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Medienstudie zum Lokaljournalismus

Nur die Politik interessiert's nicht

Medienstudie zum Lokaljournalismus: Nur die Politik interessiert's nicht
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Wo die Lokalpresse fehlt, punktet die AfD. Das war das Ergebnis meiner Masterarbeit, die ich vor rund einem Dreivierteljahr bei Kontext veröffentlichte. Seitdem hat sich einiges getan. Ein persönlicher Rückblick auf Interview-Anfragen, nervenaufreibende Vorträge und einen gefallenen Minister.

Es ist Januar 2024, gerade hat "Correctiv" über die Pläne von Rechtsextremisten berichtet, die, oh Wunder, tatsächlich gerne Migrant:innen und Deutsche mit migrantischen Wurzeln aus dem Land deportieren würden. Die Veröffentlichung entfachte in Deutschland eine Flamme der Empörung, die sogenannte bürgerliche Mitte politisierte sich ad hoc und Millionen protestierten gegen Rechtsextremismus und die AfD. Während zu Jahresbeginn also die gesamte Bundesrepublik darüber diskutiert, schreibt und spricht, dass Rechtsextreme rechtsextreme Dinge tun, verweisen Kommentator:innen immer wieder darauf, wie wichtig doch der Journalismus und die Recherchen der Kolleg:innen seien, um Menschen über solche Ungeheuerlichkeiten aufzuklären und um so die Demokratie zu bewachen.

Die Medien, die vierte Gewalt, der Wachhund unserer Gesellschaft. Stimmt alles, dachte ich damals, doch zum Journalismus gehören nicht nur die großen Magazine und investigativen Berichte auf Bundesebene, sondern auch das Lokale – und gerade dort erleben wir in ganz Deutschland ein Aussterben der Lokalzeitungen. Und das spielt der AfD unmittelbar in die Hände. Am Beispiel Baden-Württemberg konnte ich als erster in Deutschland überhaupt zeigen, dass dort, wo Gemeinden nicht durch Berichterstattung abgedeckt sind, Menschen eher für die AfD stimmen als in Gemeinden mit Lokalpresse. Dass die Ergebnisse, die ich Anfang März in der Kontext veröffentlichte, alarmierend waren, war mir bewusst. Welche mediale Welle dadurch ausgelöst werden sollte, hatte ich als Studi-Futzke und Lokal-Journo aber nicht kommen sehen.

Deutschlandfunk, Böhmermann und Christian Lindner

Ausgabe 675, 06.03.2024

Keine Lokalzeitung – mehr AfD

Von Maxim Flößer

Immer mehr Lokalredaktionen werden dichtgemacht. Eine Studie unseres Autors kommt zu alarmierenden Ergebnissen: Wähler:innen in baden-württembergischen Gemeinden ohne Lokalzeitung stimmten bei der Landtagswahl 2021 signifikant häufiger für die AfD.

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Los ging es mit einer Anfrage der "Waiblinger Kreiszeitung". Kurz darauf wurde meine Studie auch auf "Bildblog" und der MDR-Kolumne "Altpapier" diskutiert. Bereits zu diesem Zeitpunkt war ich zeitgleich begeistert und überfordert von der Aufmerksamkeit. Doch das sollte erst die Spitze des Eisbergs sein. Ein paar Tage später meldete sich eine Kollegin des Medienmagazins "In medias res" vom Deutschlandfunk für eine Podcast-Aufzeichnung. Auch im Verdi-Podcast "Menschen machen Medien" durfte ich über meine Arbeit sprechen. Meine Gedanken zu der Zeit: "Was passiert hier?!" Es folgten weitere Interview-Anfragen, unter anderem von "Ippen Media", die ein Interview mit mir in zahlreichen Lokalzeitungen des Verlags veröffentlichten, und vom Magazin "Drehscheibe" der Bundeszentrale für politische Bildung. Mehrere Forschende aus Deutschland und der Schweiz kontaktierten mich, um meine Arbeit in ihre Quellen mitaufzunehmen. Und auch im Fernsehen wurde meine Studie – zumindest indirekt – besprochen: Für die ZDF-Magazin-Royal-Folge zum Zustand des Lokaljournalismus in Ostdeutschland wurde ich für ein Recherchegespräch kontaktiert.

Aber es blieb nicht nur bei Interviews und Gesprächen, ich wurde auch gebeten, über meine Arbeit zu referieren. Unter anderem vom Verband der südwestdeutschen Zeitungsverleger (VSZV) auf dessen Jahrestagung in Stuttgart. Eine echte Feuerprobe für mich, denn es barg eine gewisse Spannung, ausgerechnet denjenigen von meinen Ergebnissen zu berichten, die in Teilen den Rückzug der Lokalzeitung mitverantworten. Auch weil ich keinen Hehl daraus mache, dass es sich bei meinen Resultaten "nur" um eine Masterarbeit handelt. Nichtsdestotrotz wurden auch hier die Ergebnisse mit Interesse und konstruktiver Kritik begrüßt. Anfang Oktober war ich als Referent und Podiumsgast auf der Lokalkonferenz der Bundeszentrale für politische Bildung und Mitte November zu den Augsburger Mediengesprächen eingeladen.

Doch den skurrilsten Moment erlebte ich wohl Mitte Mai. Da schickte mir Kontext-Kollege Minh Schredle eine Mail, ich solle doch mal in diese "medias res"-Folge ab Minute 4:24 reinhören. Gesagt, getan. Kurz darauf komme ich aus dem Lachen nicht mehr raus: Christian Lindner, damals noch sparwütiger Finanzminister, zitiert auf einer Tagung der deutschen Lokalzeitungen meine Studie. Und das, obwohl der oberste Geiselnehmer der Schuldenbremse kurz zuvor bei einem Interview den wissenschaftlich bestätigten Zusammenhang zwischen Austerität und dem Erfolg von populistischen Parteien in bester Stockholm-Syndrom-Manier verneinte. Hätte er diese Studien vielleicht mal besser ernst genommen.

Was bleibt für mich nach den rund 40 Anfragen, Gesprächen, Interviews? Zunächst die Erkenntnis, dass der Lokaljournalismus nach wie vor relevant für die Leser:innen ist und ein hohes Vertrauen genießt. So viele Menschen haben mir dieses Jahr gespiegelt, wie gerne sie Lokales lesen. Zweitens: Es gibt so viele Kolleg:innen, die stolz sind auf ihre Arbeit "im Kleinen". Denn sie haben verstanden, wie wichtig das Lokale für die Gesellschaft ist. Denn ein Stück weit ist auch Journalismus ein sozialer Beruf, der Bindung und Vertrauen schafft. Doch um das auch allen klarzumachen, braucht es weitere Untersuchungen – wie die der Hamburg Media School – die die Wichtigkeit mit mehr belastbaren Zahlen unterlegen. Und vor allem: Es braucht eine flächendeckende Lösung für die Finanzierung von Lokaljournalismus. Ein weiteres Aussterben der Lokalpresse kann sich eine demokratische und antifaschistische Gesellschaft nicht leisten.

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1 Kommentar verfügbar

  • Philippe Ressing
    vor 3 Wochen
    Antworten
    Zwei Anmerkungen:
    1. Wenn sich Lokaljournalismus auf Rathaus-Berichterstattung reduziert, hilft das der demokratischen Kommunikation bei uns kaum. Seit Jahren nimmt der Konzentrationsprozess im lokalen Print-Bereich zu - siehe Springer Verkauf seiner gesamten Tageszeitungen, Konzentration auf…
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