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Klima, Konferenzen und Knast

Und wer genau ist hier brutal?

Klima, Konferenzen und Knast: Und wer genau ist hier brutal?
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Die Klimazerstörung geht weiter, haben die Vereinten Nationen beschlossen. Hierzulande werden verzweifelte Protestformen gegen den gewohnten Wahnsinn in Terror-Nähe gerückt und Aktivist:innen landen ohne Gerichtsurteil im Knast. "Entlarvend" findet das der Regisseur Volker Lösch.

"Der größte Erfolg von Scharm al-Scheich war, dass es keine Rückschritte gab", kommentiert der Journalist Bernhard Pötter das Resultat der UN-Klimakonferenz in Ägypten mit über 20.000 Beteiligten (darunter übrigens mehr Lobbyist:innen fossiler Konzerne als Abgesandte aus den zehn am stärksten vom Klimawandel betroffenen Ländern). Annalena Baerbock, nicht nur als grüne Außenministerin, sondern auch als deutsche Chefverhandlerin vor Ort, zeigte sich erleichtert, dass wenigstens das Festhalten am 1,5-Grad-Ziel "verteidigt" werden konnte. Auch wenn es sich weiterhin nur um eine Absichtserklärung handelt.

Extreme Dürrephasen und sich häufende Waldbrände in Europa, Flutkatastrophen, die wie in Pakistan ein Drittel des Landes unter Wasser setzen, oder eine Viertelmillion Kinder, die im vergangenen Jahr wegen Ernteausfällen am Horn von Afrika verhungert sind – all diese durch den Klimawandel beförderten Katastrophen, die sich schon heute bemerkbar machen, scheinen noch nicht ausreichend Motivation zu liefern, auf globaler Ebene Nägel mit Köpfen zu machen. Das mediale Entsetzen über das Scheitern der Konferenz hielt sich dennoch in Grenzen. Sind das alle schon zu sehr gewöhnt?

Jedenfalls war die Aufregung größer, als vor Kurzem Glasscheiben beschmutzt wurden. Gegen den Trend findet der Theaterregisseur Volker Lösch, mit den Institutionen der Hochkultur innig vertraut, die Kartoffelbrei-Attentate auf Monet und Co. "einfach super". Denn diese Aktionen würden auf das "heuchlerische Missverhältnis aufmerksam machen, sich lieber über lächerliche Scheinprobleme zu echauffieren als die wirklich gravierenden Schwierigkeiten anzugehen". Lösch, von 2005 bis 2013 Hausregisseur am Schauspiel Stuttgart, hat schon beim Protest gegen Stuttgart 21 mitgemischt und sagt: "Kunst ohne Anbindung an das Draußen, an die Zeit, in der ich lebe, finde ich sinnlos." 

Gegenüber Kontext erklärt er, dass es "so marginal, wie wir an den kleinsten Schräubchen herumdrehen, nicht weitergehen kann". Und dass sich beim Klimaschutz "rein gar nichts tut", ist für ihn "der Beweis, dass nur ein fundamentales Umsteuern irgendetwas retten kann, wenn wir auf all die Wissenschaftler:innen hören wollen, die von Kipppunkten reden und sagen, wir haben jetzt noch ein Zeitfenster von zwei bis drei Jahren".

Minister Strobl hat einen Verdacht

In Bonn inszeniert Lösch aktuell das Stück "Recht auf Jugend", für das er Aktivisti der Letzten Generation – "Spezialist:innen des Alltags", wie er sie nennt – auf die Bühne geholt hat. Dort diskutieren sie mit Repräsentant:innen der "Versager-Generation", wie Lösch die eigene Alterskohorte nennt. Von den jungen Aktiven sagt der auf die 60 zugehende Regisseur, er selbst habe im gleichen Alter "argumentativ ja mal überhaupt nichts draufgehabt, wenn ich mich mit denen vergleiche".

Als Museumsdirektor hätte er die Tomatensuppenguerilla zu einer Diskussion eingeladen, um zu erörtern, wie sich die Welt vielleicht so gestalten ließe, dass die um die Zukunft Besorgten schönere Dinge machen könnten, als sich an Bilderrahmen festzukleben. Er kenne niemanden, der aus Spaß an der Freude bei der Letzten Generation gelandet sei, sagt Lösch, spricht von einem Konsens zur Gewaltfreiheit und nennt ihre Aktionen selbstlos, weil alle davon profitieren würden, wenn die menschlichen Lebensgrundlagen nicht kaputt gehen.

