Sie ist da reingeraten, irgendwie. Eine Fünfzehnjährige, die als Unbeteiligte eine Ladung Pfefferspray abbekam am 18. März 2015, als die Proteste gegen die Eröffnung des Neubaus der Europäischen Zentralbank in Frankfurt eskalierten. "Steif wie ein Brett war sie", erinnert sich Peer Vlatten, der das Mädchen behandelte, fast eine Stunde habe es gedauert, bis sie sich wieder regen konnte. <link https: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft hilfe-im-gepaeck-4968.html external-link-new-window>Vlatten, Demosanitäter und Medizinstudent kurz vor der Doktorarbeit, hat gemeinsam mit seinen KollegInnen schon viel erlebt auf Protestveranstaltungen. Extreme Fälle. Offene Blutungen, multiple Brüche. Das seien aber absolute Ausnahmen. "Die meisten PatientInnen", sagt er, "haben wir mit deutlichem Abstand wegen Pfefferspray."
Der Wirkstoff Oleoresin Capsicum (OC), meist aus Chilischoten extrahiert und viele tausend Male schärfer als Tabasco, ist leicht fettlöslich und dringt bei Kontakt schnell in die Haut ein. Im Nervensystem dockt die Substanz direkt an Rezeptoren an und verursacht dort Verbrennungsschmerzen. Für den Organismus stellt das eine extreme Stresssituation dar. Typische Reaktionen sind ein dramatisch ansteigender Blutdruck, Gefäße erweitern sich, die Haut ist gerötet und schwillt an. Tränenfluss, Entzündungen, in selteneren Fällen Quaddel- und Blasenbildung an den betroffenen Stellen.
Und dann sind da die Fälle, die völlig aus der Reihe fallen, wie der in Frankfurt. Normalerweise klingt die Wirkung des Reizstoffes nach 15 bis 45 Minuten ab. "Das Mädchen muss einen psychischen Schock erlitten haben", vermutet Sanitäter Vlatten: "Sie hatte Glück im Unglück, dass sie nicht in der Menschenmenge niedergetrampelt wurde." Weniger Glück hatten <link http: www.taz.de nach-reizgas-einsatz-der-polizei external-link-new-window>die beiden Menschen, die vor wenigen Wochen an den Folgen von Pfefferspray-Einsätzen verstarben.
Pfefferspray-Opfer werden häufig nicht als Verletzte gezählt
Vlatten ärgert sich, dass Pfefferspray als zu harmlos oder gar unbedenklich dargestellt werde. Häufig heiße es nach Demonstrationen von Behördenseite, Pfefferspray sei zum Einsatz gekommen, aber es gebe keine geschädigten DemonstrantInnen. Dann wundert sich der Demosanitäter, wenn er Menschen mit rotgeschwollenen Gesichtern die Augen ausspült, ob das keine Verletzten sind. Bei Dutzenden Einsätzen auf Demonstrationen in ganz Deutschland hat sich bei ihm der Eindruck verfestigt, dass die Hemmschwelle bei vielen Beamten sehr niedrig liege und Pfefferspray oftmals allzu leichtfertig eingesetzt werde.
Er erinnert auch an den Schwarzen Donnerstag, den 30. September 2010 in Stuttgart, an dem friedliche Demonstranten massiver Polizeigewalt ausgesetzt waren, zu der auch ausgiebiger Pfefferspray-Einsatz gehörte. Die Behörden zählten anschließend etwa 160 Verletzte, das war auch die Zahl, die viele Medien verbreiteten. In dieser Statistik tauchten allerdings nur die von Rotem Kreuz und Berufsfeuerwehr versorgte Personen auf. Die Demosanitäter Südwest, die den Tag über unermüdlich Menschen behandelten, kamen auf allein 375 von ihnen versorgte Verletzte, davon 320 durch Pfefferspray. Sie schätzten die Gesamtzahl der Geschädigten an diesem Tag auf rund 1000, da sich nicht alle versorgen ließen.
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Schwa be
am 11.09.2018