Bei den neu Zugewanderten sind die Probleme wesentlich gravierender. In einigen osteuropäischen Ländern lebten sie bisher buchstäblich am Rand der Gesellschaft, "dort, wo der Asphalt endet", wie der Grüne Europaabgeordnete Romeo Franz sagt, der unermüdlich den Staatsvertrag als Modell für ganz Europa empfiehlt. Kürzlich ist Franz mit Mehmet Daimagüler, dem Antiziganismus-Beauftragten der Bundesregierung, in die Ukraine gereist, um sich vor Ort von der Lage der Roma ein eigenes Bild zu verschaffen. Sie bemerkten, wie verbreitet Antiziganismus dort ist. In der westukrainischen Stadt Lviv etwa gibt es zwölf Lager, in denen aus der Ostukraine geflüchtete Roma ohne fließendes Wasser und ohne Elektrizität leben. Die gesellschaftliche Teilhabe wird ihnen verwehrt.
Dabei ging es der Minderheit in der Ukraine schon einmal besser. 500 Familien erhielten 1927 von der Sowjetunion Land, das sie in neun genossenschaftlich organisierten Betrieben beackerten – seit 1922 war die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik offiziell Teil der Sowjetunion. 1926 hatte sich in Moskau eine "Allrussische Zigeunerunion" gegründet: Der erste Roma-Verband weltweit, erklärt Müller. Noch heute gibt es dort das "Teatr Romen", das älteste Roma-Theater der Welt. Doch die stalinistische Politik machte alles wieder zunichte. Bis heute sind gerade in der Ukraine viele antiziganistische Übergriffe zu beklagen – auch mit tödlichem Ausgang.
Wenig Vertrauen in die Behörden
Roma, die aus Ländern wie Rumänien oder der Ukraine nach Deutschland kommen, sind aufgrund schlechter Erfahrungen oft misstrauisch gegenüber Behörden und gewöhnt, sich selbst helfen zu müssen. Einzelfallbearbeitung reiche hier nicht aus, erklärt Christine Bast, die 2017 das Mannheimer Antisdiskriminierungsbüro mitgegründet hat und später zum Landesverband der Sinti und Roma wechselte.
Dort entwickelte sie mit Kollegen das Modellprojekt ReFIT (Regionale Förderung von Inklusion und Teilhabe), das sich gezielt an die Kommunen, an städtische Ämter wie das Jugendamt sowie an Schulen richtet, um zu sensibilisieren, aufzuklären, Vertrauen aufzubauen und Teilhabe zu ermöglichen. Bei den neu Zugewanderten ist dies ein weiter Weg, der mit elementaren Dingen wie Spracherwerb, Hilfe im Umgang mit den Behörden und Zugang zu Bildung anfängt und dort noch lange nicht aufhört. "Eigentlich haben wir unsere Arbeit getan, wenn es keine Beratungsstelle mehr braucht", resümiert Bast.
Widerstand statt Opferrolle
Tim Müller zögert ein wenig bei seiner Hausführung, der Keller im Kulturhaus Romno Kher, der umgebaut werden soll, sei im Moment ziemlich unaufgeräumt. Für den Umbau des 400 Quadratmeter großen Veranstaltungs- und Ausstellungsraums hat der Bundestag einen Zuschuss von 200.000 Euro bewilligt. Spuren einer Nähwerkstatt mit geflüchteten Frauen und eines Theaterprojekts mit Jugendlichen sind zu sehen. An den Wänden hängen Fotos von Berühmtheiten wie Charlie Chaplin, Michael Caine, Anna Netrebko oder Ron Wood, die sich einmal als Angehörige der Minderheit geoutet haben. Und ein Kunstwerk, ein großformatiges Gemälde der katalanischen Künstlerin Lita Cabellut.
Solche positiven Beispiele sollen Mut machen. Denn lange Zeit war die nationalsozialistische Vernichtungspolitik das dominierende Thema der Minderheit. Die Anerkennung des Porajmos, des Völkermords an 500.000 Sinti und Roma, durch Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) 1982 war zwar für die Überlebenden, die nach dem Krieg oft vergeblich um Entschädigung gekämpft hatten und lange beschuldigt wurden, als Asoziale für ihre Lage selbst verantwortlich zu sein, ein wichtiger Schritt. Und ein großer Erfolg für den damals noch ganz neuen Zentralrat.
0 Kommentare verfügbar
Schreiben Sie den ersten Kommentar!