In einigen Kommentaren zur Bewegung, ihren Kunstwerk-Entweihungen und Straßenblockaden entsteht hingegen mitunter der Eindruck, als stünde die Entführung des nächsten Arbeitgeberpräsidenten kurz bevor. Nachdem die Junge Union Baden-Württemberg der Letzten Generation vor wenigen Wochen einen "Ulrike-Meinhof-Sound" attestierte, mutmaßte jüngst Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU), was sich bei manch einem als eigentliche Motivation hinter Aktionen wie Straßenblockaden verbergen könnte: "Möglicherweise geht es dem einen oder dem anderen auch gar nicht um den Klimaschutz, sondern es geht darum, Straftaten zu begehen."

Die Strategien sind doch ein alter Hut

Die Kriminalisierung von Protest und das Delegitimieren seiner Motive kommen der demonstrationserfahrenen Ärztin Angelika Linckh nicht ganz unbekannt vor. Sie hat sich schon früh gegen Stuttgart 21 engagiert und erinnert sich "noch genau an die Distanzierungsorgien, als wir nicht nur brav demonstriert, sondern 2011 für ein paar Stunden die Baustelle des Grundwassermanagements besetzt hatten." Nicht nur für den "Spiegel" war damals klar, dass der Protest gegen das Projekt dabei seine "Unschuld verloren" habe. Während tatsächlich vor Ort Anwesende ihre Eindrücke eines friedlichen Ablaufs schilderten, übernahmen zahlreiche Medien lieber die Darstellung aus dem Polizeibericht, der "schwere Ausschreitungen" erkannt haben will (Kontext berichtete mehrfach ausführlich, zuletzt hier).

Linckh weiß noch, wie sie mit Mitte 20 Heinrich Böll und Gleichgesinnte bewunderte, die mit einer Blockade gegen die Stationierung von Atomraketen in Mutlangen protestierten – damals war sie allerdings nur passive Beisteherin. Im Gedächtnis ist ihr geblieben, wie die taz nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl 1986 berichtete "Bitte nicht ins Gras beißen!", und wie die Zeitung die damalige Bundesgesundheitsministerin Rita Süßmuth (CDU) dafür kritisierte, zum Super-GAU zu schweigen. Damals fand sie, dass nun der Zeitpunkt erreicht war, an dem sie selbst aktiv werden musste.

Linckh hat knapp 30 Jahre lang als Gynäkologin in Stuttgart gearbeitet und ihre Praxis im vergangenen Jahr an eine Nachfolgerin übergeben. Mit zunehmendem Alter, sagt sie, werde bei ihr die Einsicht in die Dringlichkeit, gegen die Klimakrise aktiv zu werden, nur größer. Als sie sich ab 2009 zum praktischen Protest gegen Stuttgart 21 entschied, wollte sie ein schwachsinniges Milliardengrab verhindern und es ging ihr "um die Luft und die Parks, um die Stadt eben". Zwar werde auch in diesem Fall ein "massiv klimaschädliches Projekt verwirklicht, um Lobbyinteressen durchzusetzen". Aber die globale Dimension der Erderhitzung sei da schon noch mal eine andere Hausnummer.

Lösch sagt, die Repression diskreditiere den Staat

Sie selbst, sagt Rentnerin Linckh, wäre wahrscheinlich nicht so friedlich wie die Jungen, wenn sie bei Straßenblockaden von aggressiven Autofahrern angetatscht würde. Die Brandmarkung von Letzte Generation als extremistische Truppe empfindet sie auch deswegen als beträchtliche Diskrepanz zu ihrer Wahrnehmung, "weil ihre konkreten Forderungen, also 9-Euro-Ticket und Tempolimit, so harmlos sind."

Volker Lösch hält die Forderungen für strategisch geschickt, eben weil es sich dabei nicht um abstrakte Zukunftsvisionen wie eine autofreie Gesellschaft handelt, sondern um sofort umsetzbare Maßnahmen, die die Regierung ohne Komplikationen verwirklichen könnte. Der Regisseur hält es für entlarvend, dass der Staat stattdessen lieber auf harte Repression setzt und sich auf diesem Wege selbst diskreditiert, wie Lösch glaubt.

