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StZN-Digital-Chefredakteurin geht

Raus aus dem Warenhaus

StZN-Digital-Chefredakteurin geht: Raus aus dem Warenhaus
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Was ist bloß aus den Stuttgarter Zeitungsnachrichten (StZN) geworden? Ein Beleg dafür, dass Dünnes noch dünner werden kann. Großen Anteil daran hat Digital-Chefredakteurin Swantje Dake. Sie verlässt das Blatt zum Jahresende.

Sie habe seltsam entrückt gewirkt, schrieb Kontext vor einem Jahr über Swantje Dake, als diese neben der Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) auf dem Podium saß. Es ging um die Frage, was denn Qualitätsjournalismus sei? Die grüne Politikerin sagte, das seien Berichte aus dem Lokalen, die deutlich machten, wie wichtig demokratische Teilhabe ist. Die Chefredakteurin Digital, zuständig für "Stuttgarter Zeitung" und "Stuttgarter Nachrichten", erwiderte, jüngere Menschen seien eher an Orgasmus-Fragen interessiert als an Gemeinderatsprotokollen. Daraus zog der Kontext-Berichterstatter Peter Dietrich, ein langjähriger Lokaljournalist, den Schluss, dass Dake offenbar mit der Frage nichts anfangen konnte. Das könnte so gewesen sein.

Swantje Dake, Jahrgang 1978, Studium der Kultur- und Kommunikationswissenschaft, danach "stern online" in Hamburg, seit 2015 im Stuttgarter Pressehaus, gilt als Digitalexpertin im Mediengewerbe. Als Stern am Himmel bunter Displays, Gehaltsklasse geschätzte 250.000 Euro im Jahr. Davon gibt es nicht allzu viele, was ihren Wert steigert an einem Markt, dessen Zukunft bekanntlich nicht im Papier liegt. Ihre Aufgabe war, den Zeitungsladen in ein Medienhaus zu verwandeln, das auf allen Kanälen senden musste, um eine möglichst große Kundschaft zu erreichen. So wollten es die Verleger, die zwar keine Ahnung hatten, wie dies zu bewerkstelligen sei, aber die Frau vom "Stern" würde es schon richten. Sie tat es mit aller Kraft.

Ihr Rezept hieß "Kohle drauflegen"

Wer auf Facebook, Instagram oder Linkedin war, konnte ihr bei der Arbeit ("höllenanstrengend") folgen, und sich bald ein Bild machen, was ihr wichtig war. Natürlich die Nutzerin und der Nutzer, die einen Nutzen davon haben mussten, was sie zu lesen bekamen. Aus dem morgendlichen Studium der Klickzahlen war schnell zu folgern, dass Geschichten aus dem Geschlechtlichen Topseller waren, die Leitartikel des Chefredakteurs weniger. Mit dieser Richtschnur ausgestattet, erklomm sie alsbald die Spitze der Redaktion und gab die Richtung vor: Lesen mit Affekt. Sie nannte sich selbst "Nervensäge mit Digitalmantra" und sprach oft vom "Kohle drauflegen", wenn ihr Themen zu dröge erschienen, wie beispielsweise ein Parteitag der Grünen.

Anfang 2022: Ricarda Lang stand vor der Wahl zur Vorsitzenden der Grünen. Programmatisches erwünscht? Nö. "Die Angegriffene", lautete die Überschrift. Im Netz werde sie mit Hass, Beleidigungen und Anfeindungen überschüttet. Wegen ihres Aussehens. Dann durfte darüber gerätselt werden, wer die Bösewichte sind, die "Fat Shaming" betreiben, welche Motive sie haben und wohin das alles noch führen soll. Das hebt den Puls beim Publikum, lockt zum Lesen, treibt die Zahl der Nutzer:innen nach oben. Oder auch nicht.

Im Kapitalismus werde Erfolg in Zahlen gemessen, wie es denn damit aussehe?, fragen wir sie per Mail an. Gut, antwortet sie. Alle Marken der Zeitungsgruppe Stuttgart lägen bei mehr als 20.000 Abonnent:innen, das E-Paper gar bei 30.000. Jedes Jahr habe man mehr Leser:innen als im Jahr zuvor. Geschäftsführer Herbert Dachs habe sich jedenfalls nicht unzufrieden gezeigt. In der Tat lobt er die 45-Jährige fast überschwänglich. "Die gute Entwicklung unserer Regionalzeitungen im Digitalen ist wesentlich ihr Verdienst", versichert er zum Abschied, er danke sehr und wünsche für die Zukunft "nur das Beste". Seit Neuem erzählt der Boss in Möhringen auch, der "wichtigste Bestandteil" eines Unternehmens seien die Menschen.

Kann es sein, dass der Sexfaktor zu hoch ist?

