KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

50+1-Regel bleibt

Legalize die Ausnahme?

50+1-Regel bleibt: Legalize die Ausnahme?
|

Datum:

Wie der deutsche Fußball und das Kartellamt gemeinsam an der 50+1-Regel für Investoren festhalten, wirkt verlogen. Die Debatte darüber lässt unseren Kolumnisten an ein Gedeck aus Bier und Malteserschnaps denken – den Ahlenfelder, benannt nach einem Fußball-Schiri.

Mit der Selbstwahrnehmung und der Fremdwahrnehmung ist es ja bekanntlich so eine Sache, da gibt es häufig Unterschiede, das glaubst du kaum. Fast jedes findet zum Beispiel seine eigene Stimme beim Anhören schlimm, während sie für andere ganz normal klingt. Und ich selbst finde die Mehrzahl meiner Witze und Sprüche lustig, was aber möglicherweise auch belegt, dass Ausnahmen die Regel bestätigen.

Dass der deutsche Herrenfußball zu den besten der Welt gehört, war in Deutschland lange Zeit herrschende Meinung, und des Kaisers Franz Beckenbauers selbstbewusster Sager nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft 1990, man werde jetzt "wohl auf Jahre hinaus unschlagbar" sein, gehört längst zum kleinen Basisbaukasten schlecht gealterter Zitate. Deutsche Torhüter, deutsche Vorstopper, deutsche Mittelstürmer, Fußball made in Germany, das war lange noch ein Ding, obwohl es längst kein Ding mehr war. Und auch das deutsche Schiedsrichterwesen nahm jahrzehntelang für sich in Anspruch, das beste aller Zeiten und Welten zu sein, die anderen quasi Neandertaler dagegen, deutscher Gründlichkeit und Genauigkeit unterlegen, gar kein Vergleich.

Beim Anblick übergewichtiger Schwarzkittel vergangener Zeiten bis heute ein mittleres Wunder, wie es zu dieser Selbstwahrnehmung nationalen Ausmaßes kommen konnte. "Ahlenfelder" auch bis heute bekannt als Bier-Schnaps-Kombination in etlichen Schankstätten, weil der 2014 verstorbene Wolf-Dieter Ahlenfelder das Spiel Bremen gegen Hannover 1975 deutlich angetrunken geleitet, bereits nach 32 Minuten zur Halbzeit gepfiffen und danach erklärt hatte, er habe zum Mittagessen ein Bier und einen Malteser genommen. Aber haha, wenn gesoffen wird, dann ist bei uns eh alles bestens, das gehört zur Tradition. Man stelle sich vor, der Mann hätte damals gesagt, er habe einen Joint geraucht. Und bei den großen Turnieren pfeifen mittlerweile alle anderen außer uns, und über die Leistungen unserer Schiedsrichter schütteln sie vorwiegend den Kopf. Nicht anzufangen davon, dass anderswo auch immer mehr Frauen die Männer pfeifen ...

Jetzt wollen wir hier aber nicht in eine Legalize-Debatte einsteigen beziehungsweise würden wir ja vielleicht schon ganz gerne, aber das hier ist ja nun immer noch eine Sportkolumne, weswegen wir schnurstracks mit einem meiner doch überwiegend sehr witzigen und so ganz und gar überraschend andersartigen Schachtelsätze zum Unterschied bei Selbst- und Fremdwahrnehmung im deutschen Herrenfußball zurückkehren wollen, wo ein weiteres Thema dauervirulent ist, nämlich die "Tradition". Mit Tradition meinen wir, dass in den höchsten Spielklassen am besten nur Clubs mittun dürfen, die in irgendeiner Form schon seit mindestens 100 Jahren existieren, die schon seit Gründung der Bundesliga fast immer in der ersten oder zweiten Liga spielen, und zwar in Stadien, die schon lange vor dem Sommermärchen 2006 existierten, damals aber noch nicht nach Sponsoren benannt waren sondern Neckar-, Müngersdorfer,- Olympia- oder Volksparkstadion hießen. Zur "Tradition" gehört auch, Fans zu haben, die immer ganz tolle Choreografien veranstalten, häufig schöne Rauchfackeln abbrennen und manchmal auch ganze Straßenzüge, wenn sie nämlich auf sogenannten Fanmärschen vielfach vermummt und mit Quarzhandschuhen durch "feindliche" Gegenden ziehen. Für die Choreos und die tolle Atmosphäre in unseren Stadien kommt ja angeblich sogar der Engländer aus dem Mutterland des Fußballs mittlerweile lieber zum Stadionbesuch nach bzw. auf St. Pauli, weil da nicht nur die Atmo so toll ist, sondern das ganze Abenteuer inklusive Flug und Hotel auch noch billiger ist als die teuren Tickets in der Premier League, die sich außer dem Chinesen und anderen reichen Touristen niemand mehr leisten kann.

