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Todesangst und Lebensmut

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 Fotos: Martin Storz 

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Opa, was ist ein Schneemann?, hat ein Mädchen auf eine Pappe geschrieben und sich auf den Stuttgarter Marktplatz gestellt. Bundesweit streiken Jugendliche für Klima- und Umweltschutz, sie werfen den älteren Generationen Zukunftsmissbrauch vor. Dass so etwas irrationale Abwehrreflexe provoziert, ist psychologisch gut untersucht – doch es ist zu spät, darauf Rücksicht zu nehmen.

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Wendelin hatte gehofft, dass mehr Schülerinnen und Schüler beim Streik mitmachen. Auch bei seinen KlassenkameradInnen hat sich der 15-Jährige umgehört. "Vielen war der Latein-Unterricht wichtiger", erzählt er und kann das nicht nachvollziehen. Nächste Woche steht zwar eine Klassenarbeit an. "Aber was nutzt uns die Schule, wenn wir keine Zukunft haben?"

Katrin, die in Wirklichkeit anders heißt, greift zum Mikrofon und erklärt vor den rund 120 MitstreiterInnen: "Ich stehe hier, weil ich gerne lebe." Es bleibt bei diesem einen Satz, der von den Umstehenden gedämpft bejubelt wird. Alle, die sich äußern möchten, haben hier die Gelegenheit. Linus, gerade mal zehn Jahre alt, ist gegen Kohle- und Atomkraftwerke, weil er die Natur mag. Jonathan, 15, will nicht nur andere anprangern, sondern hat bei sich selbst angefangen: Er isst seit ein paar Wochen kein Fleisch mehr, auch wenn ihm der Verzicht manchmal noch schwerfällt. Wie die meisten SchülerInnen, die letzten Freitag vor dem Stuttgarter Rathaus gestreikt haben, geht er aufs Mörike-Gymnasium im Westen der Innenstadt. Dort habe sich, wie er sagt, eine eigene Dynamik entwickelt, die viele begeistere und mitreiße.

Für viele hier sind die Klimastreiks der erste Berührungspunkt mit politischem Engagement. Andere, etwa Laura, sind schon seit längerem aktiv. Die 16-Jährige will sich nicht nur für Umweltschutz einsetzen, sondern auch für Geschlechtergerechtigkeit und gegen rechts kämpfen. Politisiert haben sie die S-21-Proteste in der Landeshauptstadt, berichtet sie. Zusammen mit drei Klassenkameraden, die ebenfalls demonstrieren, besucht Laura den Politik-Vierstünder an ihrer Schule, Kernkompetenzfach der gymnasialen Oberstufe. Sie alle finden es wichtig, dass "die Jugend ein Zeichen setzt", und bereuen, an diesem Freitag nicht in Berlin sein zu können, wo an die 10 000 Gleichgesinnte für eine nachhaltige Existenzgrundlage auf die Straße gegangen sind.

Nisha Toussaint Teachant gehört zum Organisationsteam der Stuttgarter Streiks und ist zufrieden, auch wenn hier in einem viel kleineren Maßstab protestiert wird. "Beim ersten Mal", sagt sie, "waren wir nur zu fünft. Aber das war uns egal." Anfang Dezember war das. Inzwischen zählt allein das Orga-Team sieben Köpfe, es gibt eine Ortsgruppe der von Greta Thunberg inspirierten "Fridays for Future"-Bewegung, und Toussaint Teachant vertritt die Stuttgarter in einer mehrere Hundert Mitglieder starken Whats-App-Gruppe, die bundesweit vernetzen soll. "Manchmal ist das Nachrichtenaufkommen etwas anstrengend", lässt die 19-Jährige wissen.

Sinnfrei geschwänzt, setzen, sechs!

In der Schülerschaft und darüber hinaus sind die Klimastreiks nicht unumstritten. Schließlich gilt immer noch Schulpflicht! So meldeten sich etwa die Vorsitzenden von Junger Union und Schüler-Union Baden-Württemberg zu Wort. Philipp Bürkle und Michael Bodner finden, Klimawandel mit Schulstreiks zu bekämpfen, sei "ungefähr so sinnvoll wie mit einem Staubsauger durch die Sahara zu laufen" – ohne ihre These allerdings weiter zu erläutern. Sie verlangen: "Die Lehrkräfte haben Schulschwänzen konsequent zu ahnden." Um das zu ermöglichen, empfehlen sie, "solche Fehlzeiten zukünftig im Zeugnis festzuhalten". Ein Sprecher des baden-württembergischen Kultusministeriums erklärt zudem gegenüber der "Stuttgarter Zeitung", es sei "kein sachlicher Grund erkennbar, warum diese Demonstration unbedingt in der Unterrichtszeit stattfinden muss".

