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KSC-Fanprojekt

Schweigen fürs Vertrauen, Strafe fürs Prinzip

KSC-Fanprojekt: Schweigen fürs Vertrauen, Strafe fürs Prinzip
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Soziale Arbeit soll Prävention fördern, die langfristig soziale Stabilität schafft. Im Karlsruher Fanprojekt entschieden sich drei Sozialarbeiter:innen für das Vertrauensverhältnis zu ihren Klient:innen und wollten nicht gegen sie aussagen. Deshalb wurden sie bestraft.

Um das Vertrauen zu behalten, blieb ihnen nur das Schweigen. Davon sind die drei Sozialarbeiter:innen des Karlsruher Fanprojekts bis heute überzeugt. Das Amtsgericht Karlsruhe sah das anders und verurteilte die drei zu Geldstrafen in Höhe von 90 Tagessätzen. Durch ihr Schweigen hätten sie versucht, die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden "zu verzögern oder ganz zu verhindern", befand das Gericht.

Was war passiert? Das Abbrennen von Pyrotechnik durch eine Ultra-Gruppe während eines Fußballspiels im Wildparkstadion hatte mehrere Verletzungen bei anderen Zuschauer:innen zur Folge. Die Staatsanwaltschaft war überzeugt, dass die Karlsruher Sozialarbeiter:innen mehr über die beteiligten Ultras wissen müssten. Mehrfach wurden sie als mögliche Zeug:innen vorgeladen. Immer verweigerten sie die Aussage.

Ausgabe 678, 27.03.2024

Vertrauen statt Strafverfolgung

Von Florian Kaufmann

Drei Beschäftigte des Karlsruher Fanprojekts haben vor Gericht die Aussage verweigert, weil sie das Vertrauen ihrer Klientel schützen wollen. Für ihr Schweigen sollen sie nun 7.200 Euro zahlen – wegen Strafvereitelung. Die Forderung, das Zeugnisverweigerungsrecht auf Sozialarbeit auszudehnen, wird lauter.

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Nach Auffassung des Karlsruher Amtsgerichts können die Sozialarbeiter:innen zur Aussage verpflichtet werden, auch wenn sie ihren Klient:innen damit schaden. Das aber hätte Folgen, würde das Vertrauensverhältnis zwischen Sozialarbeiter:innen und deren Klient:innen erheblich stören. Schon seit den 1970er-Jahren wird daher eine Ausweitung des Rechts auf Zeugnisverweigerung für alle Sozialarbeiter:innen gefordert. Die Verurteilung der drei Karlsruher:innen gibt der Debatte nun neues Feuer.

"Dieses Urteil ist ein Schlag ins Gesicht", sagt die Sprecherin der Fußball-Fanprojekte in Deutschland zu dem Schuldspruch. Es sei eine Zäsur für die gesamte soziale Arbeit. Auch Doreen Siebernik vom GEW-Vorstand zeigt sich solidarisch. "Hier wird ein Exempel statuiert. Wer seine Arbeit verantwortungsvoll ausführt, wird bestraft", befindet die Gewerkschafterin. Die Betroffenen wissen auch ihren Träger und den Karlsruher SC hinter sich. "Sozialarbeit kann nur auf Basis eines Vertrauensverhältnisses aller Beteiligten erfolgreich praktiziert werden."

Die Rechtsanwältin Angela Furmaniak, die viele Fußballfans vor Gericht verteidigt, hofft, das "falsche Urteil" in einer Berufungsverhandlung revidieren zu können. Wann der "juristisch komplexe Fall" vor das Landgericht komme, sei aber noch nicht absehbar. Mit ihrer Aussageverweigerung hätten die Sozialarbeiter:innen die Strafverfolgung jedenfalls nicht verhindert. Derzeit laufen vor dem Amtsgericht Karlsruhe verschiedene Prozesse, nachdem 25 Ultras mit Haftstrafen und Geldbußen belegt wurden. Sie sollen der Ultra-Gruppe angehören, die die Pyrotechnik zündete. Ob sie selbst zündelten, blieb in der Regel unklar. Zur Verurteilung allerdings reichte die mutmaßliche Beteiligung an der Vorbereitung. Auch sie hoffen auf ein anderes Ergebnis bei ihren Berufungen.

Die Frage um das Zeugnisverweigerungsrecht wird nicht im Gerichtssaal entschieden. "Das Verfahren hat das Zeugnisverweigerungsrecht kaum thematisiert", sagt Furmaniak. Selbst wenn sie noch einen Freispruch für die drei Mitarbeiter:innen aus dem Fanprojekt erzielt, helfe das anderen Sozialarbeiter:innen kaum. "Schon eine etwas andere Konstellation könnte zu einem anderem Ergebnis führen", sagt die Anwältin. Um zu verhindern, dass Sozialarbeiter:innen "mit einem Fuß in der Strafbarkeit landen", helfe nur eine Gesetzesänderung auf Bundesebene.

Das fordert auch ein breites Bündnis, doch dass die nächste Bundesregierung das Thema angeht, erscheint eher unwahrscheinlich.

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