Wenn Bürger:innen sich nicht mehr darüber informieren können, was in ihrem Ort los ist, hat das vielfältige Konsequenzen. Beispiel: Ein Ort schließt seine Grundschule, niemand berichtet im Vorfeld darüber, wie monatelang im Gemeinderat nach Rettungsmöglichkeiten gesucht wurde. Dann wird eine Nachricht über irgendeinen Social-Media-Kanal verbreitet à la: "Die da oben im Rathaus machen die Schule zu, weil dort eine Riesenmüllkippe entstehen soll, die Gewerbesteuer bringt. Und was wird aus unseren Kindern?" (dazu natürlich viele Emojis). Wer sonst nichts weiß, glaubt das möglicherweise.
Eine gute Lokalzeitung hätte die Aufgabe, die Vorgänge kontinuierlich aufzubereiten und einzuordnen, doch Lokalzeitungen sind auf dem Rückzug. Das ist nicht nur ein betriebswirtschaftliches Problem von Zeitungsverlagen, sondern auch ein demokratietheoretisches. Was hierzulande bislang eher als Vermutung diskutiert wurde – ohne Journalismus keine Demokratie – hat Maxim Flößer nun für Baden-Württemberg wissenschaftlich untermauert. Der 28-Jährige untersuchte in seiner Masterarbeit, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen Wählerstimmen für die AfD und der Tatsache, ob es in Kommunen Lokalzeitungen gibt oder nicht. Ergebnis: Ja, den gibt es. Wenn es mindestens eine lokale Zeitung vor Ort gibt, wählen weniger Menschen AfD als in Orten ohne eine Lokalzeitung.
Seinen Professor André Bächtiger, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Sozialwissenschaften an der Universität Stuttgart, überrascht das eigentlich nicht. "Denn Studien aus den USA zeigen das gleiche: In Nachrichtenwüsten wächst das Bedürfnis, extremere Parteien zu wählen." Doch die Studie von Flößer in der Abteilung Politische Theorie und Empirische Demokratieforschung belege etwas Neues. Bächtiger: "Spannend an der Untersuchung ist, dass der Autor nicht nur einen einfachen Zusammenhang hergestellt hat zwischen Existenz einer Zeitung und AfD-Wählerzahlen. Denn das könnte ja auch eine Scheinkorrelation sein. Sehr gut ist, dass andere Faktoren einbezogen wurden wie lokale Arbeitslosenquoten und wirtschaftliche Verfasstheit der Kommunen." Und siehe da: Auch unter Berücksichtigung dieser weiteren Faktoren bleibt ein Zusammenhang bestehen. Der Unterschied bei den AfD-Stimmenanteilen in Orten mit und ohne Lokalzeitung beträgt dann statistisch 0,6 Prozentpunkte. Was sich nach wenig anhört, ist vielmehr ein Hinweis darauf, dass im Mix der vielfältigen Gründe, AfD zu wählen, der Mangel an lokaler Berichterstattung tatsächlich messbar ist.
Keine Lokalzeitung ist wie kein Bahnhof
Der Demokratieexperte Bächtiger forscht selbst unter anderem dazu, wie Demokratie gestärkt werden kann. "Dafür benötigen wir eine gute diskursive Infrastruktur", sagt er und zieht zum Vergleich die Bahn heran. "Wenn auf dem Land ein Bahnhof geschlossen wird, fühlen sich – und sind es auch – die Menschen abgehängt. Ähnlich ist es mit der Information und damit Debatte: Wenn es nicht mal eine ordentliche Lokalzeitung gibt, verstärkt auch das das Gefühl, abgehängt zu sein." Und das ist schlecht. Denn ob jemand Demokrat:in ist, hänge stark daran, ob er oder sie sich anerkannt fühle, sagt Bächtiger.
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Ingolf Schröder
am 11.03.2024