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Reichsbürger

Kleinanzeigen im "Königreich"

Reichsbürger: Kleinanzeigen im "Königreich"
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"Kadari" – so heißt das Ebay des "Reichsbürger"-Fantasiestaats "Königreich Deutschland". Auf der Plattform sind zahlreiche Betriebe aus Baden-Württemberg gelistet. Auch Mietwohnungen und ein Firmengebäude werden angeboten.

Das Kaffee- und Teehaus Hagen ist ein elegantes, stilvolles Gebäude in Heilbronn. Es hat eine Kaffeebar und eine Dachterrasse, eine Rösterei und eine Konditorei. Und: Es veranstaltet die "Kaffeehausgespräche". Nicht über Kaffee, sondern über Neonazis und "Reichsbürger". Das Motto lautet: "Wehret den Anfängen".

Am Dienstag, 6. Juni 2023 ist der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) dort zu Gast. Das Interesse ist groß, alle Stühle sind besetzt. Für den Heilbronner ist der Besuch ein Heimspiel. Nichtsdestotrotz wird er mit einer Vielzahl kritischer Fragen konfrontiert. Schließlich ist die Liste der Herausforderungen, die der Moderator Gunter Haug mit dem Innenminister durchgeht, lang. Ein Thema des Abends ist die "Reichsbürger"-Szene.

"Seit einigen Jahren beschäftigen wir uns intensiv mit den 'Reichsbürgern'", berichtet Strobl. "Reichsbürger" leugnen die Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland. Die "BRD" sei besetzt, sie habe weder Friedensvertrag noch Verfassung. Der Innenminister betont die Gewaltbereitschaft und Waffenaffinität der Szene. Er schildert ein drastisches Beispiel: Als die Polizei am 20. April 2022 eine Schusswaffe des "Reichsbürgers" Ingo K. aus Boxberg (Main-Tauber-Kreis) einziehen wollte, schoss er mit einem vollautomatischen Gewehr durch seinen Rollladen. Derzeit steht Ingo K. vor Gericht. Ihm wird vorgeworfen, er habe 14 SEK-Beamt:innen erschießen wollen.

Wie nah die "Reichsbürger"-Szene ist, zeigt ein Tee- und Kräutergeschäft: Der "Schöpfergarten" ist bloß fünf Autominuten vom Kaffee- und Teehaus Hagen entfernt. Er wurde einige Tage vor dem "Kaffeehausgespräch" mit Strobl vom Heilbronner Ordnungsamt geschlossen. Denn: Der "Schöpfergarten" gab an, ein "Betrieb im KRD" zu sein. "KRD" – das ist das "Königreich Deutschland" von Peter Fitzek. Der 57-Jährige gründete den Fantasiestaat im Jahr 2012. Einst wurde Fitzek vor hunderten Anhänger:innen zum König ernannt. Der "Schöpfergarten" war keineswegs der einzige "Betrieb im KRD" in Baden-Württemberg. Ein knappes Dutzend – vom Malermeister bis zum Bestatter – soll im Südwesten aktiv sein.

Sämtliche Betriebe sind im "Kadari" ("Kauf das Richtige") verzeichnet. "Kadari" ist das Ebay des KRD. "Kadari Kleinanzeigen" ist wie Ebay Kleinanzeigen. Die Währung: "E-Mark" statt Euro. Auf "Kadari Kleinanzeigen" ist einiges los: Eine Person bietet einen Wohnwagen-Stellplatz in Königsbronn (Landkreis Heidenheim) an. Eine weitere Person bewirbt eine Mietwohnung nahe Freiburg im Breisgau. Über eine Mietwohnung in Emmendingen heißt es: "Bei Einzug helfen wir Ihnen die GEZ wirksam loszuwerden." Sogar ein Firmengebäude in Hayingen (Landkreis Reutlingen) steht zum Verkauf. Fläche: 555 Quadratmeter. Kosten: 330.000 "E-Mark". Ein Blick in "Kadari" macht klar: Der Fantasiestaat wächst.

Immobilien und Parallelstrukturen

Das KRD besitzt ein "Kernstaatsgebiet". Das Gelände einer ehemaligen Konservenfabrik am Stadtrand von Lutherstadt Wittenberg (Sachsen-Anhalt). Der Rest des "Staatsgebiets" ist verstreut: Wer die "Staatsangehörigkeit" besitzt, darf Grundstücke samt Immobilien in den Fantasiestaat übertragen. Es heißt, dann sei nicht mehr die "BRD-Verwaltung", sondern die "Verfassung" des KRD zuständig. Darüber hinaus erwirbt das KRD eine Reihe eigener Immobilien. 2022 wurde der Kauf zweier Schlösser in Sachsen bekannt. Das Schloss Bärwalde nahe Görlitz kostete 1,3 Millionen Euro, Schloss Wolfsgrün im Erzgebirge 2,3 Millionen Euro. Vor wenigen Tagen machte der Kauf des Kanzleilehnguts im sächsischen Halsbrücke Schlagzeilen. Ein biozertifizierter Bauernhof, bisher mit Hotelbetrieb. Das Lehngut kostete satte 5,5 Millionen Euro. Über eine derartige Immobilie verfügt das KRD im Südwesten (noch) nicht.

