KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Opernsanierung und Interim

Loch im Haushalt

Opernsanierung und Interim: Loch im Haushalt
|

Datum:

Die Stuttgarter Opernsanierung wird teuer, die Baukosten explodieren. Auch die Interimsspielstätte verschlingt viel Geld. Im Stuttgarter Haushalt klafft außerdem eine Lücke. Jetzt wird an den Kosten geschraubt. Nur nicht allzu viel.

Seit mehr als zehn Jahren schon wird über die Sanierung der Stuttgarter Oper diskutiert. Und wie bei jedem Großprojekt explodieren die Kosten. Jetzt soll gespart werden. "Rotstift beim Interim", titelt die "Süddeutsche Zeitung" nach der Verwaltungsratssitzung der Stuttgarter Staatstheater vor einer Woche. "Interim muss abspecken", vermeldet die "Stuttgarter Zeitung". Und der SWR hält fest: "Ersatzbau muss einfacher und billiger werden".

Das war genau die Botschaft, die der Verwaltungsrat in seiner Pressekonferenz hatte vermitteln wollen: Bei der Opernsanierung wird gespart. Die ProWST, Projektgesellschaft Württembergische Staatstheater Stuttgart, war zuvor beauftragt worden, "Ansatzpunkte für Zeit- oder Kostenoptimierungen bei der Sanierung, Modernisierung und Erweiterung des Stuttgarter Opernhauses" zu ermitteln. Auskunft dazu gaben Wissenschaftsministerin Petra Olschowski (Grüne) und der Stuttgarter Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU). "Alles muss auf den Prüfstand", sagte der.

Doch was heißt das genau? Das Ergebnis der Prüfungen sei "ernüchternd", gesteht Olschowski. Es gäbe "keine wesentlichen Ansatzpunkte für eine Zeit- und Kostenoptimierung". Dennoch sei die Interimsspielstätte kein "Augen-zu-und-durch-Projekt". Denn die Haushaltslage in Stadt und Land habe sich "dramatisch verschlechtert". Und die Baukosten seien in den letzten fünf Jahren um 45 Prozent gestiegen.

Schon 2019 wurde das Interim plötzlich viel teurer

Vor fünf Jahren, in der Corona-Zeit, war die Opernsanierung kein großes Thema. Der damals letzte Stand bei den Kosten des Interims lässt sich aus heutiger Sicht kaum noch ermitteln. 2018 jedenfalls war der Interims-Standort vom Bahnpostamt an die Wagenhalle verlegt worden, weil er dort angeblich nur 89 Millionen Euro, maximal aber 104 Millionen kosten sollte statt 126. Schon 2019 wurden dann aber Kosten von über 170 Millionen Euro prognostiziert, die allerdings dadurch heruntergerechnet wurden, dass der größere Teil der Interimsgebäude nach dem Auszug der Oper von Kreativen weiter genutzt werden würde. Der Rest ließe sich teuer verkaufen, war man sich sicher.

2022 sollte das Interim bereits 224 Millionen Euro kosten, abzüglich Wiederverkaufserlösen und Weiternutzung. Andere kamen mit Baukostensteigerungen schon auf 259 Millionen. Dabei hatte die Baukostenexplosion, ausgelöst durch den Ukraine-Krieg, damals eben erst begonnen. Und die Kosten steigen weiter.

Was soll nun wieder eingespart werden? Nicht nur fünf Prozent, versichert Olschowski, eher 20. Wer in Mathematik gut aufgepasst hat, möge nachrechnen: Wenn die Kosten seit 2020 um 45 Prozent gestiegen sind und man davon 20 Prozent wieder abzieht, liegen sie immer noch um 16 Prozent über dem ursprünglich errechneten Ausgangswert.

Wie aber verhält es sich mit der Haushaltslage? Es werde in diesem Jahr kaum noch Städte mit einem ausgeglichenen Haushalt geben, hat der Deutsche Städtetag Anfang des Jahres gewarnt. In Stuttgart erwarte er ein Haushaltsdefizit von "bis zu einer Milliarde Euro", antwortet Nopper auf Nachfrage. "Dunkle Wolken am Haushaltshorizont", legt der Stuttgarter OB noch einmal nach.

