Stuttgart anders. Es ist Freitag, kurz vorm Dunkelwerden. Thomas Schuler steht am Charlottenplatz und zeigt auf das öffentliche Klo zwanzig Meter entfernt. Die seien prädestiniert für Fixer, weil es da Wasser gebe zur Heroinaufbereitung. "Aber wenn das Licht da drin blau ist, finden die ihre Vene nicht. Deshalb haben alle öffentlichen Toiletten blaues Licht." Da laufe so ein Junkie rein und dann – ratzfatz – rückwärts wieder raus und käme nie wieder. Das Publikum macht leise "ah" und "oh", höchstens mal ein halblautes "ach ...", weil das Klolicht zwar mächtig interessant, aber eben keine Sehenswürdigkeit ist, die bejubelt werden könnte. Schuler nickt gewichtig.
Er ist der Chef-Stadtführer von "Trott-War", der Stuttgarter Straßenzeitung. Ein sonniger Typ in dicker roter Jacke, der quatscht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Seit zehn Jahren arbeitet er für "Trott-War". Zuerst war er freier Zeitungsverkäufer, dann Festangestellter, dann Stadtführer. Und weil das so gut läuft, gibt es derzeit neben ihm noch zwei weitere. Schuler ist ihr "Chef" und darauf "stolz wie Harry".
Um ihn herum stehen zwanzig Angestellte der Sparkasse Waiblingen auf Betriebsausflug. Sie tragen Wollmützen, Stirnbänder und bollenwarme Fäustlinge. Seine längste Stadtführung habe fünfeinhalb Stunden gedauert, sagt Schuler, wenn er mal anfange zu erzählen, ui ui ui, aber mittlerweile habe er sich da besser im Griff, "gell, Nico". Der weiche braune Hund auf Kniehöhe spitzt die Ohren, dann pinkelt er ein paar Tropfen an einen Bauzaun.
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Insider
am 22.01.2016