Diese Fans wollen einfach weiter an die Märchen der Bahn glauben. Die CDU-Landtagsabgeordnete Sabine Hartmann-Müller kommt vom Hochrhein, absolviert ihre zweite Legislaturperiode im Parlament, ist aber noch nie durch besondere Kenntnisse zu Stuttgart 21 und der Schnellbahnstrecke aufgefallen. Dennoch darf sie in der Landtagsdebatte vergangene Woche nach der Sitzung des S-21-Lenkungskreises am 11. Juni im Namen ihrer Fraktion die jüngste Entwicklung kommentieren. In dem Gremium der S-21-Projektpartner hatte die Bahn, nicht unerwartet, die Verschiebung der Eröffnung um ein Jahr auf Ende 2026 verkündet. Hartmann-Müller nennt diiese Zeitverzögerung „mehr als ärgerlich“, bringt aber auch den Werbetext der DB zur Verlesung: Im neuen Hauptbahnhof werde im Hochleistungsbetrieb auf jedem der acht Bahngleise alle fünf Minuten ein Zug fahren, "und auf jedem der acht anschließenden Gleise ist eine mittlere Zugfolge von zwei Minuten möglich". Copy-and-paste vom Feinsten!
Die frühere Ortsvorsteherin in der 5.000-Seelen-Gemeinde Herten glaubt entweder selber oder sie spielt es dem Parlament bloß vor, dass durch die Verschiebung im Tiefbahnhof "ein ausreichender Probebetrieb ermöglicht wird, was eine sichere und stabile Inbetriebnahme gewährleistet, dass Ende 2026 nicht nur Teile, sondern voraussichtlich der gesamte Bahnhof und der Bahnknoten in Betrieb gehen" könne. Auch dies hatte, weitgehend wortgleich, DB-Infrastrukturvorstand Berthold Huber im Lenkungskreis referiert. Und dabei ein gehöriges Maß an Chuzpe bewiesen: Denn der einjährige Probebetrieb, in dem die alte Bahn-Infrastruktur mit Kopfbahnhof als Rückfallebene erhalten bleibt, den Huber als große Neuigkeit verkaufte, geradezu als unverhofften Nutzen aus der Verschiebung – genau dieser Probebetrieb über genau diese Zeitspanne war auch schon 2010 als das geplante Vorgehen vor Inbetriebnahme des neuen Bahnhofs dargestellt worden. Wer damals Heiner Geißlers (CDU) Faktencheck folgte, mag sich erinnern. Auf Kontext-Frage, was denn daran neu sein soll, antwortete Huber: "2010 gab es noch keinen digitalen Knoten."
Nun ist Erinnerung in Bezug auf Stuttgart 21 nicht die größte Tugend der Landes-CDU, und Sabine Hartmann-Müller, die europapolitische Sprecherin ihrer Fraktion, beweist auch beim Blick in die Zukunft eher Wunschdenken als Realitätssinn: Es sei nun wichtig, "auf den letzten Metern dieses Marathonlaufs nicht nachzulassen und das Projekt konsequent zu Ende zu führen".
Kretschmann bleibt die Eröffnungsrede erspart
Von letzten Metern kann gar keine Rede sein. "Es wird noch Jahre dauern", sagt Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) in der Landtagsdebatte, und er kann seine Skepsis gegen die neue Terminierung auch in der Pressekonferenz nach der Lenkungskreissitzung nicht verhehlen: "Ich bleibe bei meinem Spruch: Einstweilen wird der Bahnhof 2026 in Betrieb gehen. Einstweilen." Dabei hätte eine Eröffnung einen ziemlich interessanten Verlauf nehmen können, wenn sie denn wie zuletzt geplant im Herbst 2025 stattfände: Mehrfach hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) eine Generalabrechnung mit dem Projekt angekündigt. Devise: Jetzt rede ich mal, was ich wirklich denke, alles muss raus.
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Bee Schaf
am 08.07.2024