D as Urteil vom 18. November 2015 war eine Ohrfeige für alle, die in Politik, Polizei und Justiz Verantwortung trugen – an jenem 30. September 2010, als es im Stuttgarter Schlossgarten zu mehr als 400 Verletzten durch Schlagstock-, Pfefferspray- und Wasserwerfereinsätze kam. Der missratene Polizeieinsatz schaffte es im vergangenen Herbst noch einmal in die Hauptnachrichten der deutschen Medien und tatsächlich sah es kurz so aus, als wäre es Zeit für Versöhnung: Das (beklagte) Land ging nicht in Berufung und Ministerpräsident Winfried Kretschmann sprang über den eigenen Schatten. Vier Wochen nach dem Urteil versprach er zügige Erledigung aller Ansprüche und sagte vor allem erstmals "Entschuldigung" – namens des Landes Baden-Württemberg.
Allerdings, unkten manche sogleich, herrschte vor einem Jahr Landtags-Wahlkampf. Grün-Rot wollte wiedergewählt werden und die Schlagzeile von der Versöhnung kam zur rechten Zeit. Nur hatte sich offenbar keiner gefunden, der das heikle Thema selber in die Hand nehmen wollte. So wurde es <link http: www.kontextwochenzeitung.de politik wo-bleibt-das-schmerzensgeld-3504.html internal-link-new-window>delegiert – an die Täter: Ausgerechnet das Polizeipräsidium Stuttgart, hieß es, also just die für den rechtswidrigen Einsatz verantwortliche Behörde, werde im Januar 2016 auf die Geschädigten "zugehen, um mit ihnen in Gespräche einzusteigen". Die Entschädigung erfolge dann "im Rahmen und nach den Regeln des Amtshaftungsrechtes". Und innerhalb des Polizeipräsidiums wurde als zuständiger Sachbearbeiter jener Gerhard Groß ausgeguckt, der vor dem Verwaltungsgericht das Land vertreten und bis zuletzt behauptet hatte, die Versammlung im Schlossgarten sei eine unfriedliche gewesen.
Immerhin: Eine zerbrochene Brille wurde ersetzt
Schnell wurde danach außerdem klar, dass die Ankündigung keineswegs so zu verstehen war, das Land werde nunmehr auf alle Verletzten des Schwarzen Donnerstag zugehen. Tatsächlich wurde lediglich Kontakt aufgenommen zu den (wenigen) Klägern jenes Verfahrens beim Verwaltungsgericht sowie zu einzelnen Verletzten, die von sich aus beim Polizeipräsidium Schadensersatz und Schmerzensgeld gefordert hatten. Wiewohl seither reichlich Zeit verstrich und der Sachverhalt – juristisch – eindeutig ist, sind davon lediglich einige wenige Fälle erledigt. So wurde ein leicht verletzter Kläger <link http: www.kontextwochenzeitung.de politik internal-link-new-window>mit 300 Euro entschädigt, ein anderer Anspruchsteller erhielt immerhin auch Ersatz für seine im Schlossgarten zerbrochene Brille.
Schwer tun sich das Land und das mit der Bearbeitung der Ansprüche beauftragte Polizeipräsidium Stuttgart ausgerechnet mit den Ansprüchen der Schwerverletzten. Auch ein Jahr nach dem Urteil haben diese immer noch keinen Cent erhalten. Ausgerechnet dem nahezu blind geschossenen Dietrich Wagner wurde eine von seinem Rechtsanwalt Frank-Ulrich Mann im April des Jahres vorgeschlagene Abschlagszahlung verweigert – mit der Begründung, das sei nach dem Haushaltsrecht nicht möglich. Nichts von wegen Schmerz lass nach: Der Anwalt hat nunmehr eine letzte Frist bis zum 22. November gesetzt; danach wird er Klage einreichen.
5 Kommentare verfügbar
Alfred
am 19.11.2016Wir die Grünen in der Staatsregierung setzten uns nicht gegen das SPD geführte Innenministerium nicht durch ?
Wir die Grünen in der Staatsregierung setzen uns gegen das CDU
geführte Innenministerium nicht durch ?
Was sagt uns die…