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"Reichsbürger"-Demo in Karlsruhe

Mit Kaiser gegen "Staatssimulation"

"Reichsbürger"-Demo in Karlsruhe: Mit Kaiser gegen "Staatssimulation"
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Am vergangenen Wochenende hielten etwa 350 "Reichsbürger" in Karlsruhe ein "großes Treffen der Bundesstaaten" ab. Im Südwesten ein Novum. Ein Redner forderte ein großdeutsches Reich "von der Maas bis an die Memel" und nannte Heinrich XIII. Prinz Reuß einen "politischen Gefangenen".

Sigrid G. ist verärgert. "Was ist los mit Euch???", fragt sie. "Findet sich hier wirklich niemand, der Euren Bundesstaat und Euch als Gastgeber präsentieren möchte?" Wenige Tage, bevor "Das große Treffen der Bundesstaaten" in Karlsruhe stattfinden soll, ist die Stimmung im Telegram-Kanal "Großherzogtum Baden" angespannt. Unter den "Reichsbürgern" herrscht ein rauer Ton.

Hunderte wollen am 26. Juli in die ehemalige Hauptstadt des Großherzogtums kommen, um den angeblichen Fortbestand des deutschen Kaiserreichs von 1871 mit Fahnen und Schildern der 26 Bundesstaaten zu demonstrieren. Unter den Staaten, die sich in Karlsruhe präsentieren, soll mit dem "Reichsland Elsaß-Lothringen" auch eine Region im heutigen Frankreich vertreten sein. Allzu gerne würden "Reichsbürger" die territorialen Grenzen verschieben.

Als Gastgeber soll das Großherzogtum Baden den Demonstrationszug durch die Stadt anführen. Allerdings ist Sigrid G. bis zuletzt auf der Suche nach Fahnen- und Schildträger:innen für den Bundesstaat. Am Ende scheint sie doch noch einige gefunden zu haben, wie am Samstag vor Ort zu beobachten ist.

Die Versammlung in Karlsruhe ist bereits das sechste "große Treffen der Bundesstaaten" und das erste in Baden-Württemberg. Der Auftakt war 2023 mit 1.200 "Reichsbürgern" in Magdeburg. Dresden, Gera, Schwerin folgten. Nur ein Treffen war bislang in Süddeutschland: 500 "Reichsbürger" kamen im August 2024 nach München, um das Kaiserreich zu bejubeln.

"Gewisses Risikopotential"

Im Vorfeld des "großen Treffens" lud die "Stiftung Forum Recht", die ihren Sitz in Karlsruhe hat, zu einem Pressegespräch zum "Reichsbürger"-Milieu. Die Stiftung wurde 2019 gegründet, um das Recht und den Rechtsstaat in Deutschland zu stärken. Recht und Rechtsstaat – das sind die Feinde der "Reichsbürger". Ziel des Gesprächs war, Journalist:innen die Ideologie und die Strukturen des Milieus nahezubringen und ihnen zu vermitteln, was sie in Karlsruhe erwartet.

Man solle "vorsichtig" sein, riet Frank Dittrich. Der stellvertretende Leiter des baden-württembergischen Landesamtes für Verfassungsschutz warnte, für Journalist:innen bestehe vor Ort ein "gewisses Risikopotential". In der Vergangenheit haben einzelne Teilnehmer:innen die "Systempresse" angefeindet und bedroht.

Auch in Karlsruhe herrscht am Samstag ein angespanntes Klima gegenüber Journalist:innen. Rund 350 "Reichsbürger" nehmen an der Versammlung teil, etwa 250 Menschen protestieren gegen das "große Treffen". Die Polizei ist mit 200 Einsatzkräften vor Ort und resümiert, es sei im Wesentlichen friedlich geblieben.

Unter den anwesenden "Reichsbürgern" sind offen Rechtsextreme. Zum Beispiel Frank Haußner aus Thüringen. In der Vergangenheit ist er als Duzfreund des AfD-Politikers Björn Höcke und als Kopf der "Patrioten Ostthüringen" aufgefallen. In seiner Rede nennt er den mutmaßlichen Rädelsführer der "Patriotischen Union", Heinrich XIII. Prinz Reuß, einen "politischen Gefangenen dieser BRD".