Toussaint Teachant kontert: "Es ist keine Demonstration, es ist ein Streik. Wenn der nicht zur Unterrichtszeit stattfände, würde sich ja niemand dafür interessieren." Das Fernbleiben vom Unterricht sei als Druckmittel zu verstehen. Sie kündigt einen "Aufstand der Jugend" an, nennt die gegenwärtige Umweltpolitik "Zukunftsmissbrauch" und formuliert ihre Botschaft an die Politik: "Egal, ob ihr euch ändern wollt – wir tun es."

Das gefällt nicht allen. In vermeintlich sozialen Netzwerken gibt es zwar viel Zuspruch für die Streiks, auch von Eltern, die die Aktionen ihrer Kinder ausdrücklich befürworten und andere aufrufen, es ihnen gleichzutun. Doch auf der anderen Seite – vor allem, aber nicht ausschließlich in Leserkommentaren konservativer bis rechtspopulistischer Medien – steht viel Kritik, oft vermengt mit wüsten Polemiken, unverschämten Unterstellungen und persönlichen Angriffen auf die 16-jährige Greta Thunberg. Manche LeserInnen wettern gegen "Klimaparanoia", "Ökoterror", "Untergangsfantasien" oder auch den "Missbrauch Minderjähriger", mit dem die Grünen ja Erfahrung hätten (und die, langsam aber sicher, in der neurechten Filterblase zum beliebtesten Feindbild und Sündenbock gleich nach dem Multimilliardär George Soros werden).

Wie kommt es, dass erwachsene Menschen mit hasserfüllten Beleidigungen gegen eine engagierte Jugend hetzen und zugleich die Gefahren einer sich abzeichnenden Klimakatastrophe völlig leugnen? Eine Erklärung liefert die Terror-Management-Theorie (TMT), die Hypothesen zum Umgang mit Todesangst aufstellt: Menschen, die gerne leben wollen, werden nur ungern daran erinnert, dass sie einmal sterben müssen. Wer es dennoch tut, wird seltener zu Grillpartys eingeladen. Die Forschung zur Mortalitätssalienz – so lautet der wissenschaftliche Terminus für das Bewusstsein um die eigene Sterblichkeit – beschreibt typische Verhaltensmuster, die auftreten, sobald Menschen in Erinnerung gerufen wird, dass ihre Zeit befristet ist.

Augen zu und durch

In einer Studie der Universität Jena, die mit dem Titel "Angst macht blind" überschrieben ist, werden "zwei kognitive Mechanismen zur Bewältigung dieser Furcht" beschrieben. Erstens ermögliche "das Vertreten der eigenen kulturellen Weltsicht eine bedeutungsvolle Konzeption der Realität und biete (...) eine Aussicht auf Transzendenz", etwa durch die tröstliche Vorstellung eines paradiesischen Jenseits oder wenigstens einer Wiedergeburt. Zweitens fungiere ein übersteigerter "Selbstwert als Puffer gegen die Todesangst". Weshalb Menschen aktiv bemüht seien, diesen zu erhöhen, "indem sie die Werte und Normen ihrer Kulturgemeinschaft befolgen und verteidigen." Das Bemühen um Stabilität und Kontrolle erschwert also, sich Veränderungen gegenüber zu öffnen. Greifen neue Ideen die eigenen Überzeugungen an, "resultiert daraus die Abwertung dieser Ideen und der entsprechenden Interaktionspartner", so die Zusammenfassung der Sozialpsycholgie-Abteilung an der Uni Salzburg. Bereits 1987 kam die Sozialpsychologin Ziva Kunda zu dem Befund, dass Individuen, die mit der Unausweichlichkeit ihres Todes konfrontiert sind, dazu neigen, die Glaubwürdigkeit von Forschungsergebnissen anzuzweifeln, die andeuten, dass ihr Leben bedroht sein könnte.

