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Polizeigewalt in Baden-Württemberg

Immerhin Kennzeichnungspflicht

Polizeigewalt in Baden-Württemberg: Immerhin Kennzeichnungspflicht
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Wenn die Ordnungsmacht im Verdacht steht, nicht ganz sauber gehandelt zu haben, gehen die Ermittlungen der Polizei gegen die Polizei meist schleppend voran. Kontext berichtete im2024 über mehrere Fälle, deren Aufarbeitung auf sich warten lässt.

Ausgabe 680, 10.04.2024

Der Schlächter von Hamburg

Von Minh Schredle

Er freut sich darauf, im Einsatz linke Zecken zu verprügeln und gilt polizeiintern als Menschenfeind: Kontext liegen Chatprotokolle vor, in denen der Beamte Rainer Jäger (Name geändert) mit Gewalttaten prahlt. Konsequenzen hatte das bislang nicht, aber das könnte sich bald ändern.

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Wie zäh es mitunter vorangeht, wenn Uniformierte sich gegenseitig auf den Zahn fühlen sollen, zeigt ein Fall aus Baden-Württembergs Beweissicherung- und Festnahmeeinheit (BFE), Direktion Bruchsal: Der Beamte Rainer Jäger (Name geändert) prahlt mit Gewalttaten gegen Demonstrierende, freut sich, wenn er wieder "Zecken verprügeln" darf und tauscht mit Chat-Partnern Nachrichten aus wie: "Um 02 aufgestanden um einen deutsche Flughafen vor einer eselfickenden Fachkraft zu beschützen." Angesichts der Zustände im Land wünschen sich die Kameraden zudem eine Enklave mit dem Namen "Nationalsozialistische Republik neu Deutschland".

Bei der Polizei sind Jägers Nachrichtenverläufe seit 2017 bekannt. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg attestierte dem Beamten eine menschenverachtende Gesinnung sowie eine "hoch problematische Dienstauffassung". Konsequenzen hatte das allerdings nicht. Im April 2024 berichtete Kontext, dass nach sieben Jahren aber ein Disziplinarverfahren gegen Jäger läuft. Wie's vorangeht? Nachfrage im Mai. Antwort: Die Prüfung der "sehr umfangreichen Strafakte" dauere noch an. Abgesehen davon erteile man keine Auskünfte. Nachfrage im September. Keine Neuigkeiten. Nachfrage im Dezember. Immer noch keine Neuigkeiten. Mit viel gutem Willen könnte man sagen: Da gibt sich jemand viel Mühe mit einer ordentlichen Beweisführung. 

Ebenfalls sehr zurückhaltend sind die Informationen der Polizei zum Einsatz bei einer Demo am 1. Mai in Stuttgart. Dabei fing die Pressearbeit auskunftsfreudig an: In einer Pressemitteilung, verschickt noch am Tag des Geschehens, hieß es, die Beamt:innen hätten mehrfach per Lautsprecherdurchsage die Einhaltung der Demo-Auflagen eingefordert und seien dann "unvermittelt mit Pfefferspray, mitgeführten Dachlatten mit Schrauben, anderen Schlagwerkzeugen, Schlägen und Tritten" attackiert worden.

Ausgabe 684, 08.05.2024

Fake News von der Polizei

Von Minh Schredle

Stuttgart ist das neue Berlin, heißt es nach den Krawallen am 1. Mai. Die Polizei macht Angriffe von Demonstrant:innen für die Ausschreitungen verantwortlich – und nimmt es dabei nicht so genau mit der Wahrheit.

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Augenzeug:innen berichteten allerdings gegenüber Kontext, den Ablauf anders wahrgenommen zu haben. Stundenweise Videomaterial, das der Redaktion vorliegt, zeigt keine Lautsprecherdurchsagen, sondern unvermittelt zuschlagende Beamte und massiven Pfefferspray-Einsatz – aber nur seitens der Polizei. Zudem sieht die Dachlatte auf dem Foto, das die Polizei als einzigen Beleg für eine konfiszierte Waffe präsentiert, verdächtig so aus wie der Stiel eines Demonstrationsplakats, das – ebenfalls auf den Video-Aufnahmen zu sehen – kurz zuvor beschlagnahmt worden ist. 

Also wollte Kontext wissen, was genau die Polizei sicherstellte: Kann das sein, dass hier der Stiel eines Demoschilds als gefährliche Waffe inszeniert wird? Verneinen wollte die Stuttgarter Polizei das auf Anfrage nicht, die Institution hält sich bedeckt. Und auch im Dezember ist die Antwort die gleiche wie im Mai: Unter Verweis auf ihre Ermittlungstaktik verraten die Beamt:innen nicht, was sie so alles sichergestellt haben. Warum sich die Ermittlungstaktik nach Versand der ersten Pressemitteilung mit angeblichem Beweismaterial plötzlich so fundamental geändert hat, konnte uns bislang niemand beantworten. 

Doch immerhin in einer Angelegenheit geht es voran: Nach schier ewigem Hin und Her beschloss der baden-württembergische Landtag am 28. Juni 2023, eine Kennzeichnungspflicht für Polizist:innen bei Großeinsätzen einzuführen. Unter anderem beim Einsatz zum besagten 1. Mai 2024 fiel allerdings auf, dass die Kennziffern nirgendwo an den Uniformen zu sehen waren. Auf Anfrage erläuterte das Innenministerium ebenfalls im Mai, dass es dafür zunächst eine Verwaltungsvorschrift brauche, die inzwischen aber finalisiert sei und alsbald zum Einsatz komme. Und siehe da: Gerade mal drei Monate nach Finalisierung der Verwaltungsvorschrift, nämlich seit dem 1. August 2024, ist die Kennzeichnungspflicht tatsächlich verpflichtend und kommt laut Innenministerium standardisiert bei allen Großlagen zum Einsatz. 

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1 Kommentar verfügbar

  • Uli_am_Neckar
    vor 2 Wochen
    Antworten
    13 Grüne Jahre! Solange hat es gedauert. Schon im Koalitionsvertrag Grün/Rot war 2011 vereinbart:
    „Wir werden eine individualisierte anonymisierte Kennzeichnung der Polizei bei sog. „Großlagen“ einführen, unter strikter Wahrung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der Polizistinnen und…
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