Im April 2018 hatte die rechtsextreme Gruppierung C14 bereits ein Roma-Camp in Kiew angegriffen und die BewohnerInnen vertrieben. Sie waren Berichten zufolge aus Transkarpatien an der Grenze zu Ungarn, wo ein Großteil der ukrainischen Roma lebt, nach Kiew gekommen um dort nach Arbeit zu suchen. Die rechtsextreme Gruppierung selbst erklärte, sie sei durch die städtischen Behörden unterstützt worden. Serhij Mazur, ein C14-Aktivist, hatte auf seiner Facebook-Seite damit geprahlt, Roma-Familien aus deren Camp vertrieben zu haben. Zuvor sei den Roma – er benutzte einen rassistischeren Ausdruck – von C14, der "Gemeindegarde" und der "Bezirksverwaltung" "ein Ultimatum gesetzt" worden, das Gebiet zu verlassen. C14, so berichtet Kenan Emini vom Roma Antidiscrimination Network, warb zu der Zeit in der Ukraine mit Flyern und Aufklebern damit, zur Hilfe zu kommen, falls Roma in der Nähe seien, und dafür zu sorgen, dass sie verschwinden.
Anfang Juni 2018 war das Roma-Camp in Kiew erneut angegriffen worden, diesmal von Mitgliedern des Azov Bataillon, das mittlerweile in die ukrainische Nationalgarde integriert ist. Sie schwangen Äxte und Vorschlaghämmer und übertrugen den Angriff live auf Facebook. 2018 fanden noch weitere rechte Übergriffe statt, darunter einer auf den Rechtsanwalt Andriy Mukha. Er soll misshandelt und mit dem Tod bedroht worden sein, falls er weiter Roma vertrete, die Opfer einer Attacke im Jahr 2017 geworden waren. In Wilschany waren damals fünf Roma verwundet, ein 49-jähriger Mann war erschossen worden. Über den Angriff auf den Anwalt hatte die Kharkiv Human Rights Protection Group berichtet, die aktuell zahlreiche russische Kriegsverbrechen dokumentiert, also nicht im Verdacht steht, anti-ukrainische Propaganda zu verbreiten.
Der Rassismus gegenüber Roma gehört keinesfalls der Vergangenheit an. Das Roma Antidiscrimination Network hat am 24. März dieses Jahres Fotos veröffentlicht, die an Pfosten gefesselte Roma zeigen. Ihnen wurde zum Vorwurf gemacht, sie hätten geplündert. Kremlnahe Telegram-Kanäle verbreiten diese Fotos als Propagandamaterial für den Vorwand der Entnazifizierung als Kriegsgrund, in der Ukraine werden sie von Rechtsextremen verbreitet.
Roma werden nicht mitgenommen
Auch die Flucht aus der Ukraine ist für Romnja und Roma beschwerlicher als für andere Bevölkerungsgruppen. Kenan Emini berichtet von einer Frau, die dreimal erfolglos versucht habe, aus der Ukraine zu fliehen. Man habe ihr unterstellt, in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft und nicht aufgrund des Krieges ausreisen zu wollen. Da ist es, das Attribut Wirtschaftsflüchtling, das Roma angeheftet wird, selbst wenn die schockierenden Bilder vom Krieg um die Welt gehen. Erst als sich das European Roma Rights Centre mit Sitz in Budapest für die Betroffene einsetzte, gelang der Frau gemeinsam mit ihren Kindern die Flucht. In Lviv fahren, erzählt Kenan Emini, sogenannte Solidaritätsbusse ab, die zwischen der Ukraine und Polen hin und her pendeln. Romnja und Roma würden dort aber oft nicht mitgenommen, die Busse führen teilweise lieber halb leer. In einem anderen Fall soll ein Bus mit Roma an Bord an der Grenze wieder umgekehrt sein und die Schutzsuchenden einfach wieder auf ukrainischen Boden abgesetzt haben. "Keiner will uns haben; keiner nimmt uns mit", posteten Roma in Lviv in sozialen Netzwerken.
Etwa 20 Prozent der ukrainischen Roma sollen laut Schätzungen keine Pässe besitzen, ein Umstand, der die Flucht noch einmal komplizierter macht. Wohl auch deshalb ist die Mehrzahl der Roma bisher ins Nicht-EU-Land Moldawien geflohen, weil dort der Grenzübertritt ohne Pass leichter ist. Der Zugang zu Flüchtlingslagern in den umliegenden Ländern, die auch eine minimale Versorgung bieten würden, bleibt ihnen ohne Identitätspapiere oft verwehrt. In privaten Wohnungen finden sie keine Aufnahme, auch weil es sich meist um viele Familienangehörige handelt, die untergebracht werden müssen. Viele Familien wollen sich nicht noch weiter aufteilen, nachdem sie die Männer zurücklassen mussten, weil Männer zwischen 18 und 60 Jahren die Ukraine nicht verlassen dürfen.
Antiziganismus in Deutschland
Der Rassismus begleitet geflüchtete Roma bis nach Deutschland. Der Gruppe am Mannheimer Hauptbahnhof wurde der Zugang zu den extra für Geflüchtete aus der Ukraine eingerichteten Räumen angeblich deshalb verwehrt, weil dort keine Männer zugelassen seien. Zur gleichen Zeit sollen sich einer Augenzeugin zufolge jedoch mehrere "weiße" ukrainische Männer in dem Raum befunden haben. Chana Dischereit vom Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Baden-Württemberg, berichtet, die DB-Sicherheitsangestellten hätten sich darauf bezogen, dass eine Woche zuvor Essensvorräten geklaut worden sein sollen von "genau diesem Klientel". Die Bahnhofshelferin Natice Orhan-Daibel erklärt in der "Frankfurter Rundschau": "Was mir viel Angst bereitet, ist der Satz eines Helfers: 'Diese Familie hat den Vorfall nicht als besonders schlimm empfunden ... Leider sind sie Schlimmeres gewöhnt.'"
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Peter Nowak
am 19.04.2022(https://www.dw.com/de/asow…