Der 17. Sitzungstag der neuen Legislaturperiode ist ein denkwürdiger. Zum ersten Mal überhaupt werden im baden-württembergischen Landtag zwei Abgeordnete wegen ungebührlichen Verhaltens offiziell abgemahnt. Beide sind Mitglieder der "Alternative für Deutschland" (AfD), einer hat die Abgeordneten der anderen Parteien pauschal mehrfach als "Volksverräter" beschimpft, danach soll es in den AfD-Räumlichkeiten sogar zu Handgreiflichkeiten gekommen sein.
Was den langjährigen Bildungsexperten der CDU-Fraktion Karl-Friedrich Röhm aber nicht von einem entspannten Plausch mit einigen Rechtspopulisten am Ende der Beratungen abhält. Entspannt und scherzend steht die Gruppe – allesamt vom Typ weiße, ältere Männer – zusammen. Nichts ist zu spüren von Berührungsängsten, vergessen der Vorsatz, die Kontakte auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Ganz im Gegenteil. Die Stimmung ist gelöst, die Sprüche sind locker.
Die Episode wirft ein Licht auf Anfälligkeiten. Röhm, einst Rektor des Gymnasiums von Münsingen, sitzt nicht nur am rechten Rand seiner Fraktion. Er gehört zu den bildungspolitischen Hardlinern in der CDU, er teilt gern aus, der kollegiale Umgang mit bekennenden Verächtern aller Altparteien lässt erahnen, was los wäre im Land, würde die CDU nicht regieren, sondern abermals und jetzt neben der AfD Oppositionsbänke drücken müssen. Der Verlockung, sich von den ganz Rechten nicht die Butter vom Brot nehmen zu lassen, sondern mit ihnen tüchtig zu wetteifern auf gewissen Feldern, wäre sicher schon der eine oder andere erlegen. "Wir müssen die demokratischen Kräfte zusammenhalten", so Ministerpräsident Winfried Kretschmann kürzlich in Brüssel auf die Frage nach den Aufgaben der grün-schwarzen Landesregierung über das Alltagsgeschäft hinaus. Das wäre deutlich schwerer mit einer frustrierten, erneut machtlosen Union.
Politik für sozialen Ausgleich und gesellschaftlichen Zusammenhalt
Kretschmann würde, das hat die Vermögenssteuerdebatte gezeigt, einen vergleichsweise hohen Preis dafür zahlen, der Union im Bund zur prolongierten Regierungsverantwortung zu verhelfen und sie damit einzubinden. Eine große Mehrheit der Grünen will ihre Partei allerdings selbstbewusst in der Mitte zwischen den Bundesregierungsoptionen mit der Union einerseits und den Sozialdemokraten und der Linken andererseits positionieren. Trotz des Drucks, der in den öffentlichen Reaktionen auf die Bundesdelegiertenkonferenz in Münster am Wochenende sofort deutlich wurde. "Die Grünen zeigen schon jetzt, dass sie für die Mitte Deutschlands unwählbar sind" urteilte "Focus" am Samstag. Da war der Parteitag noch gar nicht zu Ende. Eine Einschätzung, die sich flugs auch auf AfD-Facebook-Seiten wiederfand.
Tatsächlich sind einige Pflöcke schon mal eingerammt. Etwa beim Ehegatten-Splitting, über dessen Abschaffung seit bald 20 Jahren diskutiert wird. Schon Fritz Kuhn, damals noch Bundestagsfraktionschef, wollte in der ersten Regierung Schröder zumindest eine Abschmelzung durchsetzen. Jetzt ist ein Ende für künftige Ehen beschlossen. Und sofort müssen sich die Grünen im Netz für den angeblichen Linksruck prügeln lassen, und dafür, dass sie mit der Unterscheidung zwischen alten und neuen Ehen die Spaltung der Gesellschaft vorantreiben. Gar nicht auszudenken die Aufregung, hätten sich die Befürworter einer Neuregelung für alle Ehen durchgesetzt.
Einen Vorgeschmack auf den Bundestagswahlkampf liefert ausgerechnet Baden-Württembergs CDU-Landeschef Thomas Strobl, bei dem jede Solidarität mit dem Koalitionspartner endet, wenn Chancen zur eigenen Profilierung gewittert werden. Die Steuerpläne seien "ein No-Go" und "Gift für unsere Wirtschaft". Selbst Strobl weiß, wie wachsweich der Kompromiss ist und vor allem, dass er schlussendlich von den Realos aus dem Südwesten mitgetragen wurde. Dennoch wetterte er gegen "die linke Ideologie", ohne zu bemerken, dass dies auch Ausdruck dafür ist, wie weit rechts er selber steht.
9 Kommentare verfügbar
Bernd Oehler
am 18.11.2016Ist ja putzig, wie Sie jetzt zurückrudern, von der Treue zu Idealen hin zum Schielen nach Posten und der »Veränderung in der politischen Kultur insgesamt«. Machen doch alle so, also warum nicht die Grünen, gell. Immerhin beschreibt das die Realität doch etwas präziser.
Was Joschka…