TTIP und CETA, die neuen sicheren Herkunftsländer, Digitalisierung, soziale Gerechtigkeit, Einkommens-, Vermögens- und Erbschaftssteuer: Die Skala strittiger Themen, bei denen sich die Grünen auf Bundesebene anders positionieren als ihre baden-württembergischen Freunde, ist nach oben offen. Genauso wie das darin steckende Eskalationspotenzial. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass er und der wahrscheinliche Spitzenkandidat Cem Özdemir politische Weggefährten seit mehr als 30 Jahren sind. Oder dass es beim Länderrat in Berlin kurz nach dem 13. März so viel herzlichen Applaus für den wiedergewählten Ministerpräsidenten gab wie selten zu vor, bei nur einem einzigen sarkastischen Zwischenruf. "Wir singen alle gemeinsam den Choral", karikierte der Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer – noch ein langjähriger Weggefährte – die allgemeine Stimmungslage, "wir sind Kretschmann."
Sind die Grünen nicht. Erst recht nicht viele jener, die auf der Bundesebene das Sagen haben und alles daransetzen wollen, 2017 mehr Prozente zu holen als die mickrigen 8,4 vom September 2013. Jürgen Trittin jedenfalls hat sich bereits zu Wort gemeldet mit Sätzen wie diesen: "Nur mit einer klaren Haltung wird es gelingen, in einem künftigen Sechs-Parteien-Bundestag nicht sechste, sondern dritte Kraft zu sein." Oder: "Grüne dürfen sich deshalb nicht darauf beschränken, nach dem Motto 'Einer muss ja das Land regieren' ihrer Verantwortung nachzukommen." Das ließ sich als Seitenhieb auf Kretschmann verstehen, der genau mit ebendieser Formulierung seine Koalition mit der CDU legitimiert hatte.
In Berlin wird längst am ersten Entwurf eines Wahlprogramms geschrieben und im Netz heiß diskutiert, ob der vom derzeit beliebtesten Politiker der Republik für seine Partei angestrebte Platz in der Mitte tatsächlich der richtige ist. "Wir regieren konstruktiv mit, manche sagen auch angepasst", postet ein Mitglied auf der Facebook-Seite des hessischen Landesverbands, "und sind bei den Kommunalwahlen dennoch rasiert worden." Immerhin: Geräuschlosigkeit wird das Problem im Südwesten nicht sein, denn bei praktisch allen Themen, bei denen Kretschmanns "pragmatischer Humanismus" vielen in der Bundestagsfraktion eigentlich schon zu weit geht, drückt die CDU von der anderen, der rechten Seite dagegen.
Pragmatischer Humanismus vs. Rechtsdruck
Der neue Agrarminister Peter Hauk, der das Ressort zwischen 2005 und 2010 schon einmal führte, nutzte eines seiner allerersten Interviews, um sich als TTIP-Befürworter zu outen: "Wir sind im Südwesten die allergrößten Profiteure, denn wir haben die intensivsten Wirtschaftsbeziehungen zu den USA." Damit überdehnte der gelernte Forstwirt nicht nur den Koalitionsvertrag erheblich, denn die ungleichen Partner hatten sich dort auf die Kompromissformel geeinigt, dass "aus Landessicht Chancen und Risiken in der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) liegen". Er stellt sich auch diametral gegen den einschlägigen Bundesparteitagsbeschluss der Grünen, die "nach allem, was wir über TTIP und CETA wissen", die Abkommen als "nicht vereinbar mit unseren Standards" beurteilen und sich deshalb "weiterhin dagegen starkmachen". Und die Parlamentarier rund um Anton Hofreiter in Berlin verlangen eine Abkehr von der einseitig auf Liberalisierung ausgerichteten europäischen Handelspolitik, die sich bisher "negativ auf die Lebensbedingungen vieler Menschen hierzulande und in anderen Ländern auswirkt". Die derzeit verhandelten Abkommen sowohl mit entwickelten Ländern wie den USA und Kanada, aber auch mit Entwicklungsländern "gehen in eine völlig falsche Richtung". Es gehört nicht viel prophetische Gabe zu der Vermutung, dass sich solche Passagen im Programm zur Bundestagswahl wiederfinden und im Lager der Oberrealos aus dem Südwesten nur wenig Begeisterung auslösen werden.
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