Es ist nicht so, dass das von FDP-Mann Volker Wissing geführte Bundesverkehrsministerium immer nur den Autoverkehr gegenüber anderen Mobilitätssparten bevorteilt. Im Oktober 2023 schaffte es ein geänderter Paragraf des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) durch sämtliche Institutionen, der tatsächlich eine für den Bahnverkehr sehr interessante Neuerung bedeutet. Konkret: Paragraf 23 des AEG, der die "Freistellung von Bahnbetriebszwecken" regelt, wurde modifiziert. Damit stillgelegte Gleisflächen freigestellt und einer neuen Nutzung, etwa Bebauung, zugänglich gemacht werden können, bedarf es fortan eines "überragenden öffentlichen Interesses". Sonst geht es nicht.
Und ein "überragendes öffentliches Interesse" ist nur unter sehr bestimmten Voraussetzungen gegeben: Wenn die Neunutzung dem Klimaschutz dient, der Energieversorgungssicherheit, einer funktionierenden Gesundheitsversorgung, der Landesverteidigung oder auch mal dem Bau von Fernstraßen, wie die Würzburger Verwaltungsrechts-Kanzlei Baumann in einem Gutachten zu der Novelle darstellte. Wohnbebauung erfüllt die Kriterien nicht.
Eine überaus sinnvolle Änderung vor dem Hintergrund, mehr Personenverkehr auf die Schiene zu bringen. Denn das geht langfristig nur, wenn entweder neue Strecken gebaut oder alte, stillgelegte reaktiviert werden. Für Letzteres hat das baden-württembergische Verkehrsministerium schon vor einigen Jahren ein Programm aufgelegt (Kontext berichtete). Bei Reaktivierungen gibt es allerdings viele Hindernisse. Ein mögliches Problem ist, dass alte Trassenflächen nun in privatem oder kommunalem Besitz und schon neu genutzt sind, zum Beispiel für Bebauung, Straßen oder Landwirtschaft, wie etwa bei der vom Land geprüften Leutkirch-Isny-Bahn. Mit der Folge, dass für eine Reaktivierung eine neue Trasse gebaut werden müsste. Dies würde durch die Verschärfung des Paragrafen 23 nun erheblich erschwert.
Baubürgermeister nennt die Novelle verfassungswidrig
Für Jubel sorgte die Änderung aber zunächst nicht, sondern für großen Unmut, vor allem in Stuttgart: Durch die Neufassung des Paragrafen wäre eine Bebauung der Gleisflächen, die durch die Tieferlegung von Bahnhof und Strecken im Rahmen des Projekts Stuttgart 21 irgendwann frei werden sollen, unmöglich gemacht, und das geplante Rosensteinquartier hinfällig. Was für die Stadt auch deshalb unangenehm wäre, weil sie die Gleisflächen der Bahn bereits im Jahr 2001 für 459 Millionen Euro abgekauft hat, um dem Staatskonzern die Weiterverfolgung von S 21 schmackhaft zu machen – lange, bevor eine Bebauung in Aussicht schien.
11 Kommentare verfügbar
Bernd Letta
am 14.08.2024Dagegen sieht der Erhalt von nützlicher Schieneninfrastruktur leider alt aus.
Die jüngeren…