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Der kleinmütige WDR

Eingeknickt vor Leni Riefenstahl?

Der kleinmütige WDR: Eingeknickt vor Leni Riefenstahl?
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Gegen den Dokumentarfilm "Zeit des Schweigens und der Dunkelheit" hatte Leni Riefenstahl einst geklagt. Der WDR verschloss das Werk über die Nazi-Regisseurin daraufhin jahrzehntelang im Giftschrank. Nun wird der Film in Freiburg aufgeführt, inklusive Debatte über die unrühmliche Rolle des WDR.

Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit hat der WDR den Dokumentarfilm "Zeit des Schweigens und der Dunkelheit" von Nina Gladitz 2022 aus dem Giftschrank geholt. Die jahrelange Auseinandersetzung darüber würde der Sender heute wohl gerne vergessen. Doch wenn das Werk heute Abend in Freiburg läuft, wird die ehemalige WDR-Redakteurin Sabine Rollberg neben der zeitgeschichtlichen Bedeutung des Films auch den fragwürdigen Umgang des Senders mit Nina Gladitz und dem Film ansprechen. In Baden-Württemberg gibt es vielfache Bezüge zu dem Film, zu Nina Gladitz und ihrem Rechtsstreit gegen die umstrittene Nazi-Regisseurin Riefenstahl.

Josef Reinhardt sitzt im Halbdunkel auf einem Bett und wählt sich durch Nummern, die er vermutlich aus dem Telefonbuch hat. Vieles bleibt zunächst im Dunkeln. Offenbar logiert er in einem Hotel. Man sieht ihn auf seiner Suche durch nächtliche Straßen, und hört ihn im Off weiter telefonieren. Offenbar sucht er Polizisten, die im Krieg Gefangene in einem Lager bei Salzburg bewachten. Er sucht einen, der ja "ein Guter" gewesen sei, wie er sein Gegenüber am Telefon beruhigt, weil er mit Familie oder Bekannten des Polizisten spricht. Es habe damals ja solche und solche gegeben.

Später wird man erfahren, dass auch die Guten zur Wachmannschaft der Nazis gehörten; in Konzentrationslagern waren das in der Regel SS-Soldaten. Reinhardt tastet sich vorsichtig vor im Kreis der Familien der Nazis und ihrer Helfer von damals. Er sei ein Bekannter. Ja, er sei damals auch im Lager gewesen. Nein, nicht als Bewacher. Er war Häftling. Er sagt es so nebenbei. Umso eindringlicher wirkt die Sprengkraft seiner Worte.

Josef Reinhardt ist auf der Suche nach seiner Vergangenheit als Kind in einem Konzentrationslager der Nazis in Maxglan bei Salzburg. Er ist einer von 120 "Zigeunern", die eine besondere Geschichte verbindet. (Im Film sprechen sie von "Zigeunern"; der Begriff gilt heute als diskriminierende Sprache der Unterdrücker.) So beginnt der Dokumentarfilm "Zeit des Schweigens und der Dunkelheit" von Nina Gladitz, der 1982 im Westdeutschen Rundfunk (WDR) lief und einen Gerichtsstreit und Skandal auslöste, der bis heute nachwirkt. Leni Riefenstahl ist da noch gar nicht erwähnt. Der Skandal um sie entwickelt langsam seine Kraft.

Riefenstahl wusste angeblich von nichts

Erst nach und nach wird klar, worum es eigentlich geht: Als junge Dokumentarfilmerin war Nina Gladitz in "Zeit des Schweigens und der Dunkelheit" dem Schicksal von Sinti auf der Spur, die Leni Riefenstahl aus einem KZ heraus als Komparsen für ihren von den Nazis finanzierten und ab 1941 gedrehten Spielfilm "Tiefland" engagiert hatte. Unter Zwang, bewacht und ohne Bezahlung. Viele starben später im Vernichtungslager Auschwitz. Die wenigen Überlebenden beklagten, sie hätten bis zuletzt auf eine Rettung durch die NS-Filmregisseurin gehofft. Offenbar hatte Riefenstahl, die sie "Tante Leni" nannten, diese Hoffnung genährt und sie in dieser Hoffnung gelassen.

