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Herrenfußball-WM

Mit Edding hinter die Ohren

Herrenfußball-WM: Mit Edding hinter die Ohren
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Dass die korrupte FIFA sich selbst reformiert, glaubt unser Autor nicht. Dafür glaubt er an ein gutes Abschneiden der deutschen Mannschaft bei der WM, auch ohne One-Love-Binde. Den Funktionären empfiehlt er, sich einen Satz von Thomas Hitzlsperger gut einzuprägen.

Es ist zwar überhaupt nicht zweifelsfrei erwiesen, dass die seit Sonntag laufende Fußball-Weltmeisterschaft in Katar die beste aller Zeiten und Welten ist, aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist sie doch die teuerste aller Zeiten, und ganz sicher kommen wir an diesem Thema hier und heute nicht vorbei.

Die Absurdität des gesamten Ereignisses von der Vergabeentscheidung 2010 bis zum tatsächlichen Stattfinden zwölf Jahre später inklusive Menschenrechtsverletzungen, toter Arbeiter und obszöner Sportswashing-Zahlungen ist hinlänglich bekannt, ebenfalls die Tatsache, dass all dies keine Katar-spezifischen Zustände sind, sondern in der großen Business-Welt des Sports made by quasistaatlichen, um nicht zu sagen metastaatlichen Sportverbänden wie FIFA und IOC eher die elende Regel als die unrühmliche Ausnahme. Die WM 2018 in Russland oder gleich mehrmals Olympia in Peking (Sommer 2008, Winter 2022) winken mild lächelnd rüber, da kann der Althammer und Neuinvestigativreporter Thomas Hitzlsperger noch so betroffen daherschauen in seinem Reisebericht aus Nepal und Katar, der zur besten Sendezeit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk lief, direkt vor Plasbergs letztem "Hart aber Fair". Leider hat er nicht gleich noch dazu erklärt, warum sich in der Bundesliga bis heute kein aktiver Spieler als homosexuell geoutet hat. Leider hat er auch nicht erzählt, warum Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus-Webb den so arg diversityfreudigen Deutschen Fußball Bund quasi im Zickzack flüchtend Richtung England verlassen musste.

Menschenrechte gehen immer vor, sagt Hitz

Jetzt soll der Hitz hier aber nicht herhalten für Dinge, die er nicht zu verantworten hat. Und auch der leise Verdacht, dass es hierzulande halt einfach viel besser läuft, wenn man den Araber beschimpfen und beschuldigen kann, soll nicht an ihm kleben bleiben. Dieses Ding dürfen sich ruhig die vielen Russlandversteherinnen und -versteher anheften, die vor allem in den Parteien am rechten und linken Rand zuhause sind, leider aber nicht nur dort. Und die auch 2018 noch so gerne die enge Verbundenheit Deutschlands und Russlands betonten und dass wir doch Verständnis haben sollten für Krimannexion und Aleppo und vielleicht auch gleich für die Ermordung kritischer Medienmenschen wie Anna Politkovskaya (schon 2006!).

Und weil ich nach der Reportage letztens ganz ausnahmsweise noch ein Stück vom letzten Plasberg geschaut habe, hörte ich den Hitz, der auch dort zu Gast war, sogar einen sehr guten Satz sagen, der mir umso besser gefiel, als der Thomas da seinen Hundeblick endlich abgelegt und das halbwegs dynamische Kameragesicht wieder aufgesetzt hatte. Da sagte er nämlich sinngemäß, dass immer dann, wenn Menschenrechte gegen irgendwelche kulturellen Gepflogenheiten antreten müssten, die Menschenrechte immer zu gewinnen hätten. Und zwar unverhandelbar. Menschenrechte gehen immer vor. Das war ein toller und im Nachgang auch von einigen anderen Leuten gerne eingesetzter Sager, den sich zuvorderst die FIFA, aber grundsätzlich immer auch das IOC und natürlich die grade gastgebenden Kataris und alle anderen entsprechend mit Edding hinter die Ohren schreiben oder gleich und unwiederbringlich dorthin tätowieren lassen sollten.

