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VfB und Kommunikation

Hart wie Harti Weirather

VfB und Kommunikation: Hart wie Harti Weirather
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Ganz und gar nicht hoffungsvoll schaut unser Kolumnist ins neue VfB-Jahr. Er sieht einen Kader, der keine Mannschaft ist, und empfiehlt, sich ein Beispiel an alten Ski-Recken zu nehmen. Wegen der Härte und Entschlossenheit.

Nach dem kommunikativ, symbolisch, inhaltlich und sportlich rundweg gelungenen Auftritt der deutschen Fußball-Nationalmannschaft der Herren bei der WM in Katar hat unser Land über den Jahreswechsel seine beeindruckende Form hoch gehalten und konnte auch das neue Jahr mit ganz starken Bildern beginnen. Wie die trotz fragwürdiger Zutrittsverbote und eklatanter Behinderungen der Pressefreiheit immer noch gut gefilmte und fotografierte Räumung des Dorfes Lützerath durch Polizei und RWE im Ausland ankommt, das kann allerdings nur erkennen, wer auch ausländische Medien beobachtet. Und auch die unsägliche Diskussion um die Vornamen angeblicher Böllerterroristen oder "little pashas"-Äußerungen der Blackrock-Figur, die warum auch immer zum Vorsitzenden der CDU gewählt wurde. "Alter, was sind wir für ein Scheiß-Land voller Unsympathen!?", möchte man da rufen. Und wenn der Zug wieder erst 45 Minuten später oder die S-Bahn überhaupt nicht kommt, dann ruft man es gleich nochmal, aber doppelt so laut.

Nun ist das hier aber immer noch eine Sportkolumne, weshalb wir schnell umschalten zu den Themen, die die schwäbische Sportwelt mehr als alles andere interessieren – und an dieser Stelle schwant Ihnen sicher schon, liebe Leserinnen und Leser, dass jetzt weder unsere Handballer noch die mit Ausnahme des jungen Philipp Raimund langweiligen Hungerhaken der Vierschanzentournee zum Thema werden und auch nicht unsere sonstwie nordischen oder alpinen Winterspitzensportlerinnen und Sportler, sondern, richtig geraten, der VfB Stuttgart von 1893, dessen in eine Aktiengesellschaft ausgegliederten männlichen Profifußballer am Wochenende den Kampf um den Klassenerhalt in Deutschlands höchster Spielklasse wieder aufnehmen.

Fast so viele Baustellen wie die Bahn

Dieses Thema unter anderen zu besprechen, nahm der Autor dieser Zeilen letztens an einem kleinen, aber feinen Jahresauftakt-Gebruddel in den Räumen des VfB-Fanprojekts teil und diskutierte nicht nur mit den hier wohlbekannten Compadres Dietrich Krauß und Bernd Sautter, sondern auch mit dem geschätzten Herrn Philipp Maisel aus dem Stuttgarter Pressehaus. Und was an diesem launigen Abend unter reger Anteilnahme des Publikums so zusammenkam, das ist leider wenig geeignet, für die nahe sportliche Zukunft des VfB Stuttgart auch nur ansatzweise in Optimismus zu verfallen. Denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Fußballfans: Der VfB hat fast so viele Baustellen wie die Bahn, das deutsche Straßennetz und Gesundheitssystem zusammen. So viele, dass die Verantwortlichen gar nicht so recht wissen, wo konkret sie beginnen sollen mit dem Reparieren.

Beim Aufzählen der Baustellen wollen wir mit dem Sportlichen beginnen, weil was zählt ist ja immer noch aufm Platz. Und der Kader, der da zur Verfügung steht, ist offensichtlich genau das: ein Kader. Eine Mannschaft ist er nicht. Denn die Spieler stehen auf dem Trainingsplatz in Grüppchen nach Sprachen zusammen, Spanier/Portugiesen, Japaner, Franzosen. Wer kein Deutsch kann, der lernt es – Sprachkurs ist, wie am Beispiel Tiago Tomás deutlich wurde, eine Stunde pro Woche. In Worten: EINE STUNDE. Dazu fehlen mir weitere Worte.

Neulich hatte ich mich noch drüber aufgeregt, dass "mein" Verein unfähig sei, gescheitere News zu produzieren als den Umstand, ab sofort sei Deutsch beim VfB Amtssprache. Und ich bin auch weiterhin der Meinung, dass das keine gescheite News war und ist. Aber dass neu hinzukommenden Spielern nicht ein kompletter Wochenplan vorgelegt wird mit mindestens dreimal zwei Stunden Sprachkurs, optimalerweise im Einzelunterricht, das lässt mich schon ein wenig daran zweifeln, dass in Cannstatt ernsthaft gearbeitet wird. Nicht nur laufen unsere weniger als alle anderen, nicht nur gewinnen sie weniger Zweikämpfe als die anderen – sie können nicht mal miteinander reden und werden dahingehend auch nicht angeschoben. Und wenn man dann hört, die Mannschaft habe vom neuen Trainer, dem schönen Bruno, erstmal erklärt bekommen, sie spiele um den Klassenerhalt, dann lässt man wirklich fast alle Hoffnung fahren. Denn das bedeutet ja, die Mannschaft, die offenbar keine war, habe bislang gedacht, sie spiele um einen Platz im internationalen Geschäft. Oder im Mittelfeld. Und der Abstieg sei kein Thema. Oder er sei, je nach Lesart, ganz egal. Wie konnte es nur dazu kommen?