Etwa wie am 3. November dieses Jahres, als die Polizei nach einer Straßenblockade in München 13 Menschen für eine bis vier Wochen in Gewahrsam nahm. Ermöglicht ist der Freiheitsentzug seit Reformen des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes, die ab 2017 angestrengt wurden, ursprünglich mit der Begründung, dass es bessere Methoden brauche, gegen den internationalen Terrorismus vorzugehen. Kritiker:innen befürchteten dabei von Anfang an, dass die mitunter sehr vagen Begriffe im Gesetzestext auch dazu gebraucht werden könnten, um zivilgesellschaftlich Aktive ohne Unschuldsvermutung und faire Verhandlung einzusperren.

Gerade im Fall der Letzten Generation könnte sich der Rechtsstaat allerdings noch an denen rächen, die sich andauernd auf ihn berufen, wenn sich andere an ihre Regeln halten sollen. Denn eine Blockade wird für gewöhnlich, nachdem sie geschehen ist, im Zuge eines Gerichtsverfahrens als Nötigung mit einer Geldstrafe geahndet. Demgegenüber den gravierenden Grundrechtseingriff eines Freiheitsentzuges für vermutete künftige Straftaten – ohne Prozess – als verhältnismäßig zu begründen, könnte sich im Falle einer gerichtlichen Aufarbeitung als kompliziert erweisen.

Offenes Bekenntnis zur Verzweiflung

Allerdings gehört zum zivilen Ungehorsam, der per Definition den Rechtsbruch aus Gewissensgründen voraussetzt, ebenfalls dazu, sich auf eine mögliche Bestrafung einzustellen. Und das scheint bei der Letzten Generation durchaus der Fall zu sein. Unter denen, die im Münchener Gewahrsam gelandet sind, ist auch der 27-jährige Nelson Butterfield, der gerade an der Universität Stuttgart promoviert. Er war schon mehrfach im Gewahrsam und rekrutiert bei Vorträgen Leute, die bereit sind für den Klimaprotest im Knast zu landen.

Unter den Menschen im Polizeigewahrsam ist auch Miriam Meyer, 30 Jahre alt. Sie hätte nie gedacht, mal im Gefängnis zu landen. Dennoch habe sie dieses Risiko bewusst in Kauf genommen und vor der Blockade-Aktion in München eine Videobotschaft aufgezeichnet. "Wir befinden uns gerade in einer Situation, in der Wissenschaftler:innen, die davor warnen, wie schlimm die Klimakatastrophe werden wird, in den zivilen Widerstand gehen, selbst Straßen blockieren und dafür weggesperrt werden. Sie werden weggesperrt, statt gehört zu werden." Da ist Lars Ritter, 19 Jahre alt, der in diesem Jahr sein Abi gemacht hat und in einer Sprachnachricht sagt: "Wenn ihr das hört, dann sitze ich gerade im Gefängnis. Denn ich habe Angst und ich bin verzweifelt. Deshalb habe ich mich in München auf die Straße gesetzt, um die Politik in Bayern mit dem Klimaversagen zu konfrontieren." Elena, 23 Jahre alt, kommentiert die Blockade, die ihr 30 Tage Freiheitsentzug einbrachte: "Das ist ein Akt enormer Verzweiflung. Ich bin jetzt an einem Punkt, wo ich diesen Notfall, den wir haben, einfach die ganze Zeit so sehr präsent hab in meinem Leben, dass ich es nicht vereinbaren kann, irgendwie persönlichen Leidenschaften nachzugehen, sondern ich will jetzt alles, was ich kann als einzelne Person, reingeben."

Volker Lösch fragt vor diesem Hintergrund, wer eigentlich brutaler ist? Junge Menschen, die sich an Fahrstreifen festkleben, weil sie sich nicht mehr zu helfen wissen. Oder diejenigen, die eben diese Menschen mit abstrusen Unterstellungen verleumden und ansonsten weitermachen wollen wie gewohnt auf der Autobahn Richtung Klimahölle.


Hinweis: Volker Lösch gehört zu den Initiator:innen einer Kampagne, die unter Künstler:innen und Kreativschaffenden zur Solidarität mit der Letzten Generation aufruft. Die begleitende Website "Klimaschutz ist kein Verbrechen" ging kurz vor Redaktionssschluss online. 


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16 Kommentare verfügbar

  • Stefan Urbat
    am 23.11.2022
    Antworten
    Da fühlen sich einige ertappt, wie mir scheint, wollen auf ihr Totalversagen in den letzten Jahrzehnten und oft fortdauernd nicht hingewiesen werden und rufen zu rechtswidrigen Handlungen auf gegen eine Gruppe Verzweifelter, die verstanden haben, wie nahe vor dem Ende/an den Abgrund sich die…
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