Leider besteht weniger als wenig Hoffnung darauf, dass solches passieren wird. Denn von den angeblich über sieben Milliarden Euro, die die FIFA für Katar 2022 aus TV- und anderen Verträgen einnimmt, wird Gottkaiser Gianni Infantino auch weiterhin beträchtliche Summen an die FIFA-Mitgliedsstaaten ausschütten. Oder besser: Es den Präsidenten der nationalen Fußballverbände zukommen lassen, die häufig Söhne, Neffen oder Schwager des herrschenden Despoten sind und von der Kohle zwar einen ordentlichen Share für sich abzweigen, aber eben auch haufenweise Fußballplätze bauen und vorzeigbare Bilder erzeugen werden, die dem sogenannten Grassroots-Programm der FIFA gut in die Powerpoint-Charts reinlaufen.

Dass solche Leute am bestehenden System nichts ändern wollen, ist verständlich. Und dass es beträchtlicher, geradezu revolutionärer Anstrengungen bedürfte, dieses System zu ändern, liegt auf der Hand. Da müssten schon der DFB und fast alle anderen "großen" nationalen Verbände den Austritt aus der FIFA erklären. Oder einer Mehrheit der 211 FIFA-Mitgliedsverbände gute Gründe liefern, künftig ein weniger korruptionsaffines System zu fordern. Oder sehr viele und sehr große Fernsehsender der FIFA kein Geld mehr geben für die Übertragungsrechte. Allein die deutschen Öffentlich-Rechtlichen haben für Katar 2022 wie auch für den Vorgänger Russland 2018 jeweils mehr als 200 Millionen Euro bezahlt – und lassen sich erstaunlicherweise ihr stunden- bis tagelanges Rumgehacke auf Katar als Gastgeber fröhlich von "Emirates" als Presenter bezahlen, der Fluglinie aus dem Nachbaremirat.

Doppelwumms: IOC und FIFA einfach verbieten

Wer jedoch weiß, wie allein der deutsche DFB-Bundestag zustande kommt und wie er besetzt ist, der oder die weiß auch, dass nicht nur die "Asian Winter Games", sondern wohl auch die Olympischen Winterspiele eher vom IOC in die arabische Wüste vergeben werden, als dass die FIFA sich von innen heraus reformiert. Oder dass "One Love" zur Pflichtbinde wird. Vielleicht muss Kanzler Scholz da mal einen richtigen Doppelwumms raushauen und beide Verbände einfach verbieten.

Und trotz alledem ist WM, und natürlich werden auch heuer wieder viele Menschen in aller Welt zuschauen. In einer Welt, wo die Menschen in den meisten Ländern sich nullkommanull für Korruption und Arbeiterrechte in Katar interessieren, sondern einfach Fußball sehen und ihr Team anfeuern wollen.

Ich bin nun zwar noch nie leidenschaftlicher Schwarzrotgoldener gewesen, werde aber natürlich auch die Spiele schauen und bin gespannt, wie wir uns schlagen. Im Team einige gute und durchaus wettbewerbsfähige "Zocker", halbwegs ordentlich durch die Gruppenphase, dabei vielleicht sogar die jungen und möglicherweise instabilen Spanier abfrühstücken – nicht ausgeschlossen, dass wir mit enormen Rückenwind in die KO-Runden rauschen und ziemlich weit kommen werden. Riskante Vorhersage zwar, weil ja heute Abend, am Erscheinungstag dieses Textes, erst das erste Gruppenspiel gegen Japan stattfindet. Aber das ist ja einer der Vorteile einer Weltmeisterschaft gegenüber der Champions League: Hier spielen nicht die Club-Investments der Saudis gegen die der Kataris oder Chinesen oder US-Investoren – hier spielen Nationalteams gegeneinander, das ist deutlich schwieriger vorherzusagen.

Und alle, die der völlig legitimen Meinung sind, die Fußball-WM in Katar boykottieren zu wollen, werden ja nun ziemlich viel Zeit haben. Ihnen möchte ich empfehlen, anstelle TV-Konsums doch das hervorragende Buch "Die WM und Ich" zu lesen (Kontext berichtete), ein Sammelsurium spannender Berichte über vergangene Fußball-Weltmeisterschaften und ziemlich differenzierter Betrachtungen des Fußballs mit all seinen Ausprägungen im Allgemeinen und der FIFA sowie der WM in Katar im Besonderen. Oder, für die Anhänger des VfB Stuttgart, das Buch des geliebten Kollegen Bernd Sautter über "Populäre Irrtümer und andere Wahrheiten" (zu bestellen hier).

Und dass der Koch der deutschen Nationalmannschaft in Katar Anton Schmaus heißt, darüber können Sie vielleicht auch schmunzeln, obwohl sie den ganzen Bumms rundweg boykottieren.


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