Wenn die Gewerkschaft der Polizei (GdP) und ein Innenminister schützend die Hand über die Polizei halten, ist das in der Regel kein gutes Zeichen. Es bedeutet eigentlich immer, dass dem Gewalt vorausgegangen sein muss: Etwa, wenn Klimaaktivist:innen forsch aus Lützerath geräumt werden, um den Weg für Kohlebagger frei zu machen. Oder wenn Demonstrant:innen Prellungen beklagen, weil die Polizei mit Schlagstöcken auf sie einschlug, wie bei den 1.-Mai-Demos in Stuttgart der vergangenen zwei Jahre. Im schlimmsten Fall ist jemand gestorben, getötet mit der Dienstwaffe.
Letzteres passierte gleich zweimal innerhalb nur weniger Tage in Baden-Württemberg. Am 26. Juni starb ein 27-jähriger Afghane in Wangen, Kreis Göppingen. Mehrere Schüsse sollen ihn getroffen haben. Die Uniformierten wollten ihn bei seiner Wohnung abholen und festnehmen, gegen ihn lag ein sogenannter Vorführungsbefehl wegen einer Körperverletzung vor. Als er ein Messer zog und einen Polizisten verletzte, schossen die Beamten. Fünf Tage später, in der Nacht zum 1. Juli, starb ein 29-jähriger Algerier in Stuttgart-Ost nach dem Schuss eines Polizisten. Zuvor hatte er einen gleichaltrigen Landsmann vor einer Bar "mit einem scharfen Gegenstand", womöglich eine Glasscherbe, am Hals verletzt – nur gut 100 Meter und in Sichtweite vom Polizeipräsidium in der Ostendstraße entfernt. Der Täter floh in einen naheliegenden Innenhof, wo ihn ein Polizist aufspürte.
Noch am selben Tag berichtete die "Stuttgarter Zeitung" (StZ) von einem Video eines Anwohners, der durch den Polizeieinsatz geweckt worden war. Was er mit dem Handy aufzeichnete, lasse Zweifel aufkommen, ob der tödliche Schuss tatsächlich gerechtfertigt war, schrieb die Zeitung. Als der Beamte den Flüchtigen entdeckte, habe er nach Kolleg:innen gerufen. Der 29-Jährige soll dann über einen Maschendrahtzaun gesprungen sein, währenddessen rief der Polizist: "Stehenbleiben oder ich schieße!" Und dann fällt auch schon der Schuss, der den Flüchtigen niederstreckte – laut "Stuttgarter Zeitung" nur etwa eine halbe Sekunde, nachdem dieser nach dem Zaunsprung auf dem Boden aufkam.
Hat der Polizist zu Unrecht geschossen? Es war dunkel, der Tatverdächtige bewegte sich rasch und der Polizist musste davon ausgehen, dass er eventuell noch bewaffnet war. SWR wie "Stuttgarter Zeitung" konfrontierten Polizeiausbilder mit dem Video. "Lehrbuchmäßig" sei das Vorgehen des Beamten, zumindest bis er den Algerier stellt, beteuern die Polizeicoaches. Sie würden jedoch mit Blick auf die darauffolgenden Momente davon abraten, die Waffe auf den Flüchtenden zu richten. Aber sicher ist auch: Es ist keine leichte Entscheidung, die der Beamte innerhalb weniger Sekunden treffen muss. Ob der Beamte im Recht war oder nicht, kann ein Laie ohne Ahnung vom Polizeidienst und der konkreten Situation nicht objektiv bewerten.
Für Strobl ist die Schuldfrage klar
Doch einer steht offensichtlich ohne Wenn und Aber zu seiner Polizei: Innenminister Thomas Strobl (CDU). Nachdem fünf Tage zuvor in Wangen der Afghane erschossen worden war, ließ Strobl folgenden Satz ab: "Wer Polizisten mit dem Messer angreift, hat sich entschieden, nicht mehr zu leben. Jedenfalls, nicht mehr in diesem Land zu leben." Also anders gesagt: Wer die Polizei angreift, darf getrost erschossen oder wenigstens abgeschoben werden. Klar, Polizist:innen haben das Recht auf Selbstverteidigung und dürfen im äußersten Notfall zur Waffe greifen. Nur sagt Strobl es eben nicht so sachlich, sondern greift zur harscheren Formulierung. Die Frage nach der Schuld am Tod durch Polizeischüsse ist für ihn somit klar: Die Getöteten tragen diese allein. Nach dem Stuttgarter Vorfall wiederholt Strobl: "Wer Polizistinnen oder Polizisten mit einem Messer angreift, riskiert das eigene Leben!" Und das, obwohl der 29-Jährige im Stuttgarter Osten nach allem, was derzeit bekannt ist, unbewaffnet war und zur Flucht ansetzte, nicht zum Angriff.
Und was will der Landesinnenminister überhaupt mit der Aussage mitteilen? Wer gegenüber der Polizei gewalttätig auftritt, ist immer von Todessehnsucht getrieben? Alle von der Polizei Erschossenen begehen also "Suicide by cops", wie es in den USA heißt? Darauf wollte Strobl sehr wahrscheinlich nicht hinaus. Vielmehr dürfte es ihm darum gehen, der ihm unterstellten Polizei den Rücken freizuhalten. Das Signal: Wenn du im Dienst tötest, stehe ich zu dir, solange du einen triftigen Grund nennen kannst. Beweise braucht Strobl nicht. Nach dem Todesfall in Wangen nutzt er gleich noch die Gelegenheit, um Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) für die Grenzkontrollen zu loben und daran zu erinnern, dass er selbst gerne nach Afghanistan abschieben würde.
Was Abschiebungen nach Afghanistan mit diesem konkreten Fall zu tun haben sollen? Vermutlich will Strobl darauf hinaus, dass der Angriff erspart geblieben wäre, würde mehr abgeschoben werden. "Kriminelle Ausländer raus!", skandieren Rechtsextreme offen auf Demos, Strobl drückt dasselbe verklausuliert aus. So bedient er rassistisches Gedankengut.
Dass er derartiges absondern kann, ohne großartigen Widerspruch, verdeutlicht, wie tief solche Narrative bereits in der Bevölkerung verankert sind. Oder vielleicht noch schlimmer: Wie sehr sie sich bereits daran gewöhnt hat, dass – nicht nur – bei CDU-Politiker:innen der Gedankensprung von "Ausländer" zu "Kriminalität" und "Abschieben" kein weiter ist.
Widerspruch wirkt
Auch deutschlandweit versteigen sich bekannte Internet-Koryphäen zu ähnlichen Aussagen. Der Youtuber und Streamer "Montanablack" sagte auf der Streamingplattform "Twitch", auf der ihm über fünfeinhalb Millionen Menschen folgen, nur kurz vor der Tat in Wangen Ende Juni: "Wenn du einen Polizisten schlägst mit der Faust, dann finde ich, sollte der Polizist das Recht haben, dich zu erschießen." Der Tätowierte blickt dann ernst in die Kamera, im Hintergrund steht sein giftgrüner Lamborghini in seiner Luxusbude, bevor er fortfährt: "Und damit meine ich nicht, dir einfach in dein Bein zu schießen, sondern er hat das Recht dich zu erschießen." Gegenüber Polizeibeamten fehle einfach der Respekt, die müssten sich zu viel gefallen lassen. Im Chat stimmen Zuschauende ihm zu, einige kommentieren sofort, daran seien Migrant:innen Schuld.
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