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Reichsbürger und Kryptowährung

Vom Krypto-Werber auf die Anklagebank

Reichsbürger und Kryptowährung: Vom Krypto-Werber auf die Anklagebank
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Beim Reichsbürgerprozess in Stuttgart-Stammheim sitzt auch Alexander Quade auf der Anklagebank. Bekannt ist er als QAnon-Anhänger aus der Corona-Zeit. Und als Vermarkter von OneCoin, einer erfundenen Krypto-Quatsch-Währung, die eine Frau aus dem Schwarzwald reich werden ließ.

Montag, 29. April 2024. Vor dem Oberlandesgericht Stuttgart hat der erste Prozess gegen die Reichsbürgerverschwörer um Heinrich 13. Prinz Reuss begonnen. Neun Männer sitzen auf der Anklagebank. Sie sollen den militärischen Arm der Gruppe gebildet haben, der die Planung eines Putsches vorgeworfen wird. Zu ihnen gehört auch Alexander Quade. Die Hände in Handschellen auf dem Rücken gefesselt betritt er den Gerichtsaal. Ein Justizbeamter hält eine orangerote Mappe vor sein Gesicht. Quade trägt eine hellgraue Daunenjacke, sein hellblaues Hemd spannt etwas über dem Bauch. Die graumelierten Haare sind akkurat gescheitelt. Quade spricht nur kurz und beantwortet die Frage, ob er aussagen möchte. Anders als die meisten seiner Mitangeklagten hat er im Publikum "keine family and friends", wie taz-Korrespondent Benno Stieber beobachtet hat.

Laut Generalbundesanwalt agierte der aus Hessen stammende Quade als "Sprachrohr" der Gruppe. Auf seinem Telegram-Kanal habe er "verschwörungstheoretische Inhalte im Internet verbreitet". Er habe vom bevorstehenden Einschreiten der "Allianz" berichtet. Das sollte das Startsignal zum Losschlagen für die eigene Gruppe sein. Nach der "Machtübernahme" sollte Alexander Quade den Bundeswehrsender "Andernach" übernehmen und einen eigenen TV-Sender für Propagandazwecke gründen, heißt es in der Anklageschrift.

Quades Berliner Anwalt Khubaib Ali Mohammed sagte dem "Stern" Ende April, Alexander Quade (auch der Stern nennt seinen vollen Namen) habe "mit Militär und Waffen nichts zu tun" gehabt. Er sei auch kein Reichsbürger: "Mein Mandant sagt ganz klar, dass er kein Reichsbürger ist. Er bestreitet die Existenz der Bundesrepublik Deutschland keineswegs und akzeptiert unser Rechtssystem."

Ob das stimmt?

Quade und OneCoin

Quade, Jahrgang 1965, ist verheiratet, hat zwei Kinder. Studiert hat er nach eigenen Angaben Ingenieurwissenschaft, Wirtschaft und Finanzen. Nach dem Studium habe er unter anderem Investment-Fonds im Network Marketing verkauft. Außerdem sei er ein "zertifizierter System Business Coach". Bis vor wenigen Jahren hat Alexander Quade auch die angebliche Kryptowährung "OneCoin" im Internet und in Videos beworben.

"OneCoin" ist ein milliardenschwerer Schwindel im Schneeballsystem, auf den weltweit mindestens 3,5 Millionen Menschen reingefallen sind. In Deutschland sind etwa 60.000 OneCoin-Käufer aktenkundig.

Mit einem szenebekannten OneCoin-Werber, Martin Mayer aus Liechtenstein, hat Quade sogar ein Buch geschrieben, "Cash Killer". Und er taucht gemeinsam mit ihm in einem Video auf und wirbt darin für OneCoin: Mayer und Quade fachsimpeln darin im Februar 2020 über die Weltwirtschaft während Corona. Sie stellen fest, obwohl die Wirtschaftsleistung zurückgehe, stiegen die Aktienkurse. Der Grund sei, die Wirtschaft suche nach einem "sicheren Hafen". Und der sei eine neue, limitierte Welt-Kryptowährung. "Für uns ist das natürlich OneCoin", sagt Mayer – und Quade pflichtet ihm bei: "That's it." Am Ende fordert Quade die OneCoiner auf: "Keep your Coins. Behaltet Eure OneCoins, verschwendet sie nicht für Lamborghinis oder Häuser, bewahrt sie auf. Ihr werdet reich."

