Auch in Baden-Württemberg feiert die AfD Erfolge, bei der Landtagswahl 2021 bekam sie 9,7 Prozent aller gültigen Stimmen. In Börslingen im Alb-Donau-Kreis stimmten 22,2 Prozent der Einwohner:innen für die Partei, in Spiegelberg im Rems-Murr-Kreis waren es 21,72 Prozent. Könnte es einen Zusammenhang zwischen dem Stimmenanteil für die AfD und dem lokalen Medienangebot geben? Dieser Frage bin ich in meiner Masterarbeit für die Uni Stuttgart nachgegangen und habe die These untersucht, ob Menschen in Nachrichtenwüsten – also Gemeinden ohne Lokalzeitung – in Baden-Württemberg stärker für die AfD stimmen. Nach meinem Wissen bin ich damit der erste, der dieser Frage für ein ganzes Bundesland in Deutschland nachgeht. Anhaltspunkte für meine Forschungsfrage waren Landkreise wie Hohenlohe, Calw, Schwäbisch-Hall, wo in den letzten Jahren viele Lokalredaktionen dichtgemacht worden sind und die AfD Erfolge feiern konnte. Ob diese erste Beobachtung sich wissenschaftlich belegen lässt, habe ich anhand vielfältiger Datenerhebungen für die Landtagswahl 2021 in Baden-Württemberg verifiziert. Mit dem alarmierenden Ergebnis: Wähler:innen in Gemeinden ohne Lokalzeitung stimmten häufiger für die AfD als in Gemeinden mit mindestens einer lokalen Zeitung.
Lokaljournalismus und die AfD
In vielen westlichen Demokratien ist zu beobachten, dass nicht nur rechtspopulistische Parteien weiter voranschreiten. Auch ein anderer Trend verbreitet sich immer mehr: das Sterben der klassischen lokalen Tageszeitung. Die viel zitierte "vierte Gewalt" verschwindet, zumindest im Lokalen. Verleger:innen und Journalist:innen beklagen das schon seit Langem und auch lokale Politiker:innen vermissen Reporter:innen auf den Pressebänken.
Studien zeigen, dass mit wegbrechenden Werbeeinnahmen, zunehmender Monopolisierung, Digitalisierung und steigenden Produktionskosten immer mehr Lokalredaktionen geschlossen werden. In einigen westlichen Ländern gibt es bereits heute ganze Regionen und Landkreise ohne eine einzige Lokalzeitung – sie sind zu Nachrichtenwüsten verkommen. Besonders in den USA ist dies seit Jahren ein großes Problem: Zwischen 2005 und 2020 wurden rund 25 Prozent aller Lokalzeitungen geschlossen, was zur Folge hatte, dass aktuell rund 1.800 Gemeinden über keine Lokalpresse mehr verfügen und im gleichen Zeitraum 36.000 Journalist:innen ihre Jobs verloren haben. Die Wahl von Trump 2016 wird damit eng in Verbindung gebracht.
Dieser besorgniserregende Trend schreitet auch in Deutschland voran. Noch gibt es hierzulande eine relativ hohe Dichte an Lokalzeitungen, doch herrschen große regionale Unterschiede. Während es in Bayern mehr als 50 Lokalzeitungen gibt, berichten in Thüringen gerade mal sechs Blätter vor Ort. Der deutsche Bundesverband der Digitalpublisher und Zeitungsverleger warnt bereits, dass bis 2025 bundesweit rund 4.400 Gemeinden vom Verlust ihrer Lokalzeitung bedroht sein könnten. Diese Entwicklung könnte maßgeblich zum Erfolg der AfD beitragen.
Nachrichtenwüsten im Südwesten
Auch in Baden-Württemberg hat die Lokalpresse immer mehr Probleme, alle Landkreise mit einer eigenständigen Berichterstattung zu versorgen. Wie der Verband der Südwestdeutschen Zeitungsverleger in seinem Jahresbericht 2021 zeigt, schrumpfte die Gesamtauflage der Lokalzeitungen zwischen 2001 und 2021 um ein Drittel. Bereits jetzt werden nicht mehr alle Landkreise von eigenständigen Lokalzeitungen oder zumindest von Lokalredaktionen überregionaler Zeitungen abgedeckt.
Hier stellen sich nun zwei Fragen: Ist es denn wirklich schlimm, wenn Lokalzeitungen aussterben? Und: Was hat das mit der Wahl der AfD zu tun? Zur zweiten Frage später mehr. Erstmal: Man stelle sich eine Lokalzeitung vor – unhandliches Format, viel Papier, kein zeitgemäßer Online-Auftritt, manche Seiten voll mit Werbung für lokale Großunternehmen. Gerade für jüngere Leser:innen sind Lokalzeitungen ein Anachronismus aus einer vergangenen Zeit. Braucht es diese "Blättle" überhaupt für die politische Bildung, für die Demokratie?
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Hanno Kall
am 28.05.2024