Knapp zwei Wochen lang durften türkische Staatsangehörige, die in Deutschland leben, ihre Stimme in der Lorenzstraße in Zuffenhausen abgeben. Der Betonkomplex gehört dem türkischen Konsulat und steht ansonsten leer. Für die Wahl wurde der erste Stock geöffnet. Vor der Tür stehen an diesem Vormittag gegen elf Uhr rund 100 Frauen und Männer in einer Schlange, die sich allerdings schnell auflöst. Mehr als ein Dutzend Mitarbeiter:innen eines Sicherheitsdienstes empfangen die Wähler:innen, jede:r muss den türkischen Pass vorweisen und sich abtasten lassen. Für Kinderwägen, Rollstühle, Rollatoren gibt es am Hintereingang eine Rampe, auch hier: Pass zeigen, abtasten. Der Ton des durchgängig zweisprachigen Sicherheitspersonals ist freundlich, zwischendurch kommen Autos, aus denen ältere Herrschaften Essen in Warmhaltebehältern bringen für die zahlreichen Wahlhelfer:innen und -beobachter:innen.
In jedem Wahllokal sitzen fünf bis sechs Frauen und Männer hinter einer Tischreihe, überprüfen, ob die Wähler:innen im Wählerverzeichnis registriert sind, ob sie schon woanders in Deutschland gewählt haben und geben – wenn alles stimmt – die Stimmzettel aus, die hinter einem Paravent ausgefüllt werden.
"Es läuft korrekt", sagt Kalender Akçadağ. Er ist als Wahlbeobachter für die CHP vor Ort. "Also Sozialdemokraten", sagt der 62-Jährige. Seit 32 Jahren lebt er in Deutschland, seit 20 Jahren ist er eingebürgert, den türkischen Pass hat er abgegeben und wählt in der alten Heimat nicht mehr mit. "Ich will doch hier, wo ich lebe, mitgestalten", sagt er. Er hat wenig Verständnis dafür, dass so viele Deutschtürken, die hier geboren und aufgewachsen sind, für die Türkei mitwählen wollen. Er hat sein Heimatland verlassen, nachdem er dort vier Jahre im Gefängnis saß. Warum? "Warum? Wegen nichts. Ich habe geredet. Über Politik." Akçadağ hofft, dass Erdoğan dieses Mal abgewählt wird, aber er ist skeptisch, ob ein Regierungswechsel klappt. Denn: "Die Türkei ist nicht demokratisch, das ist ein islamistischer Staat."
Für die Familie wählen
Auch er wähle nur in Deutschland, erzählt einer der Sicherheitsmänner. "Meine Kinder haben den deutschen Pass, meine Frau und ich." Mit der Türkei habe er nicht mehr viel zu tun. Da sei er vielleicht mal im Urlaub, aber das reiche ja wohl nicht zum Wählen, findet er. Anders sieht das ein junger Kollege von ihm. Er hat den deutschen und den türkischen Pass und findet es wichtig, für die Türkei zu wählen. "Weil ein Teil meiner Familie dort lebt und vielleicht gehe ich mal zurück." Ein weiterer Sicherheitskollege hat eine Frage: "Darf meine Schwester, die den deutschen Pass hat, jetzt in der Türkei verheiratet ist und dort lebt, eigentlich in Deutschland wählen?" Eine kurze Suche im Internet ergibt: Ja, wenn sie erfolgreich beantragt hat, ins deutsche Wählerverzeichnis eingetragen zu werden. Der Mann nickt. "Okay. Danke."
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