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Letzte Generation als kriminelle Vereinigung?

"Übergriffig"

Letzte Generation als kriminelle Vereinigung?: "Übergriffig"
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Razzien gegen die Mitglieder der Letzten Generation und die Einstufung der Klimaschützer:innen als kriminelle Vereinigung haben eine Debatte um das Vorgehen der Staatsanwaltschaften in München und Neuruppin entfacht. Wie sehen das Juristen unter den Landtagsabgeordneten?

Den Anfang hat Rezzo Schlauch gemacht. Die Einstufung der Letzen Generation als kriminelle Vereinigung hat sowohl den Rechtsanwalt als auch den Grünen-Politiker auf die Palme gebracht. Sein leidenschaftlicher Beitrag war am 31. Mai in Kontext zu lesen. In den Parlamenten sitzen bekanntlich viele Jurist:innen, auch im baden-württembergischen Landtag. Wird hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen? Zumindest der CDU-Landtagsabgeordnete und Rechtsanwalt Reinhard Löffler ist dieser Meinung. Ihn und seine Anwaltskollegen im Landtag haben wir um ihre Einschätzung gebeten. Nicht alle haben geantwortet.  

"Mit Kanonen auf Spatzen geschossen"

Reinhard Löffler, Rechtsanwalt und CDU-Landtagsabgeordneter aus Stuttgart

Ich teile die Auffassung von Rezzo Schlauch. Die Kleberaktionen und die Verschmutzung von Bildern liegen irgendwo zwischen "dummer Jungenstreich" und spätpubertärem Aktionismus. Solche Aktionen können natürlich ordnungswidrig oder strafrechtlich belangt werden. Die "Letzte Generation" als kriminelle Vereinigung zu brandmarken, so wie es die Staatsanwaltschaft München tut, halte ich für übergriffig.

Ich gehe auch davon aus, dass nicht einmal der Tatbestand einer kriminellen Vereinigung erfüllt ist. Bei einer kriminellen Vereinigung müssen die Mitglieder der Vereinigung Verbrechen oder andere erhebliche Gewalttaten gegen Leib und nicht nur geringfügige Sachbeschädigungen planen und durchführen. Etwas mehr Augenmaß täte der Staatsanwaltschaft in München gut. Hier wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen und das halte ich auch rechtsstaatlich für bedenklich.

Ich habe als kleiner Junge mit meinen Freunden in den Streuobstwiesen regelmäßig Kirschen geklaut und vor Ort verzehrt. Keine Frage, das war Diebstahl. Heute darf ich froh sein, dass die Staatsanwaltschaft in München nicht über diesen kollektiven Mundraub entschieden hat. Am Vorwurf näher kriminellen Vereinigung wäre ich wohl kaum vorbeigekommen.

"Wir können nicht von einer Klima-RAF sprechen" 

Hans Dieter Scheerer, Rechtsanwalt und FDP-Landtagsabgeordneter aus Leonberg

Hehre Ziele selbst rechtfertigen noch keine Straftaten. Ich denke, dass wir uns alle hinter dem Ziel des Klimaschutzes vereinigen können und alle demokratischen Parteien hierfür auch einstehen und den Klimawandel als ernste Bedrohung wahrnehmen. Um Klimaschutzziele oder -forderungen zu erreichen, stehen in unserem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat aber andere Mittel zur Verfügung,  als sich auf die Straße zu kleben und damit andere Menschen zu nötigen oder gar zu gefährden. Hierfür und für alle anderen Straftaten müssen die Aktivsten der Letzen Generation entsprechend belangt werden. Dass diese Aktivisten mit Demokratie und Rechtsstaat nicht viel am Hut haben, ist auch offensichtlich, denn nur so lässt sich erklären, dass sie sich über Urteile von Gerichten hinwegsetzen und trotz Bewährungsstrafen schon wenige Tage später wieder auf der Straße kleben oder dass sie Kultur- und Kunstgüter oder gar die Geschäftsstellen demokratisch gewählter Parteien angreifen.

