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Wunschkonzert der Oper

Wunschkonzert der Oper
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Die Sanierung des Stuttgarter Opernhauses entpuppt sich bei näherer Betrachtung als großes Wunschkonzert. Und alle singen mit, vorneweg die Intendanten. Nur eine Stadträtin weigert sich.

Es gab nur eine Gegenstimme, als der Verwaltungsrat der Stuttgarter Oper tagte. Befunden wurde im Juli 2015 über den Vorschlag des Büros Kunkel Consulting, während der Sanierung der Oper einen Interimsbau mitten auf dem Eckensee zu prüfen. "Das war meine Stimme", sagt Stadträtin Guntrun Müller-Enßlin, die für die Fraktion SÖS-Linke-Plus im Verwaltungsrat der Stuttgarter Oper sitzt. Sie war auch die einzige, die sich, als die Gutachter Kosten in Höhe von 300 Millionen Euro ankündigten, nicht mit einer zwanzigseitigen Tischvorlage abspeisen ließ, sondern das Gutachten selbst sehen wollte. 

2013 hatte der Landesbetrieb Vermögen und Bau das Gutachten in Auftrag gegeben. Einen Teil des Auftrags wies das Büro Kunkel rundweg zurück: Eine nachhaltige Verbesserung der Oper und ihrer technischen Anlagen sei für 18 Millionen Euro, wie gefordert, schlichtweg nicht zu machen. Dies erscheint plausibel, hatte doch bereits die Sanierung des Schauspielhauses am Ende 28,5 Millionen Euro gekostet.

Um einen weiteren Auftrag des Landesbetriebs machten die Gutachter einen eleganten Bogen. Vermögen und Bau hatte ein Konzept angefordert, das in modulare, jeweils mit Kosten bezifferte Bausteine aufgeteilt sei, die einzeln und in verschiedenen Zeitabschnitten durchgeführt werden könnten. Gerade erst war das Schauspielhaus wieder eröffnet worden, bei dem die Kosten um fünf Millionen Euro gestiegen waren und sich die Bauzeit verdreifacht hatte. Solchen Überraschungen wollte der Bauherr vorbeugen.

Guntrun Müller-Enßlin hat eine Weile gebraucht, bis sie die Module und ihre Kosten ganz am Ende des Gutachtens gefunden hatte. Aber so wie dort angegeben, sind sie gar nicht einzeln nacheinander realisierbar. Vielmehr schiebt das Büro die Bausteine so hin und her, dass sie alle voneinander abhängig sind und nur zusammen realisiert werden können.

Nochmals 18 Millionen für das eben sanierte Schauspielhaus

Das verwundert umso mehr, als in die Generalsanierung nicht nur das eigentliche Opernhaus und der Kulissenbau an der Konrad-Adenauer-Straße eingeschlossen sind, sondern auch das Verwaltungsgebäude, das keinesfalls zwingend sofort sanierungsbedürftig ist. Und sogar für das Schauspielhaus, das doch gerade erst komplett saniert wurde, sind noch einmal mehr als 18 Millionen vorgesehen. Zusammen sind das mehr als 40 Millionen. Nicht der größte Betrag im 300-Millionen-Paket, aber doch auch nicht ganz ohne. Zum Vergleich: Als sich der Neubau der John-Cranko-Ballettschule von 32 auf 50 Millionen verteuerte, waren Stadt und Land erst nach einer Zehn-Millionen-Spende von Porsche bereit, weiter zu machen.

Zudem reichen die 300 Millionen nicht aus. Die Gutachter waren davon ausgegangen, dass der Kulissenbau aus den 1950er-Jahren erhalten und durch zwei Anbauten erweitert wird. Inzwischen ist aber der Abriss und ein Neubau in größeren Dimensionen beschlossen. Zudem hat der Verwaltungsrat dem Wunsch der Oper zugestimmt, eine Kreuzbühne einzurichten, die einen schnellen Wechsel ganzer dreidimensionaler Kulissen erlaubt, und dazu eine Wand des Operngebäudes um zwei Meter in Richtung Landtag zu verschieben. Die Kosten, moniert Müller-Enßlin, sind noch nicht beziffert.