Im Dezember 2022 wurde Prinz Reuß gemeinsam mit zwei Dutzend Menschen aus dem "Reichsbürger"-Milieu bei einer Großrazzia festgenommen. Aktuell laufen an den Oberlandesgerichten Frankfurt/Main, München und Stuttgart die Verhandlungen gegen 27 Angeklagte der "Patriotischen Union". Das Netzwerk soll versucht haben, die Bundesrepublik mit Waffengewalt zu stürzen. Im Laufe der Verhandlungen wurde bekannt, dass Haußner offenbar seit Jahren mit Heinrich XIII. Prinz Reuß in Kontakt steht. Über den Kontakt berichtete der MDR im Juli 2024.

"Verräter an unserem Volk"

In seiner Rede wird Haußner deutlich. Der "Reichsbürger" behauptet, die BRD sei eine "Scheindemokratie" und eine "Staatssimulation". Längst sei die Gewaltenteilung abgeschafft und eine Diktatur errichtet. Nun wolle die Regierung den "endgültigen Untergang herbeiführen". Deshalb seien die Politiker:innen, so Haußner, "Verräter an unserem Volk" und "mutmaßlich des Landesverrates schuldig".

Haußner beschwört das großdeutsche Reich. Er sagt: "Wir verstehen uns als Volk entsprechend unserer Abstammung und unserer angestammten Siedlungsgebiete von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt." Diese Flüsse werden in der ersten Strophe des Deutschlandliedes besungen. Sie reichen in etliche Nachbarstaaten der Bundesrepublik; damit stellt Haußner die territoriale Integrität jener Staaten in Frage.

Währenddessen trägt der Moderator der Versammlung, offensichtlich von US-Präsident Donald Trump inspiriert, eine rote Schildkappe mit der Aufschrift "Make Germany Great Again". An der Seite der Kappe ist eine schwarz-weiß-rote Fahne angenäht. Vor Ort werden die Kappen verkauft, einige Teilnehmer:innen tragen sie. Man habe sich lange Zeit blenden lassen, sagt der Moderator, "dass unsere Großeltern Verbrecher waren" und "dass ein sogenanntes Kaiserreich eine Diktatur gewesen sein soll".

In der Versammlung werden die einzelnen Bundesstaaten präsentiert. Die Art und Weise ist bizarr: Oft sind bloß ein, zwei, drei Menschen mit Fahne und Schild ihres Bundesstaates da, um – während die Hymne des jeweiligen Staates abgespielt wird – eine Runde auf dem Karlsruher Schlossplatz zu drehen. Für das Großherzogtum Baden und das Königreich Württemberg hingegen treten mehrere Dutzend an. Später ziehen die "Reichsbürger" mit den Fahnen und Schildern durch die Innenstadt.

Das Heil im Reich

Die Teilnehmer:innen eint der Glaube an das Kaiserreich. Was eint sie noch? Im Pressegespräch vor der Demonstration erklärte Verena Fiebig vom "Kompetenzzentrum gegen Extremismus in Baden-Württemberg", die meisten "Reichsbürger" hätten im Zuge einer Lebenskrise in das Milieu gefunden. Krise im Job, Krise durch Erkrankung, Krise in der Ehe. Es seien "häufig multiple Problemlagen", erläuterte die Wissenschaftlerin. Krise bedeutet Kontrollverlust.

Die Ideologie der "Reichsbürger" gibt ein Stück weit die Kontrolle zurück. Sie verspricht – nichts weniger als – "Frieden, Freiheit, Souveränität". Mit dem Versprechen, die Kontrolle wiederzuerlangen, erlebt das Reichsbürger-Milieu seit Jahren einen starken Zulauf. Verena Fiebig merkte an, seit der Corona-Pandemie nehme der "Organisationsgrad der Szene" zu. Die "großen Treffen" sind Ausdruck wachsender Netzwerke.

Ausgerechnet eine Therapeutin, die Menschen in akuten Krisen helfen will, ist an der Organisation des "großen Treffens" beteiligt. Johanna B. wirbt im Netz: "Ich biete Dir eine traumasensible und wirksame Unterstützung in einer herausfordernden Lebenslage." Auf dem Schlossplatz hält sie eine Rede. Die Therapeutin erklärt, die Versammlungen würden das "Bedürfnis nach Freiheit" befriedigen. Und die Verfassung von 1871 würde Ordnung und Sicherheit erzeugen. Ihre Rede endet mit Applaus.

Man glaubt offenbar, das Heil im Reich zu finden.

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2 Kommentare verfügbar

  • Philipp Horn
    vor 17 Stunden
    Antworten
    Hoffentlich kommt er wenigstens wegen Steuerhinterziehung dran.
    Wenn die Leute so dumm sind, dem Ballweg das Geld hinterherzuschmeißen , sind sie selber schuld . Insofern kann der dafür nicht verurteilt werden & für fak news leider auch nicht.
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