Die Einstufung als kriminelle Organisation halte ich aber für zu viel, auch wenn rein formell die juristischen Bedingungen hierfür gegeben sind. Die Aktivsten raufen sich nämlich mit mehr als drei Personen zusammen, um gemeinsam Straftaten zu begehen. Wir können hier aber nicht von einer Klima-RAF oder Ähnlichem sprechen. Gleichzeitig betone ich aber nochmals, dass gegen alle Straftaten der Letzen Generation rechtsstaatlich vorgegangen werden muss, um abzuschrecken und die Wehrhaftigkeit unserer Justiz und Behörden zu demonstrieren, damit sich die Gruppe eben nicht zu noch drastischeren Aktionen hinreißen lässt.

"Besorgniserregende Radikalisierung"

Nico Weinmann, Rechtsanwalt und FDP-Landtagsabgeordneter aus Heilbronn

Die Feststellung, ob es sich bei der Letzten Generation um eine kriminelle Vereinigung handelt, bleibt den zuständigen Gerichten vorbehalten. Diesen Prüfungen möchte ich nicht vorgreifen, nicht zuletzt aufgrund der Gewaltenteilung. Ich sehe ihnen allerdings gespannt entgegen.

In eigens organisierten Workshops wird den Aktivisten regelmäßig vermittelt, wo sie mittels welcher Maßnahmen größtmögliche Beeinträchtigungen des Alltags, häufig auf dem Rücken unserer Berufspendler, verursachen können. Dies geschieht unter billigender Inkaufnahme auch größerer Schäden und zum Zwecke eines möglichst großen medialen Widerhalls.

Zudem erkenne ich zumindest bei einem organisierten Teil der Mitstreiter eine besorgniserregende Radikalisierung. Diese zeigt sich nicht nur in der Begehung von Straftaten und militantem Auftreten, sondern auch durch die Ablehnung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sowie – man denke an die sog. "Gesellschaftsräte", die bar jeder demokratischen Legitimation eingerichtet werden sollen – durch ein zumindest fragwürdiges Verständnis von Demokratie und ihrer Institutionen.

"Nicht mit allen Mitteln"

Boris Weirauch, Rechtsanwalt und SPD-Landtagsabgeordneter aus Mannheim

Die Aktionen der "Letzten Generation" mögen idealistisch motiviert sein, sind in Teilen aber straf- oder ordnungsrechtlich relevant. Auch ein berechtigtes Anliegen rechtfertigt nicht jedes Mittel. In unserem demokratischen Rechtsstaat gibt es genug Möglichkeiten, rechtmäßig auf seine Position in Fragen des Klimaschutzes aufmerksam zu machen. Die Entscheidung, ob es sich bei der "Letzten Generation" um eine kriminelle Vereinigung nach Par. 129 StGB handelt, ist juristisch komplex und unterliegt hohen Hürden. So müssten die Straftaten eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen und dürfen bezogen auf das gesamte Wirken der Gruppe nicht nur untergeordnete Bedeutung haben. Sie müssen also Hauptzweck der Vereinigung sein. Ob diese Anforderungen erfüllt sind, entscheiden aber alleine Gerichte und nicht Politiker*innen in Talkshows. Es ist leider zu offensichtlich, dass die Aktionen der „Letzten Generation“ durch konservative Kräfte instrumentalisiert werden, um ihre potentielle Anhängerschaft zu mobilisieren und die Klimabewegung insgesamt zu kriminalisieren.