Das KRD treibt den Aufbau von Parallelstrukturen voran. Es hat eigene Dokumente ("Identitätskarte") und eine eigene Währung ("E-Mark"), die "Königliche Reichsbank" und "Deutsche Heilvorsorge", die "Gemeinwohlkasse" und "Deutsche Rente". Die "Gemeinwohlkasse" (kurz: GWK) steht, so verkündet der Fantasiestaat, "für ein neues, dauerhaft stabiles und unabhängiges Geld-, Finanz- und Bankenwesen". Die GWK bietet die Möglichkeit, KRD-Projekte durch Kapitalanlagen zu finanzieren. Zudem kann über die GWK ein Betrieb gegründet werden. Es heißt: "Es werden keine Umsatzsteuern, keine Gewerbesteuern und keine Einkommensteuern erhoben." Das KRD lehnt Steuern ab. In Baden-Württemberg sollen vier der 23 "Ein- und Auszahlungsstellen" der GWK sein: in Biberach an der Riß, Mainhardt im Landkreis Schwäbisch Hall, Plankstadt im Rhein-Neckar-Kreis und in Steinen im Landkreis Lörrach.

Bis 2021 betrieb das KRD eine weitere "Ein- und Auszahlungsstelle" in Ulm. Die Ulmer Filiale machte Schlagzeilen, da Michael Ballweg – der Gründer von "Querdenken 711 Stuttgart" – ein Konto eröffnet und einen Betrag eingezahlt hatte. Damals erklärte Ballweg, er habe "das Konstrukt" bloß "inhaltlich prüfen" wollen. Ballweg wurde im Jahr 2020 ein "Staatszugehöriger" des KRD. Im Juli 2021 machte die Plattform "AnonLeaks" die Urkunde seiner Zugehörigkeit im Netz publik. Mit Fitzek hielt er ein geheimes Treffen in Saalfeld (Thüringen) ab. Über das Treffen schrieb Ballweg, es sei Zeit, "dass wir uns nach neuen Möglichkeiten und anderen Strategien umsehen". Man habe mit dem KRD einen "Lichtblick gefunden". Inzwischen scheint Ballweg den Fantasiestaat verlassen zu haben.

"Vortragsredner" will Bürgermeister werden

Heute, rund ein Jahrzehnt nach dessen Gründung, soll der selbsternannte König Peter Fitzek über mehrere tausend "Staatsangehörige" verfügen. Wer zum Untertan werden will, muss eine "Staatsangehörigkeitsprüfung" ablegen. Das KRD nennt neun Prüfstandorte. Zwei davon sollen in Baden-Württemberg liegen. In Heilbronn und Ulm. Um neue "Staatsangehörige" zu rekrutieren, finden Seminare und Vorträge statt. Hierfür wurden "lizenzierte Vortragsredner" ausgebildet. Aktuell sind 12 Redner:innen bekannt.

Einer stammt aus Baden-Württemberg: Sebastian Müller aus Mainhardt (Landkreis Schwäbisch Hall). Müller fand nach einem Autounfall zum Fantasiestaat. "Viel Zeit, um über das Leben, mein Leben, die vorherrschenden Umstände und auch das wirklich Wichtige im Leben nachzudenken", schreibt Müller über seinen Weg ins KRD. Nun wolle er – "nach reichlicher Prüfung" – das KRD bewerben. Im Rahmen seiner Vorträge berichtet er, "welche Gestaltungsmöglichkeiten und Lösungen zum Wohle der Menschen im KRD bereits umgesetzt werden".

Am 5. März 2023 kandidierte Sebastian Müller für ein Amt in der Bundesrepublik Deutschland: Der "Reichsbürger" wollte Bürgermeister der Gemeinde Neudenau (Landkreis Heilbronn) werden. Das KRD empfiehlt ausdrücklich, "sich selbst als parteiloser Bürgermeisterkandidat zur Verfügung zu stellen". Weiter: "Hierbei unterstützen wir dich nach Absprache gerne." Das KRD sieht in der Amtsübernahme den ersten Schritt zur "Selbstverwaltung" einer Gemeinde. Am Ende soll der "Wechsel in die Ordnung des Königreiches Deutschland" stehen. Das erklärt das KRD auf seiner Website. Müllers Kandidatur blieb erfolglos. Er holte lediglich 1,53 Prozent.

Sebastian Müller referierte im Dezember 2022 und Februar 2023 in einer Privatwohnung in Mainhardt sowie im Januar und März 2023 im "Schöpfergarten" in Heilbronn. Zahlreiche Interessierte besuchten die Vorträge. Mit der Schließung des Tee- und Kräutergeschäfts ist eines gewiss: Im "Schöpfergarten" wird Müller keine Veranstaltungen mehr machen. Derweil sind die nächsten Veranstaltungen im Kaffee- und Teehaus Hagen angekündigt. Denn die Liste der Herausforderungen bleibt lang.


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2 Kommentare verfügbar

  • SSV Ulm 1846
    am 16.06.2023
    Antworten
    Ich frag mich bei so Leuten immer:
    Wie kann man so abgeschottet in seiner Blase leben? Man muss ja alles völlig ausblenden, immer gegen alles sein. Völlig banane im Kopf sein.
    Kein Wunder, dass Querdenker da voll dabei sind.
    Die Realitäten sind doch für einige zuviel. Bitte sucht euch…
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