Typisch deutsche Tradition

Weiterhin gehört für einen deutschen Fußballclub zur Tradition zwingend dazu, dass man sich der 50+1-Regel unterwirft, die besagt, dass die Entscheidungsmehrheit bei einem Investoreneinstieg immer beim Stammverein bleiben muss. Nach dieser Vorschrift ist es Kapitalanlegern nicht möglich, die Stimmenmehrheit bei Kapitalgesellschaften zu übernehmen, in die Fußballvereine ihre Profimannschaften ausgegliedert haben. Damit soll verhindert werden, dass Clubs vollständig veräußert werden, wie das beispielsweise in England häufig der Fall ist. In Deutschland gilt diese 50+1-Regel für alle, außer für Bayer 04 Leverkusen, den VfL Wolfsburg und die TSG Hoffenheim, die in den Genuss einer Ausnahmegenehmigung kamen. So dürfte zuletzt in Hoffenheim Dietmar Hopp 2015 die Mehrheit an der dortigen Fußball-Spielbetriebs GmbH übernehmen. Diese Clubs gelten den Anhängern der "Tradition" daher als "Plastikclubs" oder "Werkmannschaften" und sind sozusagen "bäääh". Noch schlimmer ist da nur das sogenannte "Konstrukt" RB Leipzig, weil die auch nicht wirklich regelkonform sind, das aber irgendwie anders geregelt haben und auch ohne Ausnahmegenehmigung Berge von Geld aus dem Red Bull Konzern bekommen. Die 50+1-Regel ist übrigens eine nur in Deutschland geltende Regel, die anderswo wenig bis überhaupt nicht diskutiert wird, sondern höchstens hierzulande, wenn der nächste Club der zweiten englischen Liga an irgendwelche Heuschrecken verkauft wird.

Nun kann man Tradition gut oder nicht gut finden, man kann auch hergehen und sagen, wir sollten es so machen wie die Footballer in Amerika, in der NFL: Kohle kann herkommen, wo sie will, Hauptsache geile Gladiatorenkämpfe. Ebenso kann man sagen, in England trotzdem super Stimmung im Stadion, trotz Investoren, die ihre Clubs als Spielzeug oder Steckenpferd betreiben und verkaufen, wenn sie die Lust verlieren. Oder die investieren, um möglichst viel Geld damit zu verdienen. Letzte Woche Champions League, Borussia Dortmund (Kapitalgesellschaft, trotzdem 50+1-konform) beim FC Chelsea in London (ehemaliger Oligarchenclub, jetzt US-Heuschrecken), da war doch Bombenstimmung. Genauso wie in München, FC Bayern (sponsored by Qatar) gegen Paris St. Germain (gehört Qatar), das war doch toller Fußball, tolle Stimmung. Aber wir in Deutschland, wir machen es natürlich anders.

Und jetzt wer ist ein Kartell?

Wir haben nämlich ein Bundeskartellamt, das nicht etwa eigeninitiativ prüft, ob DFL und DFB mitsamt der 50+1-Regel selbst ein Kartell sind, sondern das zur Frage angerufen wird, wie es sich denn verhielte damit, dass manche Clubs sich an die 50+1-Regel halten und manche nicht. Ob das nicht unfair sei. Und die Deutsche Fußball Liga selbst, also die Vereinigung aller deutschen Proficlubs inklusive derer, die sich als sogenannte Traditionsclubs sehen, die erarbeitet einen Vorschlag für das Kartellamt, wie man sich das vorstelle in Zukunft. Wie man "Rechtssicherheit" schaffen könnte. Und da steht dann drin, dass es schon okay sei, wie es ist. Die drei Clubs, die jahrzehntelang ausnahmsweise viele Millionen Euros von Bayer, von Volkswagen oder von Dietmar Hopp bekamen, die dürfen das mehr oder weniger auch weiterhin so machen. Alle anderen dürfen es aber auch weiterhin nicht. Also quasi "Legalize" für unsere Ausnahmen. Damit es aber nicht so aussieht, als hätte man einfach "Weiter so" gesagt, hat man ein paar kosmetische Bestimmungen eingeführt, die in ihrer Stumpfheit und Konsequenzlosigkeit geradezu lächerlich sind.

Also machen wir auch in Zukunft nicht gleiches Recht für alle, das fordern wir nur allzu gerne für alle möglichen Staaten und Sachverhalte auf der Welt. Bei uns daheim sind aber manche immer noch gleicher als die anderen. Und damit wir das richtig gut deutsch auch durch Regelungen und Institutionen absichern können, nehmen wir das Kartellamt mit rein – das Amt also, das eigentlich dafür zuständig ist, die Einhaltung fairen Wettbewerbs zu gewährleisten, quasi die oberste Instanz für "gleiches Recht für alle". Und das Kartellamt macht genau was? Das Kartellamt in personam seines obersten Vorsitzenden kriegt die Vorschläge der DFL vorab schon mal vorgelegt und äußert sich "zufrieden". So ist das bei uns.

Nochmal zusammengefasst: Man kann vieles machen. Investoren rein, Investoren raus, Ausnahmen hier, Ausnahmen da, die einen dürfen das, die anderen nicht. Dann sollte man aber nicht so tun, als habe man großen Wert auf gleiches Recht für alle gelegt. Und noch weniger sollte man derlei von anderen fordern. Und wenn man das dann auch noch als Kartellamt gut findet oder zufrieden damit ist, dann ist man kein Kartellamt. Dann ist man nicht mehr als ein schlechter Witz. Und muss sich nicht darüber wundern, dass anderswo die Leute ungläubig den Kopf schütteln. Darauf einen Ahlenfelder. Einen doppelten bitte.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


2 Kommentare verfügbar

  • SSV Ulm 1846 - Love football / hate Capitalism.
    am 16.03.2023
    Antworten
    Das beste an dem Artikel ist das Foto.
    Keiner mag Investorenplaste und genauso ist es natürlich absurd den männlichen Profifußball generell zu unterstützen. Mit diesen Widersprüchen kann man (muss man im Kapitalismus) trotzdem leben und dem Falschen doch noch den Kampf ansagen, um das Richtige zu…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!