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Abschiebepraxis in Baden-Württemberg

Viel zu hohe Hürden

Abschiebepraxis in Baden-Württemberg: Viel zu hohe Hürden
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Fidan C., die im März in die Türkei abgeschobene Schwangere, ist zurück in Stuttgart, sie wird hier entbinden und kann bei ihrem Ehemann bleiben. Insgesamt aber sind Wiedereinreisen absichtlich kompliziert. Und sie können von deutschen Behörden bis zu zehn Jahre lang verhindert werden.

Schon die Antwort der Stadt Stuttgart auf die Frage, wie es überhaupt zur Ausreise unter Zwang und der Rückkehr kommen konnte, zeigt die Schräglage. Denn auf den – nachvollziehbaren – Hinweis, dass aus Datenschutzgründen überhaupt keine Auskunft zu einem konkreten Fall gegeben werden darf, folgt die Anmerkung, abgeschoben werde jeweils nur in einen Staat, nicht in eine bestimmte Region innerhalb des Landes. Und weiter: "Die abgeschobene Person kann sich dort frei bewegen und ihren Wohnort selbst wählen." 

Das gibt einem häufig höchst unmenschlichen Vorgehen einen Hauch von Urlaub. "Bei türkischen oder syrischen Staatsangehörigen zum Beispiel besteht keine Notwendigkeit, in das aktuelle Erdbebengebiet zu ziehen", teilt die Stadt Stuttgart weiter mit. Ganz so, als gebe es nicht seit vielen Jahren umfangreiche Erkenntnisse, wie schwierig es werden kann, in einer Heimat, die gar keine mehr ist, an alte Verbindungen anzuknüpfen. Fidan C. war im März nach Istanbul abgeschoben worden und von dort nach Islahiye und somit ins Erdbebengebiet weitergereist, weil dort Familienmitglieder leben.

Dabei könnte es so einfach sein: bei einem anderen Umgang der Behörden mit Familien, mit Kranken, mit Angehörigen vulnerabler Gruppen, solange sie noch in Baden-Württemberg sind. "Kommt ein Mensch seiner Pflicht zum Verlassen der Bundesrepublik nicht nach, kann die Ausreise zwangsweise durchgesetzt werden", heißt es in den Infomaterialien des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vergleichsweise undifferenziert. In einem Handlungsleitfaden zur Rückkehrberatung wird aber sehr wohl darauf hingewiesen, dass mit besonders Schutzbedürftigen – darunter werden ausdrücklich Schwangere erwähnt – besonders sensibel umzugehen ist. Flüchtlingshelfer:innen fordern schon seit langem, dass eine derartige Beratung umfasst, wie Rückkehr oder Abschiebung verhindert werden können. "Eine faire Praxis" verspricht sogar der grün-schwarze Koalitionsvertrag von 2021.

Warme Worte, die im Einzelfall – siehe Fidan C. und viele andere – sich als Schall und Rauch erweisen. Ihr Rechtsanwalt Rolf Guthmann konnte weder die Abschiebung verhindern noch die sofortige Rückholung durchsetzen. Für das restriktive Vorgehen von Gerichten steht ein Urteil aus Düsseldorf (AZ.: 27 L 2817/22) vom Februar 2023. Die Abschiebung eines Mannes in die Demokratische Republik Kongo wäre eigentlich rechtswidrig gewesen, weil er suizidgefährdet war. Laut Gericht hatte er jedoch keinen Anspruch auf Rückkehr, weil er aufgrund der Verbesserung seines Gesundheitszustands ohnehin sogleich wieder abgeschoben würde. Er war zudem straffällig geworden, was Fristen zusätzlich verlängert.

Am Ende der Odyssee warten die nächsten Hürden

Fidan C. wurde vergleichsweise unbürokratisch zurückgeholt, allerdings auch erst, nachdem ihr in Lohn und Brot stehender Mann nicht nur für die Abschiebung, sondern ebenso für die – wegen Fidans Schwangerschaft – mitreisende Ärztin eine Summe in vierstelliger Höhe aufbrachte. Ausdrücklich übrigens weist das zuständige Regierungspräsidium in Karlsruhe darauf hin, dass Kosten – wenn möglich – selbst im Ausland eingetrieben werden. Vor sieben Jahren sorgte der Fall eines jungen Geflüchteten aus Kamerun für Schlagzeilen, der illegal eingereist war, weil er in Spanien einen Asylantrag hätte stellen müssen. Er wurde nach Madrid ausgeflogen, kehrte schließlich aber doch wieder zurück nach Stuttgart und bekam statt eines – Stichwort Fachkräftemangel – wenigstens vorübergehenden Aufenthaltstitels für die Zeit seiner Ausbildung eine Rechnung über 9700 Euro präsentiert.

Selbst wer Summen wie diese berappen kann, ist noch lange nicht am Ziel. Zwei besonders hohe Hürden folgen: Die zuständige Ausländerbehörde muss das von ihr verhängte Einreise- und Aufenthaltsverbot aufheben und ein Visum muss beantragt werden. Das wiederum ist in der Bundesrepublik unmöglich und hat aus dem Herkunftsland zu geschehen. Für Fidan C. wurde beides erreicht. Der Geburtstermin per Kaiserschnitt steht. Und die Odyssee über Ankara in die Provinz Gaziantep und zurück ist vielleicht einmal ein trauriges Kapitel in der Familiengeschichte mit schlussendlich gutem Ende.

Wie wenig verantwortliche Politiker:innen, aber auch entscheidende Beamt:innen im Land daran interessiert sind, Fälle wie den der jungen Frau zu verhindern, zeigt die Tatsache, dass nicht einmal eine Statistik geführt wird über Rückkehr, Abschiebung, Visumvergabe und Wiedereinreise. Jedenfalls keine offiziell einsehbare. Und die Nutzung von Ermessensspielräumen bleibt ebenfalls im Dunkeln. Dabei hatte Grün-Schwarz 2021 ganz anderes in Aussicht gestellt: "Spielräume zugunsten Geflüchteter, die mitwirkungsbereit sind, sollen im Rahmen der Ermessensentscheidungen berücksichtigt werden." Papier, auf dem Koalitionsverträge gedruckt sind, muss geduldig sein. 

 


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