Im Gespräch mit Kontext hatte der geschäftsführende Intendant Marc-Oliver Hendriks erklärt, die hohen Kosten kämen nicht in erster Linie durch die Kreuzbühne und die unumgängliche Erneuerung der Bühnentechnik zustande, sondern durch einen zusätzlichen Flächenbedarf von mehr als 10 000 Quadratmetern, der sich wiederum aus bau- und arbeitsrechtlichen Vorschriften ergäbe. Davon ausgehend habe der Gutachter nach dem Baukostenindex die voraussichtlichen Kosten ermittelt. 

Dies kann Guntrun Müller-Enßlin nur zum Teil bestätigen. Den höchsten zusätzlichen Bedarf hätten mit mehr als 2000 Quadratmetern die Kostümwerkstätten. Die Dekorationswerkstätten benötigten fast 800 Quadratmeter mehr, die Orchestermusiker etwas über 400. So weit nachvollziehbar. Aber Müller-Enßlin findet auch Vieles, was sich nicht aus arbeitsrechtlichen Vorschriften ergibt.

Allein für die Intendanz der Oper seien 125 Quadratmeter zusätzliche Flächen vorgesehen, für die des Balletts 184 und für die des Schauspiels 190. Der Schauspielintendant soll ins Verwaltungsgebäude ziehen, wegen der kürzeren Wege zur Geschäftsführung: einer der Gründe, warum das Schauspielhaus für 18 Millionen Euro erneut umgebaut werden soll. So wenig zwingend notwendig wie 500 Quadratmeter mehr für die drei Intendanzen. 

Wie aber hat Kunkel Consulting den Flächenbedarf ermittelt? Das Büro hat Gespräche mit den Abteilungsleitern geführt. Zwar wurde der "subjektive Bedarf" in einzelnen Fällen korrigiert, etwa wo eine Gästewohnung gefordert wurde. Aber im großen Ganzen, so Müller-Enßlin, gehen große Teile der Flächenangaben nicht auf Bauvorschriften, sondern auf diese Interviews zurück. 

Drei Intendanten brauchen 500 Quadratmeter mehr Platz

So summieren sich allein die Büroflächen, die für alle Abteilungen veranschlagt wurden, auf mehr als 1100 Quadratmeter. Das sind zehn Prozent des gesamten Flächenbedarfs. Dazu kommen 200 Quadratmeter Besprechungsräume. Doch damit ist das Wunschkonzert keinesfalls beendet. Laut Gutachten ist die Atmosphäre in der Kantine nicht gut, sie werde von den Mitarbeitern nicht angenommen. Sie soll, offenkundig ein Wunsch des geschäftsführenden Intendanten, wie sein eigenes Büro in den bauzeitlichen Zustand zurückversetzt werden: eine Rekonstruktion von 1911 mit dicken Trennwänden zwischen den Tischen. Nur so seien ungestörte Gespräche möglich.

Wer einmal dort war, muss eher den Eindruck gewinnen, dass die räumliche Offenheit sehr gut angenommen wird. Im Vorbeigehen entwickeln sich kurze Gespräche, hin und wieder wechselt der eine oder andere den Tisch. Zusätzlich zur Kantinenerweiterung ist aber auch noch ein geräumiges Restaurant im Hof zwischen Oper, Verwaltungsgebäude und Kulissengebäude vorgesehen: nochmal 600 Quadratmeter. Das Gutachten, so Müller-Enßlin, verweist auf den Umsatz, der ohne Restaurant verloren ginge. Wie lange wird es bei 17 Millionen Euro Baukosten wohl dauern, bis die Investition wieder eingespielt ist? 

Derzeit nutzt der Chor auch den Orchesterprobensaal, weil der eigene für die volle Besetzung zu klein ist. Ein weiterer Saal könnte das Problem lösen, das Gutachten sieht jedoch gleich zwei vor: einen für das Orchester und einen für den Chor. Zudem sollen verschiedene Außenstellen, insgesamt 950 Quadratmeter, in die Räume des Staatstheaters integriert werden. In manchen Fällen mag dies sinnvoll sein. Allerdings fragt sich, ob es wirklich an repräsentativen Foyer- und Kassenbereichen mangelt, oder ob die Theaterkasse nicht in der Theaterpassage in Bahnhofsnähe sogar besser untergebracht ist? 