2009 bezog die Neuropsychologin Janis Dickinson die TMT-Thesen auf den Umgang mit dem Klimawandel. Dazu formulierte sie drei Kernthesen, wie Mortalitätssalienz und Todesangst sich in abwehrendem Verhalten manifestieren: "(1) Leugnung des Klimawandels, Klimaskepsis. (2) Leugnen der menschlichen Ursachen des Klimawandels. (3) Eine Tendenz, die Auswirkungen kleinzureden oder in eine ferne Zukunft zu projizieren, in der sie keine persönliche Bedrohung mehr darstellen." Ferner bestehe die Gefahr, dass Personen "charismatischen Führungsfiguren", die ihre Ansichten bestätigen, "blind folgen", bei einem "reduziertem Vermögen zu rationaler Kritik". Zudem resultiere daraus "eine Tendenz, seine bestehende Weltsicht auch dann zu bekräftigen, wenn sie nicht tragfähig ist".

Wohlgemerkt: Als Dickinson ihren Bericht veröffentlichte, hieß der Präsident der Vereinigten Staaten noch Barack Obama. Zehn Jahre später sitzt ein Hitzkopf im Weißen Haus, der die globale Erwärmung mit einem Verweis auf ein paar kühle Novembertage anzweifelt. Die Polarisierung der (US-amerikanischen) Bevölkerung sah Dickinson voraus: "Menschen, denen Materialismus ein gesteigertes Selbstwertgefühl verleiht und die eine Ideologie des Anspruchsrechts (entitlement) vertreten, werden mutmaßlich mehr SUVs kaufen und feindseligere Einstellungen gegenüber der Umweltbewegung entwickeln. Sie werden wahrscheinlich strengere Strafen für die radikaleren Protestler fordern. Im Gegensatz dazu werden diejenigen, die ihren Selbstwert durch Humanismus und Umweltschutz steigern, vermutlich zunehmend militanter werden und ihre Anliegen lauter formulieren." Dieser Konflikt gegensätzlicher Ideologien werde, so die Forscherin 2009, die gesellschaftliche Spaltung weiter vorantreiben.

Munter voran, mit Fakten statt Fake News

Der demokratische Entscheidungsfindungsprozess steht nun also vor der Herausforderung, verhaltenstypischen Leugnungsreflexen <link https: www.klimafakten.de fakten-statt-behauptungen fakt-ist external-link-new-window>ein rationales und faktenbasiertes Gegengewicht entgegenzusetzen. Das Evidente noch einmal zu überprüfen, wird mutmaßlich nur dazu führen, dass die heute Skeptischen nach der Neuentdeckung des Altbekannten auch morgen noch verlangen werden, erst einmal abzuwarten und mehr Informationen zu sammeln, bevor "vorschnell" von einer Korrelation auf eine Kausalität geschlossen werde.

Womöglich ist es aber, angesichts der Forschungsbefunde, tatsächlich der falsche Weg, auf Panik zu setzen, und stattdessen angebracht, der Todesangst mehr Lebensmut entgegenzusetzen. Opa, was ist ein Schneemann?, steht in zittrigen weißen Lettern auf einem schwarzen Plakat geschrieben, das ein Kind vor dem Stuttgarter Rathaus in die Höhe hält. Den Menschen hier, fast alle noch minderjährig und teils im Grundschulalter, merkt man die aufrichtige Sorge um ihre Zukunft an. Und dennoch ist die Stimmung im Vergleich zu anderen Versammlungen in der Öffentlichkeit auffällig positiv. "Hopp, hopp, Kohlestopp!", rufen die Kinder und jungen Erwachsenen bei Minusgraden und hüpfen munter auf und ab. Später gibt es eine Lärmminute, bei der sie sich die Seelen aus dem Leib schreien. Eine Frau kommt aus dem Rathaus gelaufen, guckt verdutzt und zieht erstmal die Schultern hoch. Dann lässt sie sich zu einem Lächeln erwärmen.

Und das wäre doch durchaus eine erquickliche Geschichte für die Nachwelt: Während es seit der Antike im Trend liegt, über die Jugend zu lästern, und sogar Sokrates nachgesagt wird, er habe sich über deren fehlende Manieren und ihren Hang, bei Tisch die Süßspeisen zu verschlingen, beklagt, könnten nachfolgende Generationen eben dieser eine halbwegs intakte Umwelt zu verdanken haben: Weil eine junge, dynamische und weltoffene Bewegung eine unfähige Erwachsenenwelt endlich zum Jagen trägt.


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7 Kommentare verfügbar

  • W. Buck
    am 02.02.2019
    Antworten
    Herr Grytz, machen Sie es einfach so wie ich: Kommentare von Gscheidle ignoriere ich.
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