Kannibalisiert die Oper die Kulturszene?

Eine Milliarde Euro – das ist mehr als ein Sechstel des Stuttgarter Haushaltsvolumens. Zum Vergleich: Für den laufenden Betrieb der Staatstheater gibt die Stadt Stuttgart dieses Jahr 56,5 Millionen Euro aus, für die Förderung aller anderen Kultureinrichtungen und -projekte insgesamt 48 Millionen, alles in allem, mit Anteilen am Linden-Museum und am Hotel Silber, sind das 108 Millionen für die Kultur. Ein Defizit von einer Milliarde Euro ließe sich selbst dann nicht mal annäherungsweise ausgleichen, wenn alle Ausgaben für die Kultur komplett gestrichen werden würden.

Doch was passiert, wenn am Ende des Jahres der nächste Doppelhaushalt beschlossen wird? Beim letzten Mal hatte die Stadt angesichts der hohen Kosten der Opernsanierung noch Wohltaten an andere Kultureinrichtungen verteilt. Damit ist diesmal kaum noch zu rechnen. Im Gegenteil. Es wird im gesamten Kulturbereich nach Einsparpotenzialen gesucht werden, da dieser mit Sport und Grünanlagen zu den so genannten freiwilligen Aufgaben zählt. Die Mitarbeiter:innen der Staatstheater haben Tarifverträge, bei denen nicht gespart werden kann. Anders als bei vielen anderen, die ohnehin nur mit sehr viel Selbstausbeutung über die Runden kommen und deren Gehälter nicht ständig angepasst werden. Im Vergleich zu dem, was anderen Kultureinrichtungen droht – in Stuttgart und anderswo, etwa in Karlsruhe –, sind die Oper und ihre Sanierung purer Luxus.

Ausgabe 581 vom 18.05.2022

Hochpreiskultur

Von Dietrich Heißenbüttel

Eine Milliarde Euro soll die Sanierung der Stuttgarter Oper kosten. Doch dabei ist noch längst nicht alles mitgerechnet. Die Interimsspielstätte wird teurer – damit dies nicht so auffällt, hat die Stadt die Gesamtsumme in mehrere Posten gesplittet.

Beitrag lesen

Wenn die Gemeinderät:innen nur darauf schauen, wo sie den Rotstift ansetzen können, die Opernsanierung aber durchgepaukt wird, wird diese das gesamte Kulturleben kannibalisieren. Sicher: Die Oper will auch ein wenig sparen. Aber das Interim soll immer noch mehr als 200 Millionen Euro kosten. Die Hälfte davon zahlt die Stadt, verteilt auf drei bis vier Jahre sind das jährlich rund 30 Millionen Euro. Den laufenden Betrieb mitgerechnet, fördert die Stadt also die Staatstheater in dieser Zeit mit rund 100 Millionen Euro im Jahr. Und das Land zahlt noch einmal dasselbe.

Man fragt sich, womit die Staatstheater diesen hohen Aufwand rechtfertigen. "Qualität ist uns sehr wichtig", unterstreicht der geschäftsführende Intendant Marc-Oliver Hendricks. Soll heißen: Allzu viele Abstriche am gewohnten Standard darf es nicht geben. Sicher, die Stuttgarter Staatsoper und das Ballett arbeiten auf hohem Niveau. Aber das trifft auch auf andere Einrichtungen und Ensembles im Bereich der Musik und des Theaters zu. Olschowski betont die Verantwortung für die 1.400 Mitarbeiter. Diese Verantwortung hat die Stadt Stuttgart aber auch für alle anderen im Kulturbereich, die ohnehin mit viel weniger Geld auskommen müssen.

"Ein echt elitäres Konstrukt"

Das Interim soll auf jeden Fall abspecken. Es muss kleiner werden, wenn auch nicht viel. Nur 1.200 Personen soll die Spielstätte Platz bieten statt 1.400 wie im Littmann-Bau. Das ist dem geschäftsführenden Intendanten immer noch lieber als Abstriche bei der Sanierung des Littmann-Opernhauses. Aber weniger als 1.200 Plätze dürfen es seiner Ansicht nach nicht sein. Andernfalls, so Hendricks, verlören die Staatstheater, die gerade erst Besucherrekorde vermeldet haben, ihr Publikum.

