Nils Schmid ist Verdi-Fan der Wucht wegen. Schmid, Finanz- und Wirtschaftsminister in Baden-Württemberg, hätte bei seinem Besuch in der Stuttgarter Oper einen wuchtigen Auftritt hinlegen können auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Als durchaus noch jugendlicher SPD-Held hätte er dazu aber wenigstens im Ansatz einen Einblick erlauben müssen in seine mittelfristige Finanzplanung in Sachen Hochkultur.
Stattdessen wiegte er sein Haupt bedächtig hin und her und wieder hin und staunte über den miserablen Zustand der Immobilie am Eckensee. Textsicher gibt er den Hüter der zum SPD-Markenkern gehörenden "guten Arbeit". Da müsse sich aber einiges ändern, sagt er. Mehr nicht.
Im Pausenpavillon zum Beispiel herrscht Abend für Abend drangvolle Enge. Der wurde im Zuge der letzten Großrenovierung in den Achtzigerjahren gebaut, wiewohl alle Verantwortlichen schon damals wussten, dass er viel zu klein sein würde. Dafür waren die Baukosten von umgerechnet gut zwei auf mehr als acht Millionen Euro hochgeschnellt.
In der darunter liegenden Miniküche arbeiten sechs bis acht Beschäftigte auf wenigen Quadratmetern, um "Lachsschnittchen für 1400 Personen zu produzieren", wie Marc-Oliver Hendriks klagt, der Geschäftsführende Intendant der Staatstheater. Für die ausladenden Eiskübel ist hier gar kein Platz, sodass sie in einer Treppenhausnische ihr wackliges Dasein fristen.
An einer Stelle dringt Wasser ein, der Putz bröckelt, die schönen alten Fliesen sind zerschlagen.
Auch der Ballettsaal, in dem der überlebensgroß affichierte John Cranko noch immer alles im Blick hat, ist bemerkenswert bescheiden für die weltberühmte Compagnie. Die Garderoben wären in jedem mittelständischen Betrieb ein Fall für die Gewerbeaufsicht. Der Raum für die Physiotherapie ist winziger als eine Teeküche.
Der Minister lässt sich alles zeigen und erläutert, er will sehen, "wie hier gearbeitet wird, und nicht nur genießen, was auf der Bühne geschieht". Unter dem Dach, dessen Holzkonstruktion seit dem Entstehungsjahr 1912 nicht verändert wurde, berichtet Opernintendant Jossi Wieler, dass der eiserne Vorhang vor jeder Vorstellung auf seine Funktionsfähigkeit überprüft werden muss.
Und wie er kürzlich, in der Pause der "Zauberflöte", nicht mehr hochzuziehen war, um dann "nach einer für alle unangenehmen Verzögerung" sich doch plötzlich wieder zu bewegen.
Energetisch ist das Ganze erst recht ein Fall fürs technische Museum. Über dem Dach liegt nichts als Kupfer, und das ist selbst bei noch so starkem Schnellfall niemals weiß, weil die Abwärme alle Flocken sofort schmelzen lässt. Was Mäuse und Mäusebussarde anzieht, aber das ist eine andere Geschichte. Statt an den zurzeit 240 könnte die Oper jedenfalls auch an 300 Tagen im Jahr bespielt werden, nur müssten sich dafür die Rahmenbedingungen beträchtlich verbessern.
Das so oft so hoch gerühmte Haus, das der große Max Reinhardt einmal als schönstes Theater der Welt gepriesen hat, ist heute das letzte seiner Art, in dem Kulissen händisch auf- und abgebaut werden. Auf den Seitenbühnen fehlt der Platz zur Lagerung. Die traurigen Zustände bestimmen die künstlerische Arbeit zumindest mit, weil aufwendige Szenerien unerwünscht sind. Geprobt wird im 50-Minuten-Takt. Als Schmid und seine Begleitung die Bühne von der rechten Seite durch die Behindertentoilette betreten wollen, weil es keinen anderen Weg gibt, verklingt gerade Gustav Mahler. Eigentlich stört der Besuch, denn jede Verzögerung ist unerwünscht.
Er mache selten solche "Negativführungen", sagt Hendriks und präsentiert das Schaltpult der Technik, einen Computer, der dreißig Jahre auf dem Buckel hat, für den es Ersatzteile nur noch Marke Eigenbau oder bei Ebay gibt. Ausgelegt hat Max Littmann das Haus für 800 Beschäftigte, "heute arbeiten hier 1350 Menschen". Dringend müsse etwas geschehen. Der "große Sanierungswurf", für den die zuständige Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) wirbt, würde drei Jahre Schließzeit bedeuten. Und Generalumbauten, die mehr als doppelt so lange dauern würden. Wie die Semper-Oper in Dresden könnte das Große Haus seitlich an der Bühne gedehnt werden. Die Denkmalschutzbehörde hat erhebliche Bedenken.
Anders als Schmid hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) – ein intimer Kenner des Repertoires seit mehr als 25 Jahren – schon mal vorsichtig eine Zahl in den Raum gestellt und laut darüber nachgedacht, dass das Land 300 Millionen Euro in die Hand nehmen könnte. Im Februar tagt der Verwaltungsrat, derzeit wird an einem konkreten Sanierungskonzept gearbeitet. 2017 könnten die Arbeiten beginnen, jede Verzögerung kostet noch mehr Geld. Hendriks spricht von "der nächsten Hunderterzahl", die dann in den Blick genommen werden müsse.
Der Minister schweigt beredt. "Es ist mir ein besonderes Anliegen, bei der Sanierung der Staatstheater adäquate Arbeitsplatzbedingungen für die Beschäftigten zu schaffen", lässt er danach per Pressemitteilung verbreiten.
Ziel der Modernisierung und Erweiterung sei, "weiterhin zur Weltspitze zu gehören". Wie das Stück ausgeht, steht in den Sternen. Allerdings: Bleibt Schmid oberster Kassenwart nach der Landtagswahl, muss er irgendwann die Erwartungen erfüllen, die er mit seinem Besuch geweckt hat. Und das wird teuer.
3 Kommentare verfügbar
Schwabe
am 01.02.2016Sie wollen jetzt aber nicht ein Elend gegen das andere ausspielen bzw. Elend relativieren?! Das halte ich für nicht sehr seriös.
Beides ist das negative Resultat jahrzehntelanger bürgerlicher Politik. Im einen Fall zu Lasten von Kunst- und Kulturschaffenden bzw. deren Konsumenten…