Die Gewerkschaft Verdi ist zurückhaltender. Gerade mal 15 Prozent des gesamten Umsatzes steuere das Digitale bei, schätzt sie, und das nach vielen Jahren, in denen "online first" gepredigt und das Gedruckte davon mitgeprägt wurde. Mit dramatischen Folgen: Die Auflage der "Stuttgarter Zeitung" soll auf 75.000 gesunken sein, jene bei den "Stuttgarter Nachrichten" auf 35.000. Und wenn es stimmt, dass Dachs bei der Chefredaktion vorstellig geworden ist, mit der Aufforderung, den Sexfaktor in den Blättern zu reduzieren, dann scheint auch der Content strittig zu sein.

Aber behaupte niemand, sie habe deshalb gekündigt. Nach acht Jahren, nach einer "irre langen" Zeit, in der sie laufend Strukturen, Workflows und Teams verändert habe, gehe sie selbst "durch den Change-Prozess", schreibt Dake auf Linkedin, einer Plattform zur Pflege von Geschäftskontakten. Auf eigenen Wunsch und aus persönlichen Gründen. Sie wolle "raus aus der Komfortzone", eine Pause einlegen, aber auch raus aus den vollen Kalendern, Videokonferenzen und Mails mit 20 Empfängern. Dass hier eine gewisse Widersprüchlichkeit vorliegt, ist offenkundig. Es sei denn, frau empfindet die immer gleichen Gesichter einerseits als Komfort, andererseits als Grund zu fliehen, was bei einigen verständlich erscheint. Es soll aber auch Trauer gegeben haben, weil die Chefredakteurin und Geschäftsführerin Digital als menschlich sympathisch und teamfähig gilt.

Sie ist halt eher Managerin im Warenhaus als Journalistin, eine, die Bonbons, Reizwäsche und Ratgeber für ein aufregendes Leben feilbietet, immer wieder neu sortiert, in immer neuen Regalen, immer mit der Aufschrift versehen: Es gibt neue Rabatte. Kunde kauf mich. Irgendwie erinnert das an den Ausverkauf bei der Galeria Kaufhof in der Stuttgarter Eberhardstraße. Aber Journalismus soll nichts verkaufen wollen, am wenigstens sich selbst. Er soll argumentieren, abwägen, überzeugen. Im Warenhaus ist Qualität eine Frage des Preises, im Journalismus ein Ergebnis von Herz und Hirn. Wie wäre es mit einem Kompass, der auch mal anzeigt, welche gesellschaftliche Verantwortung man hat? Äußerungen dazu sind von Dake nicht bekannt.

Und jetzt gibt's Hymnen auf das Role Model

Aber um auch das zu sagen: Swantje Dake ist nicht alleine. Sie liegt voll im Trend. Auf demselben Marktplatz haben Chefredakteur:innen, Kommunikationsberater:innen, Marketingleute ihre Stände, und denken pausenlos darüber nach, welchen neuen Kanal sie den Konsument:innen andrehen können. Das ist anstrengend, weil niemand weiß, was funktioniert, und verbindet, weil es alle so verdammt schwer haben wie Dake.

Ihre Mühsal mündet in Hymnen, von Kolleg:innen der "Schwäbischen Post" über die "Rheinische Post" bis zum ZDF. Gesungen wieder auf Linkedin auf die unerschrockene, mutige, entschlossene Kollegin, auf das "Role Model", dem mit Paulo Coelho zugerufen wird: "If you're brave enough to say Goodbye, life will reward you with a new Hello". Wow.

In Stuttgart wird das neue Hallo für Johanna Bruckner ertönen. Die 39-Jährige war Redakteurin bei der "Süddeutschen Zeitung", bis 2020 deren USA-Korrespondentin, zuletzt bei der Nachrichtenagentur dpa als Digitalleiterin, und soll am 1. Januar 2024 in Möhringen als "Head of Digital/Content" antreten. Sie will ihr Publikum mit "ständig neuen, erstklassigen Services" begeistern. Den Titel Chefredakteurin trägt die gebürtige Stuttgarterin nicht, dafür das Vermächtnis ihrer Vorgängerin. Auf die Frage, ob der Kurs der Boulevardisierung richtig und notwendig war, versichert Dake gegenüber Kontext, er werde fortgesetzt. Sie habe ihn schließlich "nicht allein getragen".

Beruhigend klingt ihre Ankündigung, sich nach ihrem Abschied Ende des Jahres Zeit zu nehmen. Für Menschen und Projekte, die zuletzt "etwas zu kurz" gekommen seien. Das Berufliche folge zu gegebener Zeit. Auch hier sind Sorgen unangebracht. Die Kommunikationschefin des Bundesverbandes Digitalpublisher und Zeitungsverleger Anja Pasquay hat gepostet, eines sei mal sicher: "Wo immer Du aufschlägst, wir melden uns". Da kann einfach nichts mehr schiefgehen.


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6 Kommentare verfügbar

  • Karl P. Schlor
    am 12.11.2023
    Antworten
    Habe immer geglaubt, der Journalismus solle berichten, was ist, und dem Leser das Vermögen
    lassen, sich eine Meimnug aufgrund dieser Berichterstattung selbst zu bilden. JETZT ERFAHRE
    ICH DASS DIES NICHT SO IST, "der Journalist solle argumentieren, abwägen, überzeugen."
    Wie bitte? Habt ihr das so…
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