An diesem sonnigen Nachmittag sitzt Fadil Kurtic in einem Stuttgarter Hinterhof und erzählt aus seinem Leben. Kurtic, 50 Jahre alt und Angehöriger der Volksgruppe der Roma, kommt aus Serbien. Er war dort Polizist, ein erfolgreicher, erzählt er, und berichtet von Dieben, die er überführte, und davon, wie er jüngere KollegInnen ausbildete. Als er in den Neunzigern aber nicht im Kosovo kämpfen wollte, war er bei seinen Kollegen unten durch. Kurtic verlor seine Stelle, wurde bedroht von denen, die er mal verknackt hatte. Die Polizei half nicht, denn Kurtic galt als Verräter an seinem Land. Unterstützung gab es keine, von niemandem, sagt er. Also hat er seine Siebensachen gepackt und ist geflohen. 1998 kam er mit zwei Töchtern und seiner Frau nach Deutschland. Seine Kinder besuchten die Grundschule in Böblingen bei Stuttgart, er selbst war Ladendetektiv bei Karstadt. Alles war gut. 2004 aber wird er mit seiner Familie zurück nach Serbien abgeschoben, weil sein Anwalt eine Frist verbaselt hat, erzählt Kurtic. Seitdem ist nichts mehr gut in seinem Leben. Diese Abschiebung habe ihm und seiner Familie die Zukunft gestohlen. Jetzt ist er in Stuttgart als Referent für eine Vortragsreihe über die Lage der Roma (nachzuhören z.B. hier).
Die ist nicht gut, besonders nicht, was Abschiebungen aus Deutschland betrifft. Seit 2014 gehören Serbien, Kosovo und Mazedonien zu den sicheren Herkunftsländern, damals beschlossen dank der Zustimmung von Winfried Kretschmann im sogenannten Asylkompromiss. Seitdem dürfen Menschen wieder mit bestem Gewissen auf den Westbalkan abgeschoben werden.
Landen in der Perspektivlosigkeit
Auch solche, die schon lange hier leben. Vor dem Gesetz aber sind sie nur "geduldet". Diese Duldungen wurden über Jahre, teils Jahrzehnte, immer nur verlängert und irgendwann eben nicht mehr. Die Schwestern Gylten und Gylije Tahiri aus Tuttlingen sendeten 2019 einen Video-Hilferuf aus Serbien: "Wir wurden von Deutschland abgeschoben in ein fremdes Land", sagt Gylten Tahiri in die Kamera. "Wir kennen diese Sprache nicht, wir wissen nicht, wohin."
"Roma landen in einem Land ohne Perspektive", schreibt der Bundes-Roma-Verband. Die meisten, die nach Deutschland fliehen, "sind Angehörige und Nachkommen von Opfern des Holocaust und sie selbst oder ihre Eltern sind vor den Kriegen im zerfallenden Jugoslawien geflohen. Nach dem letzten Krieg, dem sog. Kosovokrieg, wurden die Roma aus dem Gebiet vertrieben und haben ihren Besitz verloren, den sie bis heute nicht wiederbekommen. (...)." Deshalb fordert der Verband in einen Aufruf an das Bundeskanzleramt und die Innenminister in Deutschland einen generellen Abschiebestopp von Roma, vor allem während der Corona-Krise. "Sie haben nichts, keine soziale Absicherung, keine Krankenversicherung, sind oft ohne Papiere mit allen negativen Folgen und oft ohne Wasser und Strom, was in dieser Zeit besonders wichtig wäre. Weil Roma in den so genannten sicheren Herkunftsstaaten keineswegs sicher sind, kommen sie immer wieder", steht in dem Papier. 77 Initiativen und Organisationen haben den Apell unterzeichnet – vom AK Asyl Witzenhausen bis zum SC Roter Stern Jena.
Kein Wasser, kein Strom und 20 Euro für eine Stimme
In diesem Aufruf geht es um Menschen wie Fadil Kurtic. Kurtic lebt wieder in Serbien. In diesem Land in der Peripherie der EU, das sowieso nicht besonders wirtschaftsstark ist, und in dem die Roma noch ärmer sind. "Sie leben in Slums, die es nicht gibt, in Straßen, die es nicht gibt, in Hütten, die keine Hausnummern haben. Die hier geborenen Kinder gibt es nicht, weil sie an einem Ort geboren sind, den es nicht gibt, und diesen Ort gibt es nicht, weil er in keinem Katasteramt verzeichnet ist und offiziell nicht existiert", schreibt die serbische Journalistin Ljiljana Stanojević schon 2014 über die Roma in ihrem Land. Kurtic sagt heute, fast sieben Jahre später: "Wir Roma sind der Kollateralschaden der Welt."
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