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Medien und Frauenquote

Hilfeschrei nach Quote

Medien und Frauenquote: Hilfeschrei nach Quote
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Die immer gleichen Rituale zum Internationalen Frauentag: KommentatorInnen überschlagen sich mit Forderungen nach mehr Gleichberechtigung in der Gesellschaft. In der eigenen Redaktion hätten deren Umsetzungen aber keine Chance. Denn die Medienwelt ist männlich, vor allem Regionalzeitungen haben Chefredakteure.

Natürlich geht es um Macht, worum sonst. Die wollen Männer viel zu selten teilen, auch nicht in Zeitungen. Das Beharrungsvermögen ist ungebrochen. "Der Stillstand bei den Regionalmedien hat uns so erschreckt", sagt Anna von Garmissen, "dass wir uns fragten, warum da so eine Starre herrscht.” Also hat die 45-Jährige im Auftrag von ProQuote und auf Basis von 16 Interviews im Oktober und November 2020 die Verhältnisse analysiert und ein vernichtendes Urteil gefällt: "verkrustete Strukturen, Männerbünde oder Unvereinbarkeit von Privat- und Berufsleben, dazu sexistische Erfahrungen sowohl in den Redaktionen wie bei Lokalterminen."

Die Ende Februar präsentierte Studie ist nicht die erste ihrer Art. Im Auftrag von ProQuote, laut Satzung ein Verein zur Förderung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern, sind bereits große Tageszeitungen durchleuchtet worden, ebenso Online-Medien. Gemessen wird der sogenannte Machtanteil, der der Logik gehorcht, dass Chefs mehr Einfluss haben als – wenn es sie überhaupt gibt – Stellvertreterinnen. Nur bei der "taz" ist der Ausgleich zwischen den Geschlechtern mit 50,8 Prozent gelungen. Das wiederum färbt den Durchschnitt bei den zehn größten überregionalen Zeitungen schön, denn in Frauenhand liegt die Macht insgesamt nur bei 25 Prozent, beim Handelsblatt und der "FAZ" sogar deutlich unter 20. Überhaupt nur fünf von hundert Regionalzeitungen im Land haben eine Chefredakteurin, drei weitere eine Doppelspitze. Der Machtanteil von Männern liegt weiterhin bei 90 Prozent.

Frauen dürfen allenfalls rechts überholen

Ein Lösungsmodell wird frei Haus vom Hamburger Stern geliefert. Der besetzt seit 2014 Leitungsfunktionen gezielt paritätisch, inzwischen liegt der Männeranteil nur noch bei 54,2 Prozent. Eine andere Lösung ist keine: Journalistinnen müssen sich tummeln im Onlinebereich, sind häufig schlechter bezahlt und haben weniger zu sagen als die Printkollegen. Bei der Corona-bedingt digitalen Präsentation der Regionalzeitungsstudie berichtete Swantje Dake, die Chefredakteurin Digital der "STZN", von ihren Erfahrungen seit mehr als zehn Jahren zuerst bei stern.de und dann in Möhringen. Das Digitale sei in den Regionalmedien "das Stiefkind, das in der Ecke saß" und damit ein "sehr guter Quereinsteigerposten für Frauen, die sich im Verborgenen ausprobieren wollen."

Dake ist erkennbar nicht bewusst, welche Hackordnung sie auf diese Weise als selbstverständlich akzeptiert. Das beweist auch ihr Karriere-Tipp: Weil das Gerangel nicht so groß sei "wie auf dem Print-Scheinwerfer-Platz", könnten "Frauen rechts überholen auf den Chefredakteursposten." Sie sagt natürlich Chefredakteur und nicht Chefredakteurin und bei der Metapher vom Rechtsüberholen schrillen alle feministischen Alarmglocken. Journalistinnen müssen die Regel brechen, wenn sie nach oben wollen, denn links Überholen mit dem durchgedrückten Karriere-Gaspedal ist offensichtlich Männern vorbehalten.

Das schreit nach der Quote, die ProQuote seit seiner Gründung vor fast einem Jahrzehnt fordert. Zuerst sollte der Männerüberhang auf 70 Prozent gedrückt werden, inzwischen werden 50 Prozent verlangt, weil sich so wenig tut in vielen Medienhäusern und Frauen sich – siehe Dake – gerade auf Frauen nicht wirklich verlassen können. "Ich habe zu meinem Chefredakteur gesagt: Es wäre mir sogar egal, wenn ich die Quotenfrau bin. Damit kann ich leben. Und das war nur halb spaßig gemeint.", sagt eine der 16 Interviewten.

Halb spaßig heißt aber eben auch nicht halb ernst. Wären die Befragten nicht anonym, wäre es nur zu spannend zu beobachten, ob sie überhaupt die Möglichkeit hätte, einen flammenden Kommentar pro Quote nicht in der Redaktion, sondern in der Wirtschaft, Politik, Verbänden und Kirchen – siehe Maria 2.0 – zu schreiben. Oder ob nicht in sattsam bekannter Weichspülmanier ein Pro und Contra daraus würde, weil selbst noch anno 2021 solche Vorstellungen intern nicht mehrheitsfähig sind. 