Die 2003 verstorbene Nazi-Regisseurin, die im erst 1954 in die Kinos gekommenen "Tiefland" auch die Hauptrolle übernahm, bestritt das; ebenso, dass sie die Sinti in einem KZ persönlich ausgesucht und sie nicht bezahlt habe. Überhaupt, dass es ein KZ gewesen sei, ferner dass sie vom drohenden Schicksal der Sinti wusste, das die Nazis für sie vorgesehen hatten, auch dass viele ihrer Komparsen in Auschwitz ermordet worden seien. Riefenstahl klagte 1984 vor dem Landgericht in Freiburg gegen Gladitz und ihren Dokumentarfilm, verlor allerdings in drei von vier Punkten. Seitdem ist es erlaubt zu sagen, dass sie die Komparsen in einem KZ ausgesucht und nicht bezahlt habe. Man könne ihr jedoch nicht unterstellen, dass sie 1941 von der Vernichtung gewusst habe, da diese in Auschwitz erst später begonnen habe.

Das Gericht beanstandete eine Szene, in der die Familie Reinhardt sagt, "Tante Leni" habe die Rettung von Auschwitz versprochen. Der WDR sperrte den Film daraufhin weg, auch für Forschung und Gedenkstätten. Nina Gladitz habe diese Szene umschneiden wollen, um den Film ins Ausland zu verkaufen, sagt ehemalige WDR-Redakteurin Sabine Rollberg, die sich zeitweise mit Nina Gladitz ein Büro im WDR teilte. Doch der WDR habe ihr das Originalmaterial verweigert. Sie erhielt zudem kaum noch Aufträge im WDR.

Gladitz kämpfte bis zu ihrem Tod um ihren Film

Nina Gladitz starb im Mai 2021. Monate davor war ihre Biografie über "Leni Riefenstahl – Karriere einer Täterin" erschienen, in der sie ihre jahrelange Auseinandersetzung mit Riefenstahl beschrieb. Ein offener Brief forderte WDR-Intendant Tom Buhrow 2021 auf, die Sperre aufzuheben. Im März 2022 war der Umgang des WDR mit "Zeit des Schweigens" schließlich Thema im Rundfunkrat des Senders im Rahmen der Aussprache mit dem Intendanten.

Damals gab Buhrow die Wende bekannt, die der WDR seither in ähnlicher Form verschickt, auch auf Anfrage des Autors dieser Zeilen. Darin heißt es: "Nach einer Klage Leni Riefenstahls gegen die Filmemacherin Nina Gladitz hat das Oberlandesgericht Karlsruhe im Jahr 1987 entschieden, dass der Film 'Zeit des Schweigens und der Dunkelheit' in seiner ursprünglichen Fassung nicht mehr gezeigt werden durfte. Änderungen an ihrem Film lehnte Nina Gladitz aber ab. Der Film wurde im WDR-Archiv daher – wie in solchen Fällen üblich – mit einem entsprechenden Sperrvermerk versehen."

Der offene Brief von Gerhard Beckmann wurde zum Anlass genommen, den Film erneut zu sichten und die dazu archivierten Akten eingehend zu prüfen. "Nach Abschluss der Prüfung sehen wir die Bedeutung des Films für die wissenschaftliche und gesellschaftliche Aufarbeitung der Ausgrenzung und Ermordung von Sinti und Roma während des Nationalsozialismus. Daher hat der WDR entschieden, den Film freizugeben, z.B. für ein Fachpublikum im Rahmen einer Veranstaltung. Es haben uns Anfragen von verschiedenen Veranstaltern erreicht, denen wir den Film zur Verfügung gestellt haben."

Eine erneute Ausstrahlung durch den WDR sei nicht geplant, "da der Film aus heutiger Sicht nicht unseren Standards entspricht, wir aber gleichzeitig den Wunsch der Autorin respektieren, den Film nicht zu verändern". Es sei grundsätzlich Anspruch des WDR, historische Fragestellungen auf Basis des aktuellen Forschungsstandes einzuordnen. "Diesem Anspruch würden wir mit der Ausstrahlung einer über 40 Jahre alten Dokumentation nicht gerecht werden."

Welche Standards gemeint sind, bleibt offen. Ebenso, warum er nicht in der Mediathek abrufbar sein darf. Es wäre ja ein Leichtes, ihn mit einer Einordnung zu veröffentlichen. Und wie erwähnt, widerspricht die Grimme-Preisträgerin Sabine Rollberg ihrem ehemaligen Arbeitgeber: Nina Gladitz habe jahrelang vergeblich versucht, die inkriminierte Auschwitz-Passage umzuschneiden, und deshalb ihr Material zurückgefordert, aber nicht erhalten. Auf den Widerspruch ging der WDR, obwohl darauf in der Anfrage hingewiesen, in seiner Stellungnahme nicht ein.

