Esther Reinhardt-Bendel wird auch viel für Workshops angefragt. Etwa an Schulen oder jetzt am 23. März an der Volkshochschule Leinfelden-Echterdingen: diesmal für Flüchtlingshelfer:innen, die erleben, dass Roma anders behandelt werden als andere aus der Ukraine Geflohene. In der Initiative Sinti-Roma-Pride sind sie mittlerweile nur noch zu dritt. Jùlie Halilic lebt in Langen bei Offenbach, Vojtėch Gina bei Aschaffenburg. Seit der Corona-Zeit geben sie Workshops auch online und können sie damit bundesweit anbieten. Reinhardt-Bendel selbst wohnt mit ihrem Mann, einem in der Solarbranche selbstständig tätigen Sinto, und ihrem achtjährigen Sohn im Stadtteil Zuffenhausen-Rot, nicht weit entfernt von der inzwischen abgerissenen Keltersiedlung, in der sie aufgewachsen ist.
An den Schulen ist Antiziganismus sehr präsent
"Meine Schullaufbahn war holprig", gesteht sie. Zwar hatte sie Glück – oder ihre Eltern hatten die richtige Schule gewählt: Viele Sinti ihrer Generation, sie ist 1986 geboren, bekamen grundsätzlich eine Sonderschulempfehlung. Sie brachte es bis zur Realschule. Allerdings hatte sie eine Rechenschwäche. Als sie zum zweiten Mal um die Versetzung bangen musste, meinte ihr Deutschlehrer noch, sie könne die Mathe-Fünf mit einer Zwei in Deutsch ausgleichen. Doch es kam anders. Dem Deutschlehrer tat es leid: Er habe sich im Kollegium nicht durchsetzen können.
Es war nicht das erste Mal, dass sie in der Schule mit Diskriminierung Bekanntschaft machte. Als sie eingeschult wurde, war ihre Welt noch in Ordnung. Die Keltersiedlung war ein gemischtes Viertel mit vielen Zuwanderern und weiteren Sinti-Familien. Dass sie der Minderheit angehörte, war ihr natürlich klar, schon allein wegen der Sprache. Aber sie hatte damit keine Schwierigkeiten. Bis ihr in der dritten Klasse ein Mitschüler nachrief: "Zick zack, Zigeunerpack, zahlen keine Steuern."
"Mama, was sind Steuern?", fragte sie, als sie nach Hause kam. Ihre Mutter, eine Gadji, also keine Sinteza, half ihr, so gut sie konnte. Aber mit diesem Vorfall hatte sich etwas geändert: "Die Unbeschwertheit war weg."
Später begegnete sie denselben Vorurteilen, mit denen die Minderheit seit Jahrhunderten konfrontiert ist. Ihre Mitschülerinnen beschuldigten sie, zu stehlen. Klassisches Mobbing: Der angebliche Diebstahl war frei erfunden. Einmal, als ein Junge aus ihrer Klasse sie als "dreckige Zigeunerin" beschimpfte, wurde es ihr zu bunt. Sie gab ihm eine Ohrfeige. Und musste sechs Wochen nachsitzen. Der Junge käme aus einer angesehenen Familie, hieß es im Lehrerkollegium, als ihre Mutter intervenierte. Sie fand kein Gehör.
Ein bisschen was hat sich verbessert
Später hat Esther Reinhardt-Bendel die Mittlere Reife an der Handelsschule nachgeholt. Sie hat Bürokauffrau gelernt, doch in dem Beruf nie gearbeitet. Bildung ist ihr trotz ihrer negativen Erfahrungen sehr wichtig. Bei anderen Sinti- und Roma-Familien beobachtet sie, dass Eltern, die selbst keine Chancen hatten, auch ihren Kindern nicht helfen können: ein Teufelskreis. Im Bildungssystem ist die Antidiskriminierungsarbeit noch nicht angekommen. Noch immer begegnen Sinti und Roma vielen Vorurteilen.
Hat sich gegenüber der Zeit, in der sie aufgewachsen ist, denn gar nichts geändert? "Es kommt auf die Schule an", antwortet sie. Bei ihrem Sohn lief bisher alles gut. Nur einmal fragte die Lehrerin alle Schüler:innen, die Eltern aus einem anderen Land haben, nach ihrer zweiten Sprache. Sie schrieb an die Tafel: Italienisch, Türkisch … nur Romanes nicht. Sie hatte noch nie etwas davon gehört. Im Nachhinein ärgert sich Reinhardt-Bendel, dass sie nicht den Mut hatte, zu ihr zu gehen und darüber zu sprechen.
Wie viele Sinti gibt es in Stuttgart? Diese Frage kann Esther Reinhardt-Bendel nicht beantworten. Viele verheimlichen ihre Identität, um Diskriminierung auszuweichen. Reinhardt-Bendel kann das verstehen, sie aber möchte mit der Initiative Sinti-Roma-Pride auch anderen Mut machen und ein positives Bild der Minorität zeichnen.
"Wir dürfen nicht zusehen, wie rechtes Gedankengut zu Taten wird", sagt Esther Reinhardt-Bendel in einer Videobotschaft. "Wir müssen aufstehen gegen jede Form von Rassismus und Menschenfeindlichkeit. Ihr habt eine Stimme. Nutzt sie!"
Der Fahrplan der heutigen Gedenkfeiern:
11 Uhr: Empfang bei Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Neuen Schloss (nur auf Einladung),
14 Uhr: Gedenkgottesdienst in der Domkirche Sankt Eberhard, Königstraße, Stuttgart-Mitte,
16 Uhr: Veranstaltung an der Gedenkstätte "Zeichen der Erinnerung",
18 Uhr: Ausklang im Hotel Silber.
19 Uhr, Wagenhalle Stuttgart-Nord: eigene Gedenkveranstaltung des Vereins Indus Kunst und Kultur, das sind Nachfahren der überlebenden Sinti aus Magstadt.
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