In der Kanzlei in zentraler Lage von Heidelberg gibt es erst mal einen guten Kaffee und eine Anekdote. Als Memet Kilic 1990 mit der türkischen Anwaltszulassung und einem Sprachvisum in der Tasche nach Deutschland einreiste, wunderte sich der damals 23-Jährige über den genauen Fahrplan. Abfahrt 14:02 – und dann war der Zug auch noch pünktlich! Gut integriert sei er heute der erste, der sich über unpünktliche Züge – "mehr als dreißig Minuten" – aufrege, erzählt er und lacht.
Nach einem Intensiv-Sprachkurs sattelte er an der Universität Heidelberg einen Aufbaustudiengang für Juristen mit ausländischem Studienabschluss drauf. Dennoch darf er nur im Herkunftsrecht und im Völkerrecht beraten und muss als Mitglied in der Anwaltskammer in Karlsruhe jedes Jahr seine Zulassung in der Türkei nachweisen. Fürs Foto nimmt er die dekorative türkische Anwaltsrobe – lang, schwarz, mit gold-rotem Kragen – vom Haken und legt sie sich um.
"Mein Herkunftsland hat mich nie in Ruhe gelassen", sagt der 55-Jährige, der schon als Student in Ankara gegen das damalige Militärregime auf die Straße ging und erst nach langem Prozess freigesprochen wurde.
Seinerseits attackiert er seit vielen Jahren den türkischen Ministerpräsidenten und wirft der Bunderegierung eine zu nachgiebige Haltung gegenüber Ankara vor. Bei einem Heimatbesuch im Jahr 2015 bekam er den privaten Hinweis, dass er aufgrund seiner zahlreichen Äußerungen das Land besser meiden solle. An den Rat hält er sich, und so hat der Alevit seine Familienangehörigen und Freunde in der Türkei schon lange nicht mehr besuchen können.
Allen Warnungen und Erfahrungen zum Trotz hält Kilic auch im Gespräch mit Kontext nicht mit Kritik an Ankara hinterm Berg. Er nennt den Umgang mit Extremisten, außenpolitisches Lavieren und das laxe Geldwäschegesetz. "Ob aus Drogenhandel, Menschenhandel oder Terrorismus spielt keine Rolle, Hauptsache es kommt Geld ins Land", ätzt er. Allgemein formuliert er: "Islamisten versprechen Freiheit, aber kaum sind sie an der Macht machen sie Tabula Rasa."
Der Präsident ist schnell beleidigt
Als der Anwalt 2017 das erste Mal wegen angeblicher Beleidigung des türkischen Präsidenten angeklagt wird, erfährt er davon zunächst nichts. "Er hat mir eine Falle gestellt, falls ich in die Türkei einreise", sagt Kilic. Die Klage nimmt Bezug auf ein Interview mit einer türkischen Internetzeitung, in dem sich der streitbare Anwalt kritisch über Erdogan und seine Unterstützung für IS-Terroristen geäußert hat. Unter anderem sagte er: "Der Schaden, den Erdoğan der Türkei zugefügt hat, ist untragbar."
3 Kommentare verfügbar
Bekir Öztürk
am 17.03.2023Hat sich der Justizministerium von Baden-Württemberg für Herrn Kilic eingesetzt?
Bestimmt nicht!