"Kriminelle Vereinigung? Wird von der Justiz geklärt"

Sascha Binder, Rechtsanwalt und Landtagsabgeordneter der SPD

Es ist richtig, dass die Frage, ob die Letzte Generation eine kriminelle Vereinigung ist, von der Justiz geklärt wird. Bei den bisherigen Aktionen haben Mitglieder der Letzten Generation unbestritten auch Straftaten begangen. Diese müssen konsequent verfolgt werden. Denn auch wer sich für die Zukunft unserer Erde einsetzt, lebt in der Gegenwart in keinem rechtsfreien Raum. Nach dem bisherigen Stand sehe ich die Voraussetzungen für die Bildung einer kriminellen Vereinigung nicht gegeben. Nehmen allerdings Straftaten aus der Mitte der Letzten Generation zu und ist der Zweck der Bewegung nahezu ausschließlich eine zunehmende Radikalisierung, wird der Straftatbestand erfüllt. Die Letzte Generation hat es selbst in der Hand, in welche Richtung sie sich bewegt. Das Strafgesetzbuch gilt für alle.

"Unnötig kriminalisiert durch Hausdurchsuchungen"

Thomas Hentschel, Rechtsanwalt und Landtagsabgeordneter der Grünen

Persönlich war ich erschrocken und überrascht zugleich, als ich von den Hausdurchsuchungen hörte. Ich fragte mich, ob da nicht der Protest der sogenannten Letzten Generation unnötig kriminalisiert und die Debatte hierdurch noch mehr emotionalisiert wird. Juristisch mag der objektive Tatbestand der Bildung einer kriminellen Vereinigung erfüllt sein. Ich persönlich bin der Auffassung, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aber bei der Frage, ob eine Razzia erforderlich ist, auch eine andere Bewertung zugelassen hätte. Auch wenn man die Protestform als solche für ungeeignet hält, wird man aus meiner Sicht den Aktivisten der sogenannten Letzten Generation zumindest zubilligen müssen, dass sie mit ihren Aktionen nicht versuchen, den Menschen aus purem Eigennutz oder Selbstverliebtheit zu schaden, sondern weil sie Angst vor einer Zukunft auf einem unbewohnbaren Planeten haben. Das sollte ungeachtet der Frage, wie man persönlich zu dieser Protestform steht, meiner Auffassung nach stärker berücksichtigt werden.

Letztlich ist es aber Sache der Justiz, in rechtsstaatlichen Verfahren die juristischen Fragen zu klären. Aus gutem Grunde hat die Politik keine Möglichkeit, auf diese Verfahren unmittelbar Einfluss zu nehmen. Das sollten umgekehrt aber auch die handelnden Staatsanwältinnen und Staatsanwälte bedenken und prüfen, ob sie sich nicht von der aufgeheizten Debatte in der Gesellschaft und insbesondere im bayerischen Wahlkampf beeinflussen lassen. Die Aktivisten selber können zu einer Klärung der juristischen Fragen beitragen, indem sie Rechtsmittel beispielsweise gegen die Durchsuchungen einlegen. Im Fall von Radio Dreyeckland hat sich im Zuge des Rechtsmittelverfahrens immerhin gezeigt, dass manch ein juristisches Instrument schon einmal vorschnell gezogen wurde. Wir sollten das weitere Verfahren genau beobachten, um gegebenenfalls politisch Schlüsse daraus zu ziehen. Und im Übrigen sollten wir den Protesten die Grundlagen insbesondere auch dadurch entziehen, dass wir uns schlicht zu einer effizienten Klimaschutzpolitik durchringen.

 

In der kommenden Kontextausgabe wird sich Ex-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin mit den Strafverfolgungsmaßnahmen und den Urteilen gegen die Letzte Generation beschäftigen.


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5 Kommentare verfügbar

  • Karsten Wehrmeister
    am 18.06.2023
    Antworten
    Ehrlich gesagt verstehe ich die ganze Diskussion nicht. Da der eigentliche Grund nicht bei den Klimaaktivisten liegt sondern nur darin begründet ist, das NIEMAND sein bisheriges Leben und Handeln so grundlegend und vollständig in Frage stellen will eis es jedoch nötig ist! Denn zur Wahrheit gehört:…
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