Eine Art Unterricht, ein Schlüsselerlebnis war es auch für Michel Brandt, 2010 als 20-jähriger Schauspielschüler unter den Demonstranten im Park, acht Jahre später erster Redner bei der Demo. Wollte man es boulevardesk zuspitzen, könnte man vielleicht schreiben, die Wasserwerfer des 30.9. hätten Brandt in die Politik gespült, denn der junge Karlsruher ist seit einigen Jahren Mitglied der Partei Die Linke und sitzt für sie seit dem vergangenen Jahr im Bundestag. Doch ganz so simpel ist es dann doch nicht.
"Ich komme aus Niedersachsen, war dort vor allem gegen die Castor-Transporte engagiert", sagt Brandt. Er sei schon früh, "mit 12, 13 Jahren, bewegungspolitisch aktiv" gewesen, in sozialen, ökologischen, antifaschistischen und antirassistischen Bewegungen. Ein zusätzlicher Schub, ein Katalysator für sein weiteres politisches Engagement sei aber der Schwarze Donnerstag gewesen. Vor allem eine Erfahrung, die ihn bis heute wütend macht.
2008 war Brandt nach Stuttgart gekommen, um hier an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Schauspiel zu studieren. "Ich habe geguckt: Was ist denn politisch los hier? Und es war genau die Zeit, in der die Anti-S-21-Bewegung so groß wurde. Da hab ich mich sehr gut verorten können, aufgrund der Breite, der Vielfalt des Protests." Brandt trug sich im Ende 2009 gegründeten Parkschützer-Netzwerk im Internet ein, um sich im Falle von Abriss- und Baumfällaktionen am Bahnhof per SMS benachrichtigen zu lassen und so schnell wie möglich vor Ort zu kommen.
Im Hambacher Forst kamen die Bilder aus Stuttgart wieder hoch
"Es geht los", hieß es in der SMS am 30. September 2010, sie kam, als Brandt gerade bei Theaterproben war. Die Proben waren damit beendet, er machte sich sofort auf in den Park, wo sich zur ursprünglichen Schülerdemo schon Hunderte weitere Demonstranten gesellt hatten. Und es auch bald immer mehr Verletzte werden sollten.
Bei den Protesten gegen die Castor-Transporte, wo Brandt schon früh dabei war, war die Polizei nicht gerade zimperlich gegen Demonstranten vorgegangen. Aber mit seinen Erlebnissen am 30.9. sei das nicht vergleichbar gewesen. "Dieser gezielte Angriff auf die Schüler, der da stattgefunden hat, dieser Angriff auf Menschen, die teils noch nie auf der Straße waren, die nicht wussten, was auf sie zukommt, nicht damit umgehen konnten, nicht geglaubt haben, dass diese Wasserwerfer wirklich loslegen – das habe ich in der Form nicht oft erlebt, das hat einfach bis heute eine ganz besondere Qualität." Vor zwei Wochen sei er im Hambacher Forst gewesen, "wo die Demonstrationen der mit den Waldbesetzern Sympathisierenden auch sehr bürgerlich geprägt sind", da seien die Stuttgarter Bilder wieder in ihm hochgekommen.
Nicht nur wegen des Polizeieinsatzes hat Brandt im Hambacher Forst an Stuttgart 21 denken müssen. Die Räumung des Waldstücks stehe "für eine Verachtung der Regierenden und der Konzerne für demokratische Prinzipien", sagt er auf der Demo. Ähnlich wie beim Bahnhofsprojekt, das für ihn ein "Paradebeispiel für eine politische Kultur der Ignoranz" ist, einer Politik "gegen die Menschen und nur für Profite".
2 Kommentare verfügbar
Charlotte Rath
am 04.10.2018Am 30.09.2010 kam nicht „nur“ Pfefferspray zum Einsatz. Da wurde auch ein Mittel eingesetzt, dessen Symptomatik (Kratzen im Hals, großer Durst, später Schwindel, Übelkeit und…