Der Fall des Karlsruher Fanprojekts befeuerte die Debatte um eine Ausweitung des Zeugnisverweigerungsrechts in der Sozialen Arbeit. Derzeit sind Sozialarbeiter:innen rechtlich nur innerhalb der Arbeit in Schwangerschafts- und Drogenberatungsstellen von der Pflicht zu einer Aussage als Zeug:innen gegen ihre Klient:innen befreit. Neben Rechtsanwält:innen, Journalist:innen oder Geistlichen fallen sie als "Geheimnisträger" unter den Schutz von Paragraf 53 der Strafprozessordnung. Ein Bündnis aus verschiedenen Dachverbänden der Sozialen Arbeit und der Gewerkschaft Verdi kämpft seit Langem dafür, die Liste um weitere Berufsgruppen der Sozialarbeit zu erweitern. Während der seit über einem Jahr laufenden Debatte um den Karlsruher Fall sind auch die AWO und die GEW dem Bündnis beigetreten. "Die Bundesregierung muss endlich aufwachen und ihr Desinteresse an dieser Thematik beenden, soll Soziale Arbeit weiterhin für die Gesellschaft wirksam sein," fordert Georg Grohmann, Sprecher des Bündnisses für ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit. Der Gesetzgeber müsse mit einer Ausweitung des Zeugnisverweigerungsrechts aktiv werden. Sonst könne sich ein solch "massiver Eingriff in die Profession und Berufspraxis der Sozialen Arbeit" wiederholen.
Beim Bundesjustizministerium (BMJ) sieht man jedoch keinen Handlungsbedarf. Man wisse um das besondere Vertrauensverhältnis in der Sozialarbeit, teilt eine Sprecherin auf Anfrage mit. "Gleichwohl erscheint aus Sicht des BMJ die Einführung eines strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechts für diese Berufsgruppe derzeit nicht geboten." Sie verweist auf das Bundesverfassungsgericht, das mehrfach das Gebot einer effektiven Strafverfolgung hervorgehoben und das Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren betont habe. Die erforderlichen Ermittlungsmaßnahmen im Strafverfahren würden durch weitere Zeugnisverweigerungsrechte empfindlich eingeschränkt, so das Bundesjustizministerium.
Vom Staat gefördert und verfolgt
Grohmann kann diese Haltung nicht nachvollziehen. "Wir fordern das Justizministerium auf, sich endlich inhaltlich mit unserem Anliegen auseinanderzusetzen, anstatt immer wieder das überholte Verfassungsgerichtsurteil von 1972 zu bemühen", sagt er. Ende vergangenen Jahres hat die AWO ein Rechtsgutachten erstellt, das Formulierungsvorschläge enthält, die sich nach eigenen Angaben innerhalb der Leitlinien des Bundesverfassungsgerichts bewegen.
Doch noch bleibt es bei der absurden Situation, dass Beschäftigte eines von der öffentlichen Hand geförderten Projekts aufgrund der Ausübung ihrer Tätigkeit vom Staat verfolgt werden können. Hätten die Beschäftigten im Karlsruher Fall nicht geschwiegen, wäre eine Schließung des Fanprojekts möglich gewesen, meint Grohmann. "Wenn wir jetzt sagen, die waren dabei, dann können wir gleich zumachen. Dann wird nie wieder jemand zu uns kommen", sagte auch der Fanprojekt-Leiter Volker Körenzig gegenüber Kontext, als ihn die ersten Vorladungen erreichten. Für ihr Schweigen müssen er und seine Kolleg:innen Sophia Greschel und Sebastian Staneker nun persönlich die Konsequenzen tragen. Das für die Zuschüsse an die baden-württembergischen Fanprojekte zuständige Kultusministerium wollte den Fall auf Nachfrage nicht bewerten. Es handele sich um ein schwebendes Verfahren. Mögliche personalrelevante Konsequenzen lägen beim Arbeitgeber, dem Karlsruher Stadtjugendausschuss.
Also bei Melchien. Der geht davon aus, dass die drei betroffenen Kolleg:innen die Strafbefehle nicht akzeptieren und vor Gericht ziehen werden. "Als Träger organisieren wir unseren Beschäftigten einen rechtlichen Beistand." Wenn sich die Rechtslage nicht ändere, werde das nicht der letzte Fall dieser Art bleiben, glaubt Melchien. "Es wird immer wieder Sozialarbeiter:innen geben, die wie die Kolleg:innen in Karlsruhe handeln werden." Das sei nicht nur eine Geschichte des Fußballs.
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