Für den unfreiwilligen Abtransport berechnete die Stadt Heilbronn ein Bußgeld in Höhe von 150 Euro, dagegen wollte sich die Betroffene wehren und bei der Gerichtsverhandlung kommt es zum Eklat. Richter Michael Reißer, kommunalpolitisch für die CDU aktiv, lehnt drei Wahlverteidiger von Lecomte ab und gewährt keinen Pflichtverteidiger. Alle 17 Beweisanträge der sich notgedrungenermaßen selbst verteidigenden Aktivistin werden ebenfalls abgelehnt. Da rutscht ihr der verhängnisvolle Satz heraus. "Ich weiß, dass Ihnen meine Beweisführung am Arsch vorbeigeht." Richter Reißer verhängt ein Bußgeld von 300 Euro. Als Lecomte daraufhin "Kikeriki!" ruft, verschärft der Richter das Strafmaß: drei Tage Ordnungshaft mit sofortigem Vollzug. In der JVA Hohenasperg werden der chronisch Erkrankten ärztlich verschriebene Medikamente verweigert, Lecomte bekommt einen Rheumaschub und Krampfanfälle. Später stellten andere Gerichte fest, dass die Auflösung der Versammlung, der Polizeieinsatz, das gegen Lecomte verhängte Ordnungsgeld und ihre Haftbedingungen allesamt rechtswidrig waren.
Wer im Knast sitzt und wer nicht
Auch im aktuellen Fall mutet merkwürdig an, wenn Umwelt-Aktivist:innen so schnell hinter Gittern landen. Zumal bei einem Blick auf andere Urteile: Mehrfach auffällig geworden ist auch ein 69-jähriger Priester, der wiederholt Minderjährige sexuell genötigt haben soll. Hier hielt das Landgericht Saarbrücken eine Bewährungsstrafe für angemessen. Weitere Beispiele aus der jungen Vergangenheit: Ein Mann ruft in Bad Hersfeld "Sieg Heil" und zeigt den Hitlergruß; ein Raserunfall auf der Autobahn endet tödlich; ein Bürger in Lahr bewirft einen Radfahrer mit einem Kettenschloss; ein Professor züchtigt seine Doktorandin mit Bambusstock; ein 30-Jähriger vergewaltigt eine 15-Jährige – in all diesen Fällen wurde der Freiheitsentzug nur angedroht, aber den Delinquenten blieb eine Gelegenheit, sich zu bewähren.
Ob jemand eingesperrt wird oder nicht, hängt aber nicht allein von der Schwere einer Straftat ab, ein Faktor ist auch die Kriminalprognose: also eine Vorhersage darüber, ob eine Person einen Rechtsbruch mit hoher Wahrscheinlichkeit wiederholen wird. Im Fall der verurteilten Aktivist:innen haben sie erneute Blockaden nicht nur angekündigt – einer von ihnen klebte sich kurz nach der Verhandlung schon wieder an einer Straße fest. Der Jurist Thomas Fischer, früherer Richter am Bundesgerichtshofs, befürwortet vor diesem Hintergrund Haftstrafen. Die Aktionen der Letzten Generation legt er nicht als zivilen, sondern militanten Ungehorsam aus. Auf dem Fachportal "Legal Tribute Online" schreibt er dazu: "Gewalt im strafrechtlichen Sinn ist das Einwirken körperlicher Kraftentfaltung auf einen Körper oder Gegenstand. Dass dies gegeben ist, wenn ein Mensch mittels Errichten einer unüberwindlichen physischen Sperre an der Fortbewegung gehindert wird, ist evident und bedarf eigentlich keiner weiteren Erläuterung."
Doch Fischers Rechtsauffassung ist nicht unumstritten. In einem Beitrag für die taz kommentiert Anwalt Johannes Eisenberg, dass die Erklärung der Angeklagten, weitermachen zu wollen, eine entscheidende Frage aufwerfe: ob der Freiheitsentzug überhaupt den beabsichtigten Zweck erfülle. "Die Strafe wirkt nicht generalpräventiv, weil die Mehrheit der Bevölkerung es den Aktivisten nicht gleichtun wird. Sie wirkt nicht spezialpräventiv, weil die Klimakleber sich dadurch nicht von ihrem Tun abhalten lassen. Damit wirken die Urteile als Vergeltung an Leuten, die sich nicht fügen, und sie zielen darauf, die Leute zu brechen."
In Berlin gab's eine Geldbuße
Dass die rechtlichen Bewertungen sehr unterschiedlich ausfallen, wird auch am breiten Spektrum der Urteile deutlich. Vereinzelt gab es sogar Blockade-Aktionen, die mit einem Freispruch endeten, weil Richter:innen der Ansicht waren, dass die Nötigung von Autofahrer:innen zum Zweck des Klimaschutzes keine verwerfliche Handlung sei. Auf eine solche Entscheidung hatte Carla Hinrichs gehofft. Die 26-jährige Pressesprecherin der Letzten Generation musste sich jüngst vor dem Amtsgericht Tiergarten verantworten und schildert denkwürdige Szenen.
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Chris Teuber
am 16.03.2023Wenn Gerichte bisweilen irrten, müssen sie es im Falle der Verurteilung eines…