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Reichsbürgerprozess in Stammheim

Reichsfreunde und ein Schamane

Reichsbürgerprozess in Stammheim: Reichsfreunde und ein Schamane
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Eine Mischung aus Esoterik und Staatsfeindlichkeit ist derzeit vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart zu erleben. Neun mutmaßlichen Reichsbürgern wird vorgeworfen, eine terroristische Vereinigung gebildet oder unterstützt zu haben. Die ersten Verhandlungstage hatten auch Unterhaltungswert.

Großer Andrang beim Auftakt des Prozesses in Stuttgart-Stammheim. Lange Schlangen bilden sich sowohl am Presseeingang als auch am normalen Besucher:innen-Einlass. Auch einige Anhänger:innen der Angeklagten schaffen es in den Prozesssaal. Eine Frau aus Pforzheim, die dem Angeklagten Marco van H. auch privat nahestehen soll, öffnet erst zögerlich ihre türkisfarbene Jacke, unter der sie ein rosa Shirt versteckt, auf dem die Botschaft prangt: "Everything will be fine!", alles wird gut. Ein kleiner glatzköpfiger Mann mit Brille trägt ein schwarzes T-Shirt, auf dem in großen weißen Lettern "The truth will win" und klein die Ziffer 17 steht. Eine weitere Sympathisantin fällt auf mit einem pinken Kapuzenpullover mit Friedenstaube und der Botschaft "Gemeinsam für FRIEDEN". Doch mit dem hatte die Reichsbürger-Gruppe, die hier angeklagt wird, es nicht so.

Es ist der erste von drei Prozessen gegen 26 Angeklagte, die die Staatsanwaltschaft der Reichsbürgerbewegung zuordnet. Sie hatten sich um den sogenannten Heinrich XIII. Prinz Reuß und mehrere Ex-Militärs geschart, vorgeworfen wird ihnen die Planung eines gewaltsamen Umsturzes. Während in Stuttgart der militärische Flügel vor Gericht steht, soll in Frankfurt/Main ab 21. Mai der politischen Führung und in München ab 18. Juni den Esoteriker:innen aus der Gruppe der Prozess gemacht werden. Insgesamt könnten mehr Personen vor Gericht stehen als die 26 Angeklagten. Immerhin hatten 136 Personen aus dem Netzwerk eine Verschwiegenheitserklärung mit dem Titel "Reaktivierung Deutschlands – Vertrag für die Verschwiegenheitspflicht und Geheimhaltungspflicht" unterzeichnet, in denen ihnen bei Verrat der Pläne der Tod angedroht wurde.

Die drei parallel verlaufenden Prozesse werden aller Voraussicht nach Jahre dauern und mutmaßlich für einen Teil der Angeklagten mit langjährigen Haftstrafen enden. Die beiden ersten Prozesstage geben einen gewissen Eindruck davon, wie es in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren weitergehen dürfte.

In Stuttgart-Stammheim sind nun neun Männer angeklagt, acht stammen aus Baden-Württemberg, einer aus Hessen. Die meisten befinden sich seit ihrer Verhaftung Anfang Dezember 2022 in Untersuchungshaft. Markus L. aus Reutlingen wurde erst am 22. März 2023 verhaftet, nachdem sich der Sportschütze ein Feuergefecht mit einem Spezialeinsatzkommando der Polizei geliefert hatte, bei dem zwei Polizisten verletzt worden sind.

"Tag X" war wohl nix

Eineinhalb Stunden lang dauert das Verlesen der Anklage durch einen Vertreter der Generalbundesanwaltschaft. Vorgeworfen wird den Angeklagten, sich zu verschiedenen Zeitpunkten einer terroristischen Vereinigung angeschlossen zu haben. Gebildet habe sich die Gruppe bei einem Treffen von Ex-Militärs am 29. Juli 2021, im Oktober 2021 sei der Prinz dazugestoßen. Die Gruppe habe die Aufstellung von 286 Heimatschutzkompanien zu je vier Zügen geplant, die man bei Aufräum- und Säuberungsarbeiten einsetzen wollte, so die Anklage. Es handelte sich allerdings weitgehend um eine Geister-Armee. Neben einer Heimatschutzkompanie für den Raum Jena und Saalekreis war wohl nur die "Heimatschutzkompanie Nr. 221" für den Raum Freudenstadt und Tübingen schon weiter gediehen als ein Papiertiger. Geleitet werden sollte sie von dem Angeklagten Ralf S. aus Horb. Beteiligt war auch Matthias H. aus Baisingen bei Rottenburg, der wiederum Markus L. aus Reutlingen rekrutiert haben soll.