Danke für die verwelkten Blumen

Aber so bitter nötig, wie Moritz Döbler, einer der Männer, die der Studien-Präsentation beiwohnten, eindrucksvoll unterstreicht. Der Chefredakteur der Rheinischen Post ist ein Bruder im Geiste seiner Kollegin Dake und referiert bei der Präsentation der Studie, dass die Übernahme von Führungsverantwortung für Männer keine Selbstverständlichkeit mehr sei. Viele wollten nämlich "heute auch mehr von ihren Kindern haben und nicht mehr 24 Stunden rund um die Uhr erreichbar sein." Danke für die verwelkten Blumen. Wenn Männer nicht mehr interessiert sind an den Chefposten, dürfen Frauen ran. Die Gesellschaft fange an sich zu verändern, philosophiert Döbler, und Redaktionen würden sich mitverändern, das sei "ihr originäres Interesse".

Von wegen. Die Dominanz der Lauten, der Machtbewussten, der Angeber ist ungebrochen und die Geschichte der modernen Frauenbewegung der Beweis, wie wenig sich verändert hat. "Glück", schrieb eine der vielen wackeren Vorkämpferinnen mit Schreibmaschine, die österreichische Sozialistin Adelheid Popp vor gut 90 Jahren in der Zeitschrift "Die Unzufriedene", Glück sei für ein Arbeitermädchen, nach einer 72-Stunden-Woche ein wenig – "wenn auch weniger als ein Bub" – zum Familienbudget beisteuern zu können und von den Vorgesetzten nicht sexuell belästigt zu werden. Das Mädchen (Jahrgang 1869) wurde Journalistin und Mitbegründerin der sozialistischen Frauenbewegung. Ein Leben lang kämpfte sie dafür, dass "Frauen ein Aufstieg nicht als Lückenbüßerin möglich wird und ohne sexuelle Gegenleistung, sondern weil sie von der Gesellschaft als gleichberechtigt anerkannt sind."

In Deutschland hat sich Entscheidendes geändert in der rechtlichen Stellung der Frau, insbesondere seit der Ära Willy Brandt. Zu wenig dagegen bei dem Umgang, den sich so viele Männer/Vorgesetze noch immer erlauben. O-Töne der Interviewten in der Regionalzeitungsstudie: "Durch die Me-Too-Debatte sind mir so viele Szenen von früher eingefallen. Warum habe ich denn da nichts gesagt? Weil das einfach so normal war." Oder: "Was blieb einem anderes übrig? Man musste einfach versuchen, denjenigen nicht vor den Kopf zu stoßen." Oder: "In der Achtzigern, Anfang der Neunziger war es extrem, was sich die Herren Redakteure erlaubt haben." Und noch ein Satz erinnert stark an Adelheid Popp: "Frauen sollten generell als gleichwertige Arbeitskraft angesehen werden. Und man sollte sich bei jeder Entscheidung, wenn es um eine Führungsposition geht, bewusst machen: Hätten wir jetzt auch eine Frau als Möglichkeit?"

Coacht endlich die Männer in Machtverzicht

Noch besser wäre die Umkehr der Beweislast nach dem Motto: Warum ist es der Mann, der wie selbstverständlich Chef werden muss? Ehrliche Antworten auf diese Frage legen gesellschaftliche Schieflagen offen: weil Frauen den weit überwiegenden Teil der unbezahlten Care-Arbeit übernehmen; weil Arbeitgeber – keineswegs nur die in Medienhäusern – es gar nicht goutieren, ganz zu schweigen von belohnen wie etwa in Schweden, wenn männliche Führungskräfte in Elternzeit gehen; weil Sharing-Modelle in Spitzenpositionen seit über 40 Jahren lieber diskutiert als praktiziert werden; weil selbst die engagierten Journalistinnen von ProQuote in die Falle tappen, Forderungen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu formulieren: "Verlage können Zeichen setzen, indem sie beispielsweise Betriebskindergärten einrichten, die die ungewöhnlichen Arbeitszeiten in einer Lokalredaktion abdecken."

Noch eine der weiteren insgesamt sieben Empfehlungen der Studienautorin zeigt die kleinen Brötchen, die noch immer gebacken werden. Anna von Garmissen verlangt nach gezielten Förderprogrammen ("Allein der Zugang zu Netzwerken würde schon helfen."), nach Mentoring und Coachings. Dabei müssten doch die Männer gecoacht werden, damit sie endlich lernen, dass Machtteilung, also -verzicht angesagt ist. Den Vogel schießt beim Ausblick in die Zukunft noch einmal die "STZN" ab.

Nicht nur, dass zur Personalentwicklung "keine dezidierte Zahl" vereinbart wurde, wie Dake offenherzig einräumt, um dann den Begriff Gleichstellung durch Diversity zu ersetzen. "Bei uns wird das Thema über Frauen und Männer deutlich hinausgezogen und auf ein deutlich höheres Podest gehoben", heißt ihr Selbstlob. Es gehe um Jung und Alt, "um verschiedene Herkünfte und Hintergründe."

Übersetzt heißt das, dass Aufstiegsmöglichkeiten nicht größer werden, sondern kleiner: Künftig sollen sich Journalistinnen, im Zweifel trotz besserer Abschlüsse, trotz der viel höheren sozialen Kompetenz, der größeren Leidenschaft zur Durchdringung von Sachverhalten und – ganz und gar nicht ausgeschlossen – der besseren Schreibe auch noch mit besonders jungen Bewerbern, mit besonders alten und mit jenen ohne deutsche Wurzeln um die Führungspositionen balgen. Aber am Internationalen Frauentag 2022 werden sicher wieder viele Kommentare und Leitartikel landauf landab in unseren Zeitungen erschienen. So bekenntnisstark wie folgenlos.


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