrene Richter können sich mal irren. Geirrt mit seiner Prognose hat sich jedenfalls Wolfgang Kern vom Stuttgarter Verwaltungsgericht, der gut ein Jahr lang, von Mai 2023 bis Mai 2024, in der Mehrkostenklage der Deutschen Bahn AG gegen ihre Stuttgart-21-Projektpartner das Verfahren leitete. Am ersten Verhandlungstag hatte er noch gesagt, das Gericht gehe nicht davon aus, "dass es bei unserer Entscheidung bleiben wird". Auch nach der Urteilsverkündung am 7. Mai 2024 rechneten alle Beobachter damit, dass die endgültige Entscheidung erst in einigen Jahren erfolgen werde.
Doch so weit kam es nicht. Am vergangenen Freitag erklärte Olaf Drescher, Geschäftsführer der Stuttgart-21-Projektgesellschaft (PSU), dass die Bahn die Entscheidung des Verwaltungsgerichts geprüft und sich entschieden habe, keine Rechtsmittel dagegen einzulegen. Damit, sagte Drescher, "ist dieses Urteil rechtskräftig". Die Bahn wird die zusätzlichen Kosten, sieben Milliarden Euro, allein tragen. Im Dezember wären es neun Jahre gewesen, dass sie die Klage eingereicht hatte. Im Rahmen des Großprojekts eine fast schon überschaubare Zeit.
Diese knappe Erklärung war wohl die bedeutendste, zumindest überraschendste Information in der Pressekonferenz nach der Sitzung des S-21-Lenkungskreises am 24. Oktober. In dem Gremium treffen sich die Projektpartner von DB, Land Baden-Württemberg, Stadt und Region Stuttgart im Schnitt zweimal pro Jahr, und viele der letzten Termine waren von einer gewissen Zerknirschung und Gereiztheit angesichts der Verzögerungen und Probleme des Großprojekts geprägt. Im Juli 2025 gab es sogar einen Sonderlenkungskreis, bei dem der Zeitplan einiger Bauschritte – mal wieder – nach hinten verlegt und für Ende 2026 lediglich eine Teil-Eröffnung des neuen Bahnhofs verkündet wurde (Kontext berichtete). Am vergangenen Freitag dagegen prägte eine geradezu heitere und entspannte Stimmung die Beteiligten. Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) sprach von einer "ruhigen, informativen Sitzung", die drei anderen Vertreter der Projektpartner wiederholten dies sinngemäß. Läuft alles, so der Tenor.
Wer wird der neue Huber?
Hermann übernahm dabei mal wieder, wie so oft, die Rolle des Wasser-in-den-Wein-Gießers. Ja, man befinde sich auf der Zielgeraden, aber "auch auf der Zielgeraden kann man das Ziel noch verstolpern". Der Zeitplan sei immer noch eng, aber ab Mai 2026 könne mit Testfahrten auf der neuen Infrastruktur begonnen werden. Ganz sorgenfrei ist Hermann auch deswegen nicht, weil der Konzern Alstom mit dem digitalen Nachrüsten der S-Bahnen und Regionalzüge im Verzug ist und, so der Minister, schon viele Fristen gerissen habe. Das sei eine "echt angespannte Situation", darüber sei man "schon einigermaßen erstaunt und enttäuscht".
Von besonderem Interesse bei der Sitzung war aber eine Personalie: Statt DB-Infrastrukturvorstand Berthold Huber saß eben Olaf Drescher neben Hermann. Ende September war in Medienberichten zu lesen, dass Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) bei der Bahn den Posten des Infrastrukturvorstands abschaffen will und Huber wohl den Konzern verlassen werde. Was wird sich da im Lenkungskreis ändern, wenn es diesen Posten nicht mehr gibt? Dreschers Antwort ist kurz: "Kein Kommentar." Dafür will Hermann kommentieren: Als Projektpartner erwarte man schon, "dass die Deutsche Bahn bei ihrem größten und teuersten Projekt auch im Lenkungskreis entsprechend vertreten werde". Drescher hakt grinsend ein: "Es ist noch das teuerste Projekt der Bahn", wobei er "noch" sehr betont. Hermann, nun auch grinsend: "Wie, planen Sie noch teurere?" Große Heiterkeit im Raum. Hach, was sind schon Milliarden.
Pfaffensteigtunnel im Bundeshaushalt
Apropos Milliarden: Anfang September war zu erfahren, dass der Pfaffensteigtunnel für den Anschluss der Gäubahn an den S-21-Tiefbahnhof nun im Entwurf des Bundeshaushalts eingestellt sei, mit 1,69 Milliarden Euro – 2021 wurde er von der damaligen Bundesregierung noch mit einer Milliarde Euro taxiert, wiewohl andere Schätzungen schon damals Richtung drei Milliarden gingen (Kontext berichtete). Zuletzt herrschte hier noch eine gewisse Unsicherheit, lange fehlte die Finanzierungszusage der Bundesregierung. Entsprechend freuen sich alle im Lenkungskreis, dass diese Hängepartie nun beendet sei. Mit der Verabschiedung des Bundeshaushalts, sagt Drescher, würden die Weichen gestellt werden für diese "zwingend nötige Maßnahme". Und Hermann geht davon aus, dass die Planfeststellungen in diesem Jahr noch abgeschlossen würden, so dass 2026 mit dem Bau begonnen werden könne, "und dass es tatsächlich mal schneller klappen könnte, ein Großprojekt zu bauen". Nach sechs Jahren Bauzeit soll der Tunnel fertig sein, und während Hermann früher daran zweifelte ("eher zehn bis fünfzehn Jahre"), scheint er nun zuversichtlich – zumindest öffentlich.




1 Kommentar verfügbar
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Guten Morgen,
Kommentare anzeigenJupp
vor 5 Stundenunglaublich, dass sich über 20000 Menschen gegen Wohnungsbau und Parkflächen einsetzen.
Aber so what, wir leben in verrückten Zeiten.
Apropos verrückt. Kennt ihr das Projekt zweite Stammstrecke der S-Bahn in München?
10,1 km Strecke. 7 km Tunnel. Die Baukosten liegen vor…