Teil der rechtsextremen Großfamilie

Im Kern leugnen Reichsbürger:innen Staat und Regierung und lehnen die parlamentarische Demokratie ab. Sicherheitsbehörden führen Reichsbürger:innen zwar als eigenständige "Extremismus"-Kategorie, aber Kritiker:innen sehen das eher als Definitionstrick, um die hohen Mitgliederzahlen aus dem Phänomenbereich "Rechtsextremismus" herauszuhalten. Tatsächlich sind die Kaiserreichs-Konservativen und Kleinstaat-Gründer:innen eher ein Teil der Großfamilie der extremen Rechten. Mit dieser vereint sie ihre Demokratiefeindlichkeit, ihr Gebiets- und Geschichtsrevisionismus sowie ihr rechter Antisemitismus und Antiamerikanismus, der meist in Form von Verschwörungsvorstellungen auftritt.

Gerade in der Corona-Krise haben sich viele Personen aus dem Corona-Protestspektrum in Richtung der Reichsbürger radikalisiert. Der mutmaßlich größten Gruppe, dem "Königreich Deutschland" von Peter Fitzek, sollen 6.000 Personen angehören. Auch Michael Ballweg, Gründer von "Querdenken 0711 Stuttgart", sympathisierte mit dieser extrem rechten Polit-Sekte.  (tei)

Für ihre Pläne habe die Gruppe eine Summe von 500.000 Euro zusammengebracht und insgesamt 382 Schusswaffen und 148.000 Schuss Munition angesammelt. Die Gruppe habe, so die Anklage, die politische Neugestaltung Deutschlands geplant und angenommen, Deutschland stehe weiter unter Kriegsrecht. Im Hintergrund existiere ein "Deep State", ein Tiefer Staat, der sich im Kampf mit der Geheimorganisation "Allianz" befinden würde. Diese "Allianz" sah man als eine Art unsichtbaren großen Bruder – Vorstellungen, die ganz offensichtlich den Lehren der Internet-Sekte QAnon entnommen sind, die mit der Corona-Pandemie auch stärkere Verbreitung im deutschsprachigen Raum erfahren hat. In der QAnon-Vorstellung ist zum Beispiel der ehemalige US-Präsident Donald Trump eine Lichtgestalt in einem Krieg hinter den Kulissen.

Ab Mai 2022 habe die Gruppe verstärkt auf einen gemeinsamen Kampf mit der "Allianz" gesetzt, führt die Anklage weiter aus, und erwartet, diese würde einen Angriff auf der oberen Ebene durchführen. Marco van H. habe behauptet, Kontakt zu der "Allianz" zu haben, am "Tag X" wollte die Gruppe losschlagen. Datiert war dieser auf den 22. September 2022. In diesem Zusammenhang sei die "Tötung von Menschen" geplant gewesen, Listen hochrangiger Politiker:innen und Amtsträger:innen auf lokaler Ebene seien angelegt worden, um diese am "Tag X" zu exekutieren oder vor ein Kriegsgericht zu stellen. Zwar habe es nach dem Ausbleiben des Eingreifens der "Allianz" am 22. September 2022 Streit gegeben, aber die Gruppe habe ihre Umsturzpläne beibehalten. Der "Verschwörungsirrglaube" der Gruppe führte ihre Mitglieder in eine "Gedankenspirale, die Handlungsdruck" erzeugt habe, so der Generalbundesanwalt.

"Corona war eine heftige Zeit"

Der Angeklagte Wolfram S., Jahrgang 1969, machte am zweiten Prozesstag sowohl Angaben zur Person als auch zur Sache. Er wird unter anderem von einem der wichtigsten rechten Szene-Anwälte in Baden-Württemberg verteidigt: Steffen Wilfried Hammer aus Reutlingen. Dieser bewegte sich über Jahre in der neonazistischen Skinhead-Subkultur und war Sänger in der Rechtsrock-Band "Noie Werte". Seine Frau Meike Hammer ist Mitarbeiterin der AfD-Landtagsfraktion in Stuttgart und sein ehemaliger Band-Kollege Oliver Hilburger ist das bekannteste Gesicht der rechten Betriebsratsliste "Zentrum", ehemals "Zentrum Automobil".