In etlichen weiteren Videos im Frühjahr 2020 tritt Quade gemeinsam mit einer anderen OneCoin-Verkäuferin, Nelia Müller, auf. Sie hat sich auf Facebook auch "Nelly Diamond" genannt. Abgeleitet von "Black Diamond", der höchsten Stufe in der OneCoin-Hierarchie. In einem Video Anfang April 2020, also zu Beginn der Corona-Pandemie, behauptet Quade im Gespräch mit Nelia Müller, es seien 15.000 Reservisten eingezogen worden, um für Sicherheit in den Städten zu sorgen und Sanitätsdienste zu leisten. Altenpfleger, Krankenschwestern, aber keine Ärzte, wundert er sich. Er habe von einem Gespräch eines weiteren mit "jemandem aus dem Stab des Bundeswehr" erfahren, der habe "wörtlich" von "Kanonenfutter" gesprochen. "Sehr merkwürdig", raunt Quade. Auf der morgendlichen Runde mit seinem Hund habe er seinen "Hundefreund Wolfgang" getroffen, der auch bei der Bundeswehr gewesen sei, und den gefragt, wann denn eigentlich Soldaten im Inneren eingesetzt werden dürfen. Hundefreund Wolfgang sagte: nur im "V-Fall", dem Verteidigungsfall. Bedeutungsschwere Pause. "Fand ich spannend", sagt Quade. Müller spricht von ihrem Zahnarzt, der seine Termine habe absagen müssen, aber er dürfe "nicht näher drüber reden". In den nächsten Zeiten sei da aber was mächtig im Umbruch.

Wenig später berichtet Müller auf Youtube, ein US-Bekannter habe vom damaligen US-Präsidenten Donald Trump einen Riesenauftrag für Beatmungsgeräte für Säuglinge erhalten. "Wofür?", fragt Nelia Müller. Und weiß die Antwort: "Es geht um die geretteten Babys." Quade ergänzt, es gehe um die 100.000 Kinder, die im Central Park in Erstversorgungsstellen betreut würden und von Trump gerettet worden seien. Die beiden beziehen sich auf das QAnon-Märchen von den angeblichen Eliten, die im Untergrund New Yorks Babys Adrenochrom abzapfen, einen Stoff, der jung halten soll. Später erklärt Quade im selben Video, er wolle nicht "in Verschwörungstheorien reingehen", aber ein Friedensvertrag nach den beiden Weltkriegen "muss von einem Kaiser unterschrieben werden". Der habe den Krieg schließlich erklärt, so die Logik. Sie hätten nun die Nachricht bekommen, am 20. April (!) 2020 werde "der Generalinspekteur der Bundeswehr von den Alliierten eingesetzt werden und die Regierungsgeschäfte übernehmen". Der angeblich nur von einem Kaiser zu unterschreibende Friedensvertrag ist ein Klassiker aus der Reichsbürgerszene.

Im Mai 2020 berichten die beiden von einer angeblichen Jalta-Konferenz, auf der die Staaten neu geordnet würden, "obendrüber" käme ein Ältestenrat der "drei Weltmächte China, USA und Russland". Da werde Putin denn auch "Gesara" ausrufen. Das ist, in Kürze, eine Finanzverschwörungserzählung, wonach der gesamte Geldmarkt neu geordnet werde, alle Schulden erlassen und alle sehr viel Geld bekommen sollen. Das sei alles schon generalstabsmäßig vorbereitet. Nach Putins Verkündung würden in allen 120 teilnehmenden Ländern Neuwahlen ausgeschrieben, versichert Quade. Gleichzeitig schwadroniert er in seinen Videos mit Müller von der Kryptonisierung und einer allgemeinen Weltwährung, die die bisherige Währungen wie Dollar, Yen und Euro ablösen würde. Und diese Kryptowährung kennen die beiden natürlich gut: OneCoin.

Sie unterhalten sich über die OneCoins, die sich enorm vermehrten. 50.000 Coins pro Minute. Damit seien die 420 Milliarden OneCoins, die in der Blockchain drin seien, schon übertroffen. Das finden die beiden zwar merkwürdig, sind aber froh, dass der Kurs für einen OneCoin bei 42 Euro liege. Das alles im Übrigen, nachdem die Kryptoqueen Ruja Ignatova schon seit zweieinhalb Jahren von der Bildfläche verschwunden ist und ihr Bruder in New York vor Gericht ausgesagt hatte, OneCoin sei ein Schwindel. 

OneCoin und die "Kryptoqueen" aus Schramberg

Gegründet hatte die Firma OneCoin die in Schramberg im Schwarzwald aufgewachsene Ruja Ignatova im Jahr 2014 zusammen mit dem Schweden Sebastian Greenwood, einem Verkaufsgenie aus der Multi-Level-Marketing-Welt (Kontext berichtete). Bei diesen Pyramidensystemen verdienen die oben in der Pyramide Stehenden immer auch an den Verkäufen ihrer Unter-, Unterunter- und Unterunterunter-Verkäufer mit. Greenwood stand ganz oben, nannte sich "ZeroZeroOne" bei OneCoin, kassierte hunderte Millionen Dollar. Inzwischen verbüßt er deshalb eine 20-jährige Haftstrafe in einem New Yorker Gefängnis.

