Tagelang ist hinter den Kulissen gezogen und geschoben worden. Grüne Schwergewichte aus der Republik oder aus dem Europaparlament haben sich für einen Kompromiss beim heiklen Gerechtigkeitsthema stark gemacht – aus Sorge, eine Vermögenssteuer werde ihnen wieder als eine Art Klassenkampf ausgelegt und bei der Bundestagswahl heimgezahlt, wie 2013. Damals war die Partei nach einem giftigen und unlauteren, weil mit falschen Fakten geführten Steuerwahlkampf hart bei 8,4 Prozent aufgeschlagen. Diesmal sollte alles besser werden. Stattdessen stehen der Bundesvorstand, die Bundestagsfraktion und all jene, die den offenen Streit auf der Bundesdelegiertenkonferenz Mitte November in Münster vermeiden wollten, vor einem Scherbenhaufen.
Ordentlich Porzellan zerschlagen wurde Ende der vergangenen Wochen ausgerechnet von zahlreichen Realos aus Baden-Württemberg, die doch eigentlich ihre Politik immer beginnen wollen mit der Betrachtung der Wirklichkeit. Finanzministerin Edith Sitzmann hat zwar ausweislich ihres gerade präsentierten ersten Haushalts nicht genug Geld für Lehrkräfte, Polizisten oder die Sanierung von Hochschulen – das hindert sie aber nicht daran, einen Antrag einzubringen, der auf jede Form der Vermögenssteuer verzichtet und noch dazu mit einem peinlichen Versprechen winkt: "Wir werden gemeinsam mit den relevanten Akteuren aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft prüfen, welche Instrumente wirksam sind, um die Schere zwischen Arm und Reich zu verkleinern und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken."
Seit 20 Jahren ist die Erhebung der Vermögenssteuer vom Bundesverfassungsgericht ausgesetzt. Da lag der Spitzensteuersatz bei der Einkommenssteuer bei 53 Prozent statt der inzwischen 42. Zwei Jahrzehnte also – meistens in der Opposition – hätten die klügsten grünen Köpfe Konzepte erdenken können, wie Reiche und Superreiche verfassungskonform an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligt werden können. Fehlanzeige. Stattdessen wiederholt Winfried Kretschmann sein striktes Nein: Niemand, sagt er zu allem Überfluss, kriege eine zulässige, sinnvolle Lösung ohne überbordenden bürokratischen Aufwand hin.
Zeit war genug
Den Beweis für diese Behauptung bleibt er schuldig. In Fragen der Klima- oder Energiepolitik oder beim Naturschutz würde ihn eine derartige Bankrotterklärung auf die Palme bringen. Umweltminister Franz Untersteller hat die als Antrag getarnte Kapitulation natürlich auch unterschrieben, ebenso Stuttgarts OB Fritz Kuhn, Wissenschaftsministerin Theresia Bauer, Fraktionschef Andreas Schwarz, die Staatssekretäre Schopper und Ratzmann und einer, der sich einer gerechteren Steuerpolitik besonders verpflichtet fühlen müsste, um die bekanntlich seit Jahren gerade in Baden-Württemberg immer weiter wachsende Kluft zwischen Arm und Reich zu schließen: Sozialminister Mannfred Lucha.
Dabei fehlt es gar nicht an Alternativen. Schon das Konzept des Bundesvorstands bleibt weit hinter früheren Vorstellungen zurück. Vorgeschlagen wird den Delegierten beim Parteitag in Münster eine Vermögenssteuer, "ausgestaltet als Millionärssteuer mit einem persönlichen Freibetrag von mindestens einer Million Euro", wie es im Leitantrag zum "sozialen Zusammenhalt" heißt. Der Steuersatz solle "maximal ein Prozent betragen und das Aufkommen bei zehn Milliarden Euro liegen".
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Rolf Steiner
am 29.10.2016