Die Aussagen des Angeklagten waren geprägt von angeblicher Naivität, Selbstverharmlosung und Entpolitisierung. S. berichtet über sein Aufwachsen in Mosbach und sein frühes Technik-Interesse. Er wurde Ingenieur und gab vor Gericht sein Gehalt mit 4.500 Euro brutto pro Monat an. Seine Ehe scheiterte 2019 und S. scheint sich spätestens mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie dem Irrationalismus zugewendet zu haben. So berichtet er, ab 2021 habe er eine Schamanismus-Ausbildung gemacht. Begriffe wie "Humanenergetiker", "Theta Reading", "Schamanic Trail" oder "Healing Touch" füllten den Prozesssaal. Es gehe dabei, so der Angeklagte, um die "Arbeit im Energiefeld des Menschen".

Auf die Frage nach seiner politischen Selbstverortung antwortet S. mit "grün-links". Das muss noch nicht einmal gelogen sein. Wie Oliver Nachtwey, Gesellschaftswissenschaftler an der Universität Basel, in einer Untersuchung zur "Politischen Soziologie der Corona-Proteste" festgestellt hat, stammen viele Pandemie-Leugner:innen aus dem links-grünen Alternativ-Milieu. Allerdings konstatiert Nachtwey auch: "Kommt zum Teil von links, geht aber eher nach rechts."

Wolfram S. versucht, sich sowohl als naiv als auch als rational darzustellen. Durch seinen Vater, einen Angehörigen der Kriegsgeneration, sei er für das Thema "Krisenvorsorge" sensibilisiert worden. Seine Vision sei eine digitale Dorfcafé-Plattform gewesen, für den Notfall zur Krisenversorgung. Seine Hinwendung zu dem Thema sei durch Corona verstärkt worden, denn "Corona war eine heftige Zeit". Über seine Pläne für die Dorfcafé-Plattform sei er zu der Reichsbürger-Gruppe gekommen.

Verharmlosungen, Widersprüche und Absurditäten

Immer wieder versucht S., sein Tun zu verharmlosen. Die geplanten "Heimatschutzkompanien" stellt er als harmlose Zivilschutz-Gruppen dar. Den Militärjargon in der Gruppe führt er auf die Beteiligung von Ex-Militärs und eine geplante Zusammenarbeit mit der Bundeswehr zurück. Die von ihm unterzeichnete Verschwiegenheitserklärung mit Todesandrohung bei Verrat will er nicht ernst genommen haben.

Vor Gericht wird auch der Entwurf für ein "Wehrpass-MUSTER der neuen Deutschen Armee" gezeigt, der in der Gruppe herumgeschickt wurde. Zudem wird ein Fragenkatalog für die "Heimatschutzkompanien" (HSK) an die Wand projiziert, den auch der Angeklagte mit besprochen hatte. Darin heißt es unter anderem: "Sind Sie mit dem COVID-19 Impfstoff geimpft?", "Haben Sie schon militärisch gedient? Oder Erfahrung mit Waffen?", "Haben und/oder hatten Sie Kontakte zu Behörden der BRD, egal ob privat oder beruflich?", "Stellt es Ihnen eine Herausforderung dar, mit Verstorbenen umzugehen?" Auf die Nachfrage, warum auch Waffenkenntnisse abgefragt wurden, meint der Angeklagte, er habe schon bei Camouflage-Klamotten Probleme. Der Vorsitzende Richter Joachim Holzhausen wendet ein, das sei ein Unterschied, denn Klamotten bekomme man auf der Königstraße in Stuttgart und Waffen nicht. Wolfram S. meint, er habe manche Fragen seltsam gefunden, sei aber weiter davon ausgegangen, bei einer zivilen Katastrophenhilfe mitzuhelfen. Dafür habe er selbst sechs verschlüsselte Notebooks eingerichtet.

Immer wieder verstrickt er sich in Widersprüche. Die Vorstellung von einem Eingreifen der "Allianz" zum "Tag X" sei angeblich nicht sein Thema gewesen: "Das ist das Narrativ, mit dem ich mich nicht beschäftigt habe." Später gibt er an, er sei bis zum "Tag X" im Panikmodus gewesen. Und er erzählt, wie er von dem Angeklagten Marco van H. wissen wollte, woher dieser von dem "Tag X" wisse. Dieser habe darauf gemeint: "Der Schöpfer habe jetzt genug."

Insgesamt wirkt der Angeklagte wie ein Schuljunge, der beim Direktor für einen Streich antanzen muss und nach jeder noch so absurden Ausrede greift. Sollten weitere Angeklagte sich derart einlassen, wird der Prozess immerhin einen gewissen Unterhaltungswert haben.

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