Aber stimmt diese Gleichsetzung von Qualität, hohem Aufwand und Publikumsresonanz? Das Programm der Oper besteht nach wie vor überwiegend aus Klassikern: Mozart und Verdi, Puccini, Wagner und so weiter. Ob das in zwanzig Jahren, wenn die Opernsanierung frühestens abgeschlossen sein wird, noch im selben Maß interessiert wie heute, kann im Augenblick niemand vorhersagen. Ob die Bude dann noch voll ist, hängt zuallererst davon ab, inwieweit es gelingt, ein heute noch junges Publikum zu erreichen.

Ausgabe 372 vom 16.05.2018

Opera buffa

Von Dietrich Heißenbüttel

Es ist keine große Oper, was in Stuttgart in Sachen Sanierung des Littmann-Baus am Eckensee gespielt wird. Eher Opera buffa, ein Possenspiel. Einer steht dem anderen und jeder sich selbst im Weg, und jeder bezahlbaren Lösung ein Heer von Vorschriften und hohen Ansprüchen.

Beitrag lesen

"Das Theater ist ein echt elitäres Konstrukt", hat Madina Frey, die 28-jährige Hauptdarstellerin der gefeierten letzten Neuproduktion "Der rote Wal", vor zwei Jahren in einem Podcast-Interview gesagt. "Meine Freundinnen haben keinen Bock, da hinzugehen." Das trifft auf das Stuttgarter Opernhaus in hohem Maß zu. Die Stufen, die einschüchternden hohen Säulen, der vielleicht auch nur eingebildete Dresscode stellen für alle, die sich nicht dazugehörig fühlen, eine Schwelle dar. Es kostet Überwindung, sie zu überschreiten.

Viktor Schoner, der Opernintendant, ist sich dieser Herausforderung vollauf bewusst. Und er arbeitet daran: mit Themen wie Queerness und Identität, mit Ausflügen in popkulturelle Welten von Hiphop bis Techno, mit der exzellenten Jungen Oper und jungen Hauptdarstellerinnen dunklerer Hautfarbe wie Madina Frey oder im Herbst Larissa Sirah Harden als Nina Simone in "I Did It My Way". Veranstaltungen an anderen Orten vom Metropol-Kino bis zum Autohaus sind manchmal lebendiger und überzeugender als die "große Oper". Manches findet einfach auch deshalb nicht im Opernhaus statt, weil es keine 1.400 Menschen erreicht.

Es wird nicht von einer Kreuzbühne abhängen, ob die Oper auch in der Zukunft noch die Kritiker:innen überzeugt und das Publikum in Strömen anzieht. Vielmehr davon, ob es gelingt, musikalisch und thematisch auf der Höhe der Zeit zu bleiben oder gar den Ton anzugeben.

Noch sind die Einsparpotenziale beim Interim nicht konkretisiert und nicht beziffert. Doch das viel größere Problem steht noch bevor: die Sanierung des alten Littmann-Baus. Anfangs wurden 300 Millionen geschätzt, mittlerweile sind es 960. Wird es nun eine Milliarde kosten? Oder zwei, wie der SWR Ende 2024 hochgerechnet hat? Fest steht: Wenn man will, kann man Vieles auch einfach weglassen: die Kreuzbühne zum Beispiel; eine in den Zustand der Bauzeit zurückversetzte Kantine; oder repräsentative Büros für die Intendanten. Die Stadträtin Guntrun Müller-Ensslin hatte das schon vor acht Jahren gefordert – Kontext berichtete. Inzwischen kommt auch die Architektenkammer zu ähnlichen Ergebnissen.

An Repräsentation und technischem Nonplusultra zu sparen, wird der Oper ganz sicher nicht schaden. Ihre Produktionen sind derzeit häufig überladen, eine Materialschlacht. Die künstlerische Qualität steigt aber nicht mit hohem Aufwand. Oftmals ist es genau umgekehrt: Weniger ist mehr.

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


0 Kommentare verfügbar

Schreiben Sie den ersten Kommentar!

Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!