Es gibt kein Gesicht mehr beim VfB

Auch abseits des Platzes ist die Kommunikation eine Baustelle. Ein absolutes Desaster sogar. Was nach außen dringt, ist ausschließlich destruktiv. Wer nach außen dringt, tut dies nur, um eigene Positionen zu verbessern. Es gibt kein Gesicht des VfB mehr, nachdem der Sportdirektor weg ist, der sehr gut reden konnte, dies aber ausschließlich aus Eigeninteresse tat und selten im Sinne des großen Ganzen. Ein Gegenpol? Fehlanzeige. Dem neuen CEO Alex Wehrle hatte ich einiges zugetraut, ebenso dem Oberkommunikator Tobias Kauffmann. Schließlich haben die beide jahrelang in Köln raue See erlebt und es so schlecht nun auch nicht gemacht. Und dass ein Wehrle branchenweit begehrt war, kommt auch nicht komplett grundlos. Die Erwartungen bestätigen konnten beide leider nicht.

Zu haarsträubenden handwerklichen Schwächen gesellte sich eine erstaunliche Konturenlosigkeit, Unsichtbarkeit geradezu, die nur noch vom Präsidenten Claus Vogt übertroffen wurde, der ja ursprünglich mal das neue, sympathische, bescheidene und integre Gesicht des Clubs war – ganz egal, wie geplant oder spontan der Auftritt allein in der Coronakurve gewesen sein mag, den Schal in die Höhe reckend. Dass Vogt sich ausgerechnet mit einem phrasenvollen und inhaltsleeren Interview beim Weltmedium "BW24.de" wieder aus der Deckung wagt, ist bezeichnend dafür, dass wir mittlerweile halt doch ein Klepperlesverein sind und nicht mehr.

Der Klub kommt daher wie die Haupttribüne

Man darf gespannt sein, wer das neue Gesicht dieses Klepperlesvereins wird. Sami Khedira oder Christian Gentner oder auch Alex Wehrle könnten das hinbekommen, wenn sie sich sehr schnell mit einigen Ecken und Kanten in den Vordergrund drängen. Der Präsident und Aufsichtsratsvorsitzende möge sich auf gelegentliche Repräsentationspflichten beschränken und seinen CEO lieber bei der Suche nach neuen Sponsoren unterstützen – am besten richtige Firmen und nicht irgendwelche Wald- und Wiesenunternehmen oder Wettanbieter, wie sie heute die Sponsorentafel zieren.

Insgesamt lässt sich sagen, dass der VfB Stuttgart aktuell genauso daherkommt, wie die Haupttribüne des Stadions aussieht. Ein Trümmerhaufen, dem nur der Rauch fehlt, der aus ihm emporsteigt. Die am Wochenende gegen Mainz beginnende Rückrunde wird ein Überlebenskampf, ein glimpfliches Ende, der Klassenerhalt scheint mehr als fraglich. Mit der einigermaßen phantasielosen Verpflichtung des Trainers Bruno Labbadia haben sie immerhin einen Mann geholt, der weiß, wie man eine kaputte Truppe rasch wieder in die Spur bringt – wenn auch die positiven Effekte selten länger anhalten als ein paar Monate.

Und weil diese Kolumne in der Woche zwischen den alpinen Großereignissen Wengen und Kitzbühel erscheint, möchte ich abschließend auf einen Song verweisen, der so brachial daherkommt, wie der VfB am Samstag Mainz hernehmen sollte. Und am Dienstag drauf die TSG Hoffenheim. Die Spieler werden die Herren Brian Stemmle, Peter Wirnsberger, Gerhard Pfaffenbichler und Co nicht mehr kennen und Harti Weirather auch nicht. Aber an deren Härte und Entschlossenheit sollten sie sich ein Beispiel nehmen.


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3 Kommentare verfügbar

  • Schwob vo dr Alb
    am 19.01.2023
    Antworten
    t-online berichtet aktuell - Auszug

    Dem VfB Stuttgart steht neuer Ärger ins Haus: Nach einer Anzeige prüft die Staatsanwaltschaft Vorwürfe der Untreue gegen das VfB-Präsidium um Claus Vogt.

    Die Staatsanwaltschaft Stuttgart prüft nach Vorwürfen der Untreue ein Ermittlungsverfahren gegen…
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