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S-21-Gleisflächen und Eisenbahngesetz

Bebauen einstweilen verboten

S-21-Gleisflächen und Eisenbahngesetz: Bebauen einstweilen verboten
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Schrecken für Stuttgart-21-Fans im Sommer: Durch die Neufassung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes würde die Bebauung der irgendwann mal vielleicht freiwerdenden Gleisflächen unmöglich. Es laufen bereits Bemühungen um eine Novelle der Novelle.

Wenn sich der Stuttgarter Oberbürgermeister zu Unflätigkeiten gegenüber dem Gesetzgeber im Bund versteigt, muss er schon einen kleinen Schock erlitten haben. Und das war wohl für den glühenden S-21-Fan Frank Nopper (CDU) im Sommer die Erkenntnis, dass durch die Neufassung des Paragrafen 23 im Allgemeinen Eisenbahngesetz (AEG) die Bebauung der Gleisflächen verunmöglicht wird, die, sollte das Großprojekt einmal fertig werden, frei werden könnten. Was ja stets der eigentliche Grund für das Projekt war, nämlich Platz für Immobilien zu schaffen. Jedenfalls befand Nopper, der Bundestag habe wohl "mehrheitlich in einem Zustand kollektiver legislativer Verirrung" das Gesetz beschlossen.

Die Novelle beinhaltet, dass stillgelegte Gleisflächen nur dann einer neuen Nutzung zugänglich gemacht werden können, wenn ein "überragendes öffentliches Interesse" besteht. Ein solches ist gegeben, wenn die Neunutzung etwa dem Klimaschutz dient, der Energieversorgungssicherheit oder der Landesverteidigung. Bei Wohnbebauung nicht. Da es in Deutschland momentan eine lange Liste von Reaktivierungsvorhaben stillgelegter Bahnstrecken gibt, die wegen neu genutzter, meist bebauter Gleisflächen nicht vorankommen, eine sehr sinnvoll erscheinende Neuerung.

Ausgabe 698, 14.08.2024

Immobilienträume in Gefahr

Von Oliver Stenzel

Die Aufregung in Stuttgart ist groß darüber, dass eine Änderung des Eisenbahngesetzes die Bebauung der Gleisflächen, die durch S 21 frei werden sollen, vereiteln könnte. Dabei ist das Klagen über ausgebremste Wohnbebauung eine Phantomdebatte.

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Tatsächlich dürfte vielen in der Bundesregierung nicht gedämmert haben, dass die Gesetzesnovelle auch diese konkrete Folge haben könnte. Denn nachdem sowohl Vertreter der Stadt als auch der baden-württembergischen Landespolitik lautstark ihren Unmut über den neuen Paragrafen 23 kundgetan hatten, war bald von Überlegungen über eine Novelle der Novelle zu hören. Erste Schritte zu einer neuerlichen Neufassung wurden von der Bundesregierung schon in Angriff genommen, Vertreter aus Landes-CDU und -FDP beschuldigten faktenfrei Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne), diese zu blockieren. Nach dem Ampel-Aus wird eine neuerliche Novelle aber tatsächlich kaum noch in der verbleibenden Legislaturperiode über die Bühne gehen.

Die Stadt Stuttgart will offenbar nicht warten. Am 7. November, einen Tag nach dem Bruch der Ampel, beschloss der Gemeinderat, eine kommunale Verfassungsbeschwerde zur Neufassung des AEG-Paragrafen zu erheben. In der Gemeinderatssitzung wiederholte Nopper seine Schmähung des Bundestags und sprach davon, die Novelle mache eine "städtische Jahrhundertchance" zunichte. Dieser Sichtweise folgte dann auch das Gros der Stadträte bei nur acht Gegenstimmen (von den Fraktionen Linke/SÖS sowie Puls).

Ob die Verfassungsbeschwerde angenommen wird oder sich eine neue Bundesregierung mit der Re-Novellierung befasst, bleibt abzuwarten. So lange gilt jedenfalls erstmal die verschärfte Neufassung – auch wenn die Stadt Stuttgart bereits angekündigt hat, im Januar auf dem zu den S-21-Flächen gehörenden C-1-Areal Bäume für die sogenannte "Maker City" fällen zu wollen.

Unabhängig von einer AEG-Novelle könnte es aber ohnehin noch länger dauern, bis die Stadt überhaupt anfangen kann, die Gleisflächen umzunutzen. Denn ob die S-21-Fertigstellung tatsächlich bis Ende 2026 gelingt, wie die DB behauptet, steht in den Sternen. Zweifel sind angesichts der Projekthistorie angebracht, und kurz nach einer Lenkungskreissitzung der S-21-Projektpartner Anfang Dezember machten schon wieder Gerüchte über erneute Verzögerungen die Runde. Sollte der neue Bahnhof dann doch irgendwann fertig sein, muss sich erst in der Testphase zeigen, ob er überhaupt genug leistet – wenn nicht, müssten die alten oder ein Teil der alten Gleise liegen blieben.

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3 Kommentare verfügbar

  • Frübis Johannes
    vor 3 Wochen
    Antworten
    Nach wie vor unklar ist, ob die frei werdenden Flächen verkauft werden, oder Ob das Erbaurecht zum tragen kommt.
    Eine Klärung ist von herausragender Wichtigkeit.
    Bei der CDU und FDP ist die Sache ja klar.
    Es war auch schon mal von Erbaurecht die Rede.
    Dies könnte aber auch ein Ablenkungsmanöver…
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