Der WDR drückt sich vor Antworten

Seit 2022 gab es Vorführungen in Freiburg, Berlin, Dortmund, Kirchzarten und Potsdam. Nun wird der Film erneut in Freiburg vorgeführt und man fragt sich: Warum hat der WDR den Film überhaupt einst gesperrt? Ist der WDR gegenüber der prozesswütigen Nazi-Propaganda-Regisseurin Leni Riefenstahl eingeknickt? Hatte er Angst vor ihr? Hat er zu Unrecht den Dokumentarfilm "Zeit des Schweigens" über Jahrzehnte in den Giftschrank gesperrt und Dokumentarfilmerin Nina Gladitz behindert und kalt gestellt? Wieso war die Freigabe nicht schon 2003 möglich nach dem Tod von Leni Riefenstahl, als die Wahrscheinlichkeit einer neuen Klage gering war? Oder nach dem Tod von Riefenstahls Lebensgefährten Horst Kettner 2016?

Solange offene Fragen unbeantwortet sind, bleiben sie aktuell. Die Produktion und Ausstrahlung von "Zeit des Schweigens" 1982 war eine lobenswerte Tat des WDR, denn damals war die Verfolgung der Sinti und Roma noch nicht im öffentlichen Bewusstsein angekommen. Wieso aber vollzog der Sender nach der Ausstrahlung 1982 diese erste Wende und versagte der jungen Filmemacherin die Unterstützung, so dass sie alleine vor Gericht gegen die klagefreudige Leni Riefenstahl ankämpfen musste? Wieso veranlasste der WDR damals die Sperre, obwohl er gar nicht im Urteil erwähnt war? Welche Rechte hält er überhaupt an dem Film? Im Abspann sind nur Channel 4 und Gladitz genannt, nicht aber der WDR. Das belegt ein Video, das ein Nutzer vor einiger Zeit auf Youtube hochgeladen hat.

Inititative geht von Freiburg aus

Bei der heutigen Vorführung in Freiburg werden die ehemals leitende WDR-Redakteurin und Arte-Chefredakteurin Sabine Rollberg und die Dokumentarfilmerin Astrid Bischofberger von der AG Dok eine Einführung geben und mit Guiliano Reinhardt, einem Neffen von Josef Reinhardt, über Nina Gladitz und ihren Film sprechen.

"Zeit des Schweigens und der Dunkelheit" auf YouTube.

Warum gerade Freiburg? Hier lief der aufsehenerregende Prozess. Zudem gibt es in Baden-Württemberg und speziell in Freiburg vielfache Bezüge zu dem Film, zu Nina Gladitz und ihrem Rechtsstreit gegen Riefenstahl. Sabine Rollberg ist in Freiburg geboren und aufgewachsen, hat dort studiert und ist seit 2019 zurück in ihrer Heimat. Das erklärt die wiederholten Vorführungen in Freiburg, denn sie ist die treibende Kraft. Sie war es auch, die im April 2022 ein Jahr nach dem Tod von Nina Gladitz an der Universität Freiburg eine Konferenz organisierte, bei der der (inzwischen verstorbene) Anwalt von Gladitz, Albrecht Götz von Olenhusen, über den Rechtsstreit sprach. Er hat ebenfalls in Freiburg studiert und später lange als Medienanwalt praktiziert; zudem saß er für die SPD im Stadtrat. Nina Gladitz ist in Schwäbisch-Gmünd geboren und aufgewachsen, bevor sie später im Dreisamtal zwischen Freiburg und Kirchzarten und in Berlin lebte. Vor ihrem Tod zog sie zurück nach Schwäbisch-Gmünd, wo sie begraben ist. Ihr Nachlass wird von einem Anwalt in Stuttgart verwaltet.


"Zeit des Schweigens und der Dunkelheit" von Nina Gladitz läuft heute, 27. März, um 19.30 Uhr im Kommunalen Kino im Alten Wiehrebahnhof in Freiburg. Die Vorführung findet statt im Rahmen der "Wochen gegen Rassismus".

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