Solche Fragen stellt sich Guntrun Müller-Enßlin. Und nur sie allein. Als sie kritisch anmerkte, ob eine Veranstaltungsfläche für bis zu 300 Personen für Einführungen, Nachbesprechungen und Sponsorengespräche wirklich gebraucht werde, kanzelte sie Oberbürgermeister Fritz Kuhn ab: dies sei eine unpassende Frage. 

Als sich der Umwelt- und Technikausschuss (UTA) des Gemeinderats jüngst mit dem Thema befasste, legten die Stadträte einer nach dem anderen ein "Bekenntnis" zur Oper ab. Mit Bekenntnissen kennt sich die Pfarrerin aus. <link http: soeslinkeplus.de opernbuehnenhypnose-im-uta _blank external-link>Im Amtsblatt machte sie sich Luft. "Von gestandenen Stadträten abgelegte 'Bekenntnisse' zur Oper verleihen einem weltlichen Verhandlungsgegenstand eine religiöse Dimension und rückten ihn in die Nähe des Schicksalshaften, Unverfügbaren", schreibt sie: "Höchste Zeit, zur Realität zurückzukehren."

100 kleine Kultureinrichtungen müssen leider verzichten 

350 Millionen Euro Gesamtkosten also, falls es bei den aktuellen Schätzwerten bleibt. Das ist ungefähr fünfmal so viel wie die gesamte jährliche Kulturförderung der Stadt. Davon gehen ohnehin mehr als 60 Prozent an die Württembergischen Staatstheater, die vom Land nochmal ebenso viel erhalten. Jede Eintrittskarte des Theaters, der Oper und des Balletts wird im Schnitt mit 161,83 Euro von Stadt und Land subventioniert, erfuhr die Fraktion SÖS-Linke-Plus auf Anfrage. Müller-Enßlin fragt sich: Wenn die Fläche des Dreispartenhauses um zehn Prozent wächst, wenn aufgrund der schnelleren Umbauten mit der Kreuzbühne mehr Aufführungen möglich sind: Wie wird sich dies im Kulturhaushalt niederschlagen?

Als es im Doppelhaushalt vor einem Jahr um die <link http: www.kontextwochenzeitung.de politik schoene-bescherung-3337.html _blank external-link>strukturelle Unterfinanzierung, also einen Ausgleich für gestiegene Kosten ging, mussten ungefähr 100 kleinere Einrichtungen auf zumeist zwei- bis dreistellige Beträge verzichten. Weil kein Geld da sei. Insgesamt ging es um rund 350 000 Euro, also ein Promille der Kosten der Opernsanierung. Bei einem Betrag von 14,25 Euro für den Schwäbischen Heimatbund schaut der Gemeinderat ganz genau hin. Bei mehreren hundert Millionen für die Oper offenbar nicht.

Im Moment geht es erst einmal um eine Interims-Spielstätte. Guntrun Müller-Enßlin hat einen Vorschlag. Die Oper zieht in das Schauspielhaus und das Theater so lange in das ehemalige Paketpostamt am Rosenstein. Bei Verzicht auf einem nochmaligen Umbau des Schauspielhauses wäre dies ohne weiteres möglich – und schon wären bei der Sanierung 18 Millionen gespart.

Den Intendanten sind alle Standorte außerhalb des Stadtzentrums ohnehin zu weit weg. "Als die Rede auf das Paketpostamt beziehungsweise auf das Mercedes-Benz-Gelände in Bad Cannstatt kam, haben die Herren aufgeheult", sagt Müller-Enßlin. Auch das SI-Theater in Möhringen ist nicht genehm, die Akustik sei inakzeptabel. Lieber möchte Hendriks das denkmalgeschützte Königin-Katharina-Stift abreißen oder versetzen. 

Für das weltweit einmalige Forum Neues Musiktheater, das der Intendant Klaus Zehelein 2003 im abgelegenen Römerkastell am Hallschlag einrichtete, reichte indes eine einfache Holz-Halle. Und ein jährlicher Etat von einer Million Euro. Nicht zuletzt dafür bekam Stuttgart damals das Prädikat "Opernhaus des Jahres". Nur waren seinerzeit, nach drei Jahren "Anschubfinanzierung" durch die Landesstiftung, weder Stadt noch Land bereit, die Förderung zu übernehmen.


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