Ruja Ignatova hatte bei bombastischen Veranstaltungen für ihre Kryptowährung geworben. Die selbsternannte Kryptoqueen ist am 25. Oktober 2017 von Sofia nach Athen geflogen. Seither ist sie spurlos verschwunden. Das FBI setzte sie auf die Liste der zehn meistgesuchten Verbrecher.

Ihren jüngeren Bruder Konstantin Ignatov, ebenfalls in Schramberg aufgewachsen, verurteilt der New Yorker Richter Edgardo Ramos im März zu "time served" (Strafe abgesessen), nachdem er dreieinhalb Jahre in US-Gewahrsam verbracht hatte. Schnurstracks fliegt "Konsti Keks", wie seine Schramberger Jugendfreunde ihn nannten, nach Sofia zurück. Dort lebt er in einer großzügigen dreistöckigen Villa, die ihm seine Mutter Veska überschrieben habe, wie "Spiegel Online" berichtet. Die Villa liegt in einer ruhigen Straße, gesäumt von Koniferen. Mitte April läßt er sich in Berlin ein Tattoo auf den kahlrasierten Hinterkopf stechen: "Invincible" – unbesiegbar. Mit der Presse reden will er nicht: "Einem Reporter knallte er die Tür vor der Nase zu", schreibt der "Spiegel".

Zurück zum Angeklagten Alexander Quade: Was er nach seinem Studium an der Rheinischen Hochschule in Köln von 1994 bis 1998 beruflich gemacht hat, ist schwer zu sagen. Auf einer Homepage bezeichnet Quade sich als Coach und "Sparringspartner für Unternehmer". In mehr als 100 Unternehmen habe er seine "Fußstapfen hinterlassen". In einem Video aus dem Jahr 2014 verspricht Quade, die "geheimem Strategien der weltbesten Führungskräfte" zu verraten.

Zuletzt nennt er sich auf LinkedIn geschäftsführender Teilhaber der qwp GmbH – unter anderem bot sie Training & Coaching an – in Wettenberg in Hessen. Das Unternehmen hatte er im Sommer 2015 in Tettnang gegründet. Die Firma ist allerdings im August 2022 "wegen Vermögenlosigkeit von Amts wegen gelöscht" worden, nachdem Quade schon 2019 die Liquidation beantragt hatte.

Für OneCoin hat Quade nicht nur Werbung gemacht, er hat laut Unterlagen, die der Autor einsehen konnte, auch selbst mindestens eines der praktisch wertlosen "Bildungspakete" erworben, mit denen OneCoin neue Kunden wirbt.

Nun sitzt er auf der Anklagebank in Stuttgart-Stammheim. Für Prinz Reuß und seine Truppe war er wegen seiner vielen Follower erst bei Youtube, dann auf Telegram interessant. Mit seinen verqueren Geschichten zog Quade zehntausende Leute an, einzelne Videos werden mehr als 100.000 Mal angeklickt. Dieses Potenzial habe Quade für die Reuss-Truppe erkannt, schreibt die Bundesanwaltschaft: "Die aus seinen Online-Aktivitäten stammenden Kontakte nutzte er zudem für Rekrutierungsbemühungen der Vereinigung, was in mehreren Fällen auch erfolgreich war."

Was haben die Reichsbürgerszene, QAnon und OneCoin miteinander zu tun? Die jeweiligen Anhänger glauben an Unglaubliches. Die Reichsbürger an irgendwelche dunklen Mächte, genauso wie die Anhänger von QAnon. Und die OneCoiner? Die glauben an Reichtum, der aus dem Nichts kommt. Innerhalb der OneCoin-Sekte gibt es Leute, die den globalen Finanzcrash erwarten – und dass OneCoin danach die Welt-Reservewährung wird. Wer den OneCoin-Fans zu widersprechen wagt, wird als "hater" abgekanzelt, ja bedroht. Die Anhänger schließen die Reihen, schotten sich nach außen ab. Und das Verrückte: Obwohl die Gründerin Ruja Ignatova seit bald sieben Jahren verschwunden ist, ihr Kompagnon Greenwood ein umfangreiches Geständnis abgelegt hat, Ignatovas Bruder Konstantin sagt, bei OneCoin mitgemacht zu haben, sei "der größte Fehler" seines Lebens gewesen, obwohl sich viele der früheren Top-Verkäufer inzwischen abgesetzt haben und bei neuen Schwindelgeschäften mitmischen, obwohl die Medien hundertfach darüber berichtet haben – es geht einfach weiter.

Im Hauptquartier von OneCoin in Sofia und im Ende Dezember 2023 neu eröffneten zweiten Hauptquartier in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi arbeiten die Betrüger weiter. Es werden "Bildungspakete" verkauft, als sei nichts gewesen. Nur einer ist definitiv raus: Alexander Quade.

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