Vor ein paar Monaten teilte ich auf dem sozialen Netzwerk LinkedIn eine persönliche Geschichte, um auf zwei Berichte aufmerksam zu machen: einen Anstieg gemeldeter Übergriffe auf Muslim:innen im Jahr 2024 um 60 Prozent und eine Studie, die zeigt, dass 26 Prozent der ausländischen Fachkräfte Deutschland unter anderem wegen der politischen Lage wieder verlassen wollen.
Ich schrieb in meinem Post darüber, wie mein Kind sich gegen Stereotype und abfällige Bemerkungen von Mitschülern über "Araber" wehren muss, obwohl wir in einem sehr weltoffenen Stadtteil in Stuttgart leben. Ich wollte auf den Mangel an Wissen und Austausch aufmerksam machen. Mehr nicht.
"Warum feiern Schulen nur Gottesdienste zu Weihnachten und ignorieren die religiösen Feste von Muslim:innen, Hinduist:innen, Sikh und Buddhist:innen völlig?", schrieb ich aus meiner Perspektive als Christin aus dem Libanon, einem multireligiösen Land. Die Kommentare, die ich dafür bekam, zeigen: Die fremdenfeindliche Stimmung ist sehr ernst. Wer dachte, der Hass auf arabischstämmige Menschen und Muslime habe nach der Silvesternacht 2015 seinen Höhepunkt erreicht, wird nun eines Besseren belehrt.
Vor allem Männer reagierten negativ. Man könnte sie in drei Kategorien einordnen: Die Verleugner und Verharmloser, die antimuslimischen Hass nicht als solchen erkennen (wollen). Die Meister der Täter-Opfer-Umkehr. Und die wirklichen Nazis, die nur "Rasse" und Geburtenquoten verstehen und mich "nach Hause" schicken wollen.
Die schlimmsten Kommentare kamen aber von einer Schulsozialpädagogin. Sie bezweifelte, dass meine Kinder gut integriert sind und riet mir, keine Angst davor zu haben, dass sie Weihnachten feiern. Dass ich Christin bin und für eine Öffnung gegenüber anderen Religionen plädiere, konnte sie selbst nach mehreren Hinweisen nicht verstehen.
Auf Araber schießen
Etwas später las ich schockiert den hasserfüllten Text "Morbus Israel" von Maxim Biller, der am 25. Juni in der "Zeit" publiziert und nach einem öffentlichen Aufschrei wieder gelöscht wurde. Biller forderte israelische Soldaten mit einem als Witz getarnten Satz auf, auf Araber in Gaza zu schießen – selbst wenn sie das nicht mehr wollten. Arabisch zu sein kann schnell eine Frage von Leben und Tod werden.
Ein paar Wochen später verteidigte Harald Martenstein Biller in der "Zeit" und beschrieb dessen Aussage als "unbequeme Wahrheit". Er schlug vor, nicht die Opfer des Krieges zu zählen, sondern die, "die wegen dieses Kriegs noch leben". Deutschlands historische Verantwortung rechtfertigt das Töten von Araber:innen, um jüdisches Leben zu schützen?
Wie konnte es so weit kommen, dass wir in deutschen Medien ähnliche Diskurse lesen wie in israelischen und arabischen Medien? Seit dem 7. Oktober 2023 – dem Hamas-Angriff und dem darauffolgenden israelischen Gegenschlag auf Gaza – erleben wir in deutschen Medien und politischen Debatten eine Schwarz-Weiß-Welt, die bei mir Déjà-Vus aus meinem früheren Leben im Libanon auslösen. Arabische Gesellschaften und Israel stecken seit Jahrzehnten in einer moralischen Krise, getragen von einer einzigen Logik: "Wenn wir sie nicht töten, werden sie uns töten." Doch dass Journalist:innen und Politiker:innen in Deutschland diese Logik übernehmen und gegen "Araber" im Allgemeinen richten, ist nicht nur moralisch falsch, sondern brandgefährlich. Genau wie der Islamismus.
Das Opfersein als Legitimation von Gewalt nutzen viele Akteure: die Hisbollah und die Hamas zum Beispiel – Auswüchse einer kollektiven arabischen Depression seit der Nakba von 1948 und der Naksa von 1967, den zwei Hauptvertreibungs-Ereignissen der palästinensichen Geschichte durch die Gründung des Staates Israels und den israelischen Sieg im Sechstagekrieg, sowie die Eroberung der Golanhöhen und des Südlibanon. Das Opfersein auf der israelisch-jüdischen Seite lässt nach dem 7. Oktober keinen Raum mehr für eine Versöhnung mit den Palästinenser:innen. Aber warum fokussiert sich Deutschland darauf, die arabische Community in Deutschland für die Massaker der Hamas verantwortlich zu machen? Deutschland scheint die Verantwortung für jüdisches und arabisches Leben nicht gleichzeitig tragen zu können.
"Sie sind alle Araber"
Ich habe auf der Website der AfD Baden-Württemberg einen "Reisebericht nach Israel" von 2019 gelesen. Die zentrale These lautete: "Ein Volk der Palästinenser gibt es nicht, es sind alles Araber!". Eine interessante Art für eine faschistische Partei, deren Abgeordnete sich teils nicht scheuen, den Holocaust in Frage zu stellen, den Hass auf Araber hinter vermeintlicher Israel-Solidarität zu verstecken. Und seitdem die Merz-CDU das Ruder übernommen hat, hört man auch von dieser Seite Interessantes über "die Araber".
Ende Mai zum Beispiel sagte CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter in der Talkshow "Hart aber fair", dass er einen palästinensischen Staat unrealistisch finde – im Koalitionsvertrag dagegen steht, CDU/CSU und SPD favorisieren eine Zweistaatenlösung. Kiesewetters Vorschlag dagegen: Der Libanon, Syrien und Jordanien sollen die Palästinenser:innen aufnehme – denn "sie sind alle Araber." Diese Länder habe es vor 150 Jahren noch nicht gegeben, und deren Identität sei sowieso "wackelig". Man könnte zurückfragen: Gab es denn Deutschland vor 150 Jahren in der heutigen Form? Warum also nicht die Schweizer nach Deutschland vertreiben, sie sind doch auch teilweise deutschsprachig?
CDU-Bildungsministerin Karin Prien erklärte Ende Juni in der "Bild", sie empfehle den Nahostkonflikt in Schulen mit "Fakten" aufzuarbeiten – zum Beispiel über den UN-Teilungsplan für Palästina von 1947 zu sprechen und die arabische Kriegsführung gegen Israel. Dann fügte sie hinzu, dass man auch das Leid des palästinensisches Volk nicht vergessen dürfe – immerhin –, bevor sie am Ende doch insbesondere die arabischen Staaten verantwortlich macht, die angeblich kein Interesse "an der Entstehung eines palästinensischen Staates hatten und haben". Nicht Israel ist also verantwortlich, dass er keinen Palästinenserstaat gibt, sondern – schon wieder und sogar hier: "die Araber".
Die Frage ist außerdem, wer selektiert die "Fakten" für die Schulen? Trauen sich Schulen, über die Rolle der Rechtextremisten in Israel zu sprechen, die Yitzhak Rabin ermordet und den Oslo-Friedensprozess beerdigt haben? Über die jahrzehntelange Siedlungspolitik – nicht erst seit Netanjahu –, die einen palästinensischen Staat faktisch unmöglich macht? Über die arabische Friedensinitiative 2002, die die Bereitschaft arabischer Staaten zum Frieden erklärte, sollte Israel sich an die Grenzen von 1967 zurückziehen und die Gründung des Staates Palästina anerkennen?
Joachim Gauck und das "Milieu"
Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck saß am 24. Juli bei Markus Lanz und musste unter Tränen die Kritik an Israels Politik aus sich "herauspressen". Über die Frustration der arabische Community in Deutschland verlor er kein Wort, stattdessen bezeichnete er sie mit verachtender Miene als "Milieu". Ja, manche Araber:innen sind "schuld". Die Nichtintegrierten, die man jahrelang an Schulen nicht erreicht hat. Aber sind sie dafür tatsächlich nur selbst verantwortlich?
Wenn in Zukunft tatsächlich an Schulen die Geschichte des Nahen Ostens differenzierter erklärt wird, hoffe ich, dass zumindest Menschen wie die Schulsozialpädagogin, die mich als "muslimische Christin" betrachtet hat, verstehen, dass die Region multikonfessionell und multiethnisch ist. Die Gewalt gegen Christen im "Heiligen Land" kommentiert übrigens keine der christlichen Parteien. Nach der zweiten Bombardierung einer Kirche in Gaza und Berichten über Siedlergewalt gegen das christliche Dorf Taybeh im Westjordanland Mitte Juli, hoffte ich, Markus Söder würde sich für den Schutz der Christ:innen einsetzen. Vielleicht mit einer Luftbrücke samt Lieblingsburger und -Döner zu den Verletzten in der katholischen Kirche in Gaza. Aber: Kein Wort. Kein Video mit Essen für die Urchrist:innen.
"Zeit Online" versuchte, eine Stellungnahme Söders zur Gewalt rund um Taybeh zu bekommen – vergeblich. In diesem Dorf fördert die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung eine Brauerei, deren Bier aus dem Westjordanland weltweit verkauft wird. Doch selbst wenn sie deutsches Bier produzieren – "die Araber" sind schuld.
Die Tatsache, dass Länder wie Syrien und der Libanon religiös und ethnisch vielfältig sind, passt tatsächlich nicht zur aktuellen Stimmung in Deutschland. Einen Hinweis darauf gab der AfD-Abgeordnete Martin Sichert mit seiner Rede Mitte Juli im Bundestag zum 30. Jahrestag des Völkermords an muslimischen Bosniak:innen von Srebrenica: "Srebrenica mahnt uns, Multikulti zu beenden, bevor es zu spät ist." Also entweder: ethnische Nationalstaaten oder ethnische Säuberung?
Mit so einer Stimmung kann die deutsche Wirtschaft kaum hoffen, dem Fachkräftemangel mit Einwanderung zu begegnen. Was man stattdessen im besten Fall ernten kann, ist Gastarbeit 2.0 – Menschen, die nur halb integriert werden, weil sie ständig auf eine Gelegenheit warten, Deutschland wieder zu verlassen. Ihre Expertise – und ihre von Rassismus betroffenen Kinder – nehmen sie mit.